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Transporterkühlkette
Sensorobst soll Müll vermeiden

Obst, Bananen, Mangos: Fast alle Früchte sind mittlerweile ganzjährig zu kaufen. Doch weil die Kühlkette nicht immer eingehalten werden kann, werden bisher rund zehn Prozent des weit gereisten Obstes weggeschmissen. Das soll sich künftig ändern. Helfen könnte dabei eine Kunstfrucht mit Wärmesensor.

Von Anneke Meyer | 08.06.2017
    Lebensmittelabteilung mit Obst und Gemüse
    Noch immer wird viel zu viel Obst weggeschmissen. (imago/Jochen Tack)
    "Wir sind im Laborbereich an unseren Klimaschränken. Also das heißt, hier sind Schränke, in denen wir die Kühlung von den Früchten testen."
    Thijs Defraeye öffnet einen der riesigen Behälter. Darin liegen rotbackige Äpfel mit perfekt glänzender Schale. Allein die Deutschen verbrauchen im Jahr sechs Millionen Tonnen Obst. Etwa die Hälfte davon wird importiert – darunter auch Äpfel, zum Beispiel aus Neuseeland. In der Schweiz sieht das nicht anders aus. Damit das Obst beim Transport nicht verdirbt, muss es ständig gekühlt werden.
    Thijs Defraeye greift in den Klimaschrank und holt eine Frucht heraus. Diese ist nicht importiert, sondern ein Schweizer Produkt; entwickelt an der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt, kurz Empa, vor den Toren Zürichs:
    "Das ist eine Schale, die aussieht wie ein echter Apfel. In dem Fall ist das ein Braeburn. Die ist mit Rapid Prototyping, also 3D-Printing, gemacht und die ist hohl und dort drin haben wir eine Art von Gel gefüllt, die thermisch gleich reagiert wie eine echte Frucht."
    Temperaturmesser mit Wackelpudding-Füllung
    Schmecken wie eine echte Frucht würde der mit einer Art Wackelpudding gefüllte Plastikapfel wohl kaum. Soll er aber auch nicht. Was er soll, ist Aufschluss über den inneren Wert eines Braeburn zu geben: die Kerntemperatur.
    Zurück im Büro öffnet der Ingenieur den Kunstapfel. Darin befindet sich kein Kerngehäuse sondern ein silberner Knopf.
    "Das ist so der Sensor, der hier drin ist. Der heißt Eye-Button, er hat eine Batterie drin und ist shock proof. Es ist einfach ein Temperatursensor mit der Batterie. "
    Mit einem Handgriff holt der Ingenieur das Thermometer aus dem Apfel und schließt es über eine Art Dockingstation an seinen Computer an.
    "Und mit dem Adapter kann man das dann mit einer Software auslesen."
    Auf dem Bildschirm erscheint eine Kurve, die über große Zeiträume zwischen 20 und 25 Grad Celsius schwankt: Lagertemperaturen aus dem Büro des Forschers. Für einen Arbeitsplatz in Ordnung, für den Transport eines Apfels aus Übersee viel zu warm.
    Viel Obst muss bisher weggeschmissen werden
    Unterbrechungen in der Kühlkette führen dazu, dass über zehn Prozent der weit gereisten Früchte am Ende nicht im Verkauf, sondern im Müll landen. Genau nachzuvollziehen, wie warm es einer Frucht im Frachtcontainer tatsächlich wird, ist bisher nämlich erstaunlich schwierig.
    "Was gemacht wird bei jedem kommerziellen Shipment ist, dass man einige Pointprobes setzt, so heißt das. Also, das sind Temperaturproben, die man reinsteckt. Zum Beispiel für Zitrusfrüchte aus Südafrika stecken sie drei solcher Probes verteilt auf 20 Paletten. Also es sind nur drei Messpunkte für die Kerntemperatur im ganzen Container. Das ist sehr wenig."
    Je nachdem, ob eine Frucht weiter innen oder weiter außen gepackt ist, kann sich ihre Temperatur deutlich unterscheiden. Eine genaue Aussage darüber, ob die Kühlkette für alle Paletten eingehalten wurde, ist damit nicht immer möglich. Mit einer Kunstfrucht pro Palette wäre das anders.
    "Dann haben wir viel mehr Daten, wo wir sehen können, wie die Temperaturen und selbstverständlich auch die Qualität sich ändert während der Kühlkette. "
    Mal Apfel, mal Banane: Mit flexiblen Obstthermometer Müll vermeiden
    Bei so viel Gründlichkeit kann man Äpfel natürlich nicht mit Bananen vergleichen. Der Ingenieur und seine Kollegen haben das Obstthermometer deshalb nicht nur mit Apfeleigenschaften entwickelt, sondern auch in den Sorten Mango, Orange und Banane.
    Derzeit arbeiten die Forscher noch an einer kleinen Verbesserung: Das Obst soll W-LAN-fähig werden, damit die Daten auch aus dem geschlossenen Container abgerufen werden können. Für die Industrie schließt sich aber auch so schon eine Marktlücke.
    "Also wir haben schon von vielen Leuten die Frage gehabt: 'Können wir das kaufen?'. Leider noch nicht. "
    Das Patent ist allerdings schon genehmigt. Kommerzielle Unternehmen haben Interesse angekündigt, Produktion und Vertrieb zu übernehmen. In der Massenproduktion werden die Kosten voraussichtlich bei unter 50 Euro pro Stück liegen. Bis die künstlichen Früchte mit Mangos aus Peru und Äpfeln aus Neuseeland auf Reisen gehen, wird es wohl nicht mehr lange dauern.