Donnerstag, 25. April 2024

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Trauerfeier in Köln
"Ich erwarte von den Medien die nötige Distanz"

"Respekt und eine spürbare Menschlichkeit" erwartet Rainer Maria Kardinal Woelki von den Medien während des Trauergottesdienstes für die Opfer des Germanwings-Flugzeugabsturzes. Im Deutschlandfunk forderte der Erzbischof von Köln dazu auf, Mitgefühl und Empathie mit den Trauernden zu zeigen.

Rainer Maria Kardinal Woelki im Gespräch mit Christoph Heinemann | 17.04.2015
    Rainer Maria Kardinal Woelki bei seiner Einführung im Kölner Dom 2014
    "Ich hoffe und zittere davor, das richtige Wort in diesem Augenblick zu finden", sagte der Kölner Erzbischof Woelki im Interview mit dem Deutschlandfunk. (imago stock&people)
    Der Kölner Kardinal Woelki und die Präses der evangelischen Kirche Westfalens, Annette Kurschus, werden die Trauerfeier im Kölner Dom leiten. Woelki sagte im Deutschlandfunk, man müsse eingestehen, dass man den Angehörigen nur schwer Trost spenden könne. "Ich fühle mich an eine menschlich existenzielle Grenze gedrängt", betonte der Kölner Erzbischof. Er stehe genauso sprachlos vor dem, was geschehen sei, wie tausende andere Menschen auch.
    Es sei wichtig, für den Anderen da zu sein und ihm ein "wirkliches Mitleiden" zu schenken. Er könne nur den christlichen Glauben als Angebot in den Raum stellen und darauf hoffen, dass die Menschen daraus Kraft zögen.
    "Jeder Mensch verdient unser Gebet"
    "Wir müssen versuchen, nicht vorschnell zu urteilen", sagte Woelki in Bezug auf den Copiloten Andreas Lubitz, der das Germanwings-Flugzeug absichtlich zum Absturz gebracht hatte: "Jeder Mensch verdient unser Gebet".
    An dem ökumenischen Gottesdienst im Kölner Dom nehmen die Angehörigen der 150 Passagiere und Besatzungsmitglieder teil, die bei dem Unglück ums Leben kamen. Bundespräsident Joachim Gauck und die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft werden eine Rede halten. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundestagspräsident Norbert Lammert sowie Gäste aus Frankreich und Spanien kommen nach Köln. In ganz Deutschland wehen die Fahnen auf Halbmast. Bei dem Airbus-Absturz auf dem Flug von Barcelona nach Düsseldorf waren am 24. März alle Insassen ums Leben gekommen.
    In einer Sondersendung übertragen wir den Trauerakt ab 11 Uhr 55.

    Das Interview in voller Länge:
    Christoph Heinemann: Endlose Trauer, Verzweiflung, vielleicht auch Wut oder Hass auf den Täter - auch das wäre verständlich. Angehörige und Freunde der Menschen, die am 24. März in der Germanwings-Maschine ums Leben kamen, haben heute einen schweren Gang vor sich. Mit einem Trauergottesdienst und mit einem staatlichen Trauerakt im Kölner Dom nimmt Deutschland Abschied von den Opfern. Der Kopilot der Maschine führte den Absturz nach den bisherigen Erkenntnissen der Ermittler absichtlich herbei, um sich das Leben zu nehmen.
    Am Telefon ist jetzt Rainer Maria Kardinal Woelki, der Erzbischof von Köln. Guten Morgen!
    Rainer Maria Kardinal Woelki: Guten Morgen, Herr Heinemann.
    Heinemann: Kardinal Woelki, wie und woraus kann Trost entstehen?
    Woelki: Das ist sicherlich heute eine ganz schwere Situation und ich glaube, wir müssen zunächst eingestehen, dass Worte angesichts dieser Situation und dessen, was da geschehen ist, fehlen und dass Worte wahrscheinlich nur sehr schwer überhaupt Trost spenden können. Und es gibt Momente, wo man besser schweigt und wo Gesten und Zeichen, das in den Arm nehmen, das Trösten, das an der Hand halten wahrscheinlich tiefere Zeichen sind und mehr bewirken, als Worte sind.
    Und was soll man auch Eltern sagen, die gerade ihre Kinder verloren haben, oder welche Worte sind die richtigen, wenn man Kindern erklären soll, warum die Mutter, der Vater nie von einer Dienstreise mehr zurückkehren wird, oder wie spricht man mit einer Freundin, die weiß, dass sie ihren Geliebten nie wieder in den Arm schließen kann.

    Ich glaube, es ist wichtig, dass wir da sind, dass wir den anderen nicht alleine lassen, dass wir ihn bestimmen lassen, was für ihn gut ist, ein wirkliches Mitleiden eben. Und als Christ würde ich natürlich sagen, mein Gebet, mein stilles Gebet. Ich würde damit jetzt eher nicht in die Öffentlichkeit gehen und sagen, ich bete für dich. Aber das stille begleitende Gebet, das unterstützende Gebet, das kann ich, denke ich, auch schenken.
    "Angebot des christlichen Glaubens in den Raum stellen"
    Heinemann: Kardinal Woelki, kann jemand, der unter solchen Umständen zum Beispiel ein Kind, die Tochter, den Sohn verloren hat, kann der noch an einen guten oder sogar einen lieben Gott glauben?
    Woelki: Ich weiß nicht, ob wir Christen überhaupt an einen lieben Gott je geglaubt haben. Wir glauben, dass Gott die Liebe ist, und das ist etwas ganz anderes. Ich denke, ist es nicht gerade auch die Liebe zu unseren Liebsten, die unser Leid so schmerzlich macht, die aber dann im letzten auch die Kraft gibt, es zu tragen.
    Im Alten Testament ist davon die Rede, dass der Tod stark ist wie die Liebe. Als Christen glauben wir aber, dass die Liebe stärker ist als der Tod, dass Gott in seinem Sohn Jesus Christus gerade an Ostern allen Tod und alle Verzweiflung und alle Sprachlosigkeit, wie wir sie ja jetzt in diesen Tagen angesichts dieses Unglücks erleben, überwunden hat, weil auch er aus Liebe gelitten hat und erlöst hat und den Tod besiegt hat.
    Ich kann das eigentlich nur als Angebot unseres christlichen Glaubens in den Raum stellen und darauf vertrauen und hoffen und dafür beten, dass Menschen aus diesem, was Gott für uns getan hat, selber Kraft und Halt für ihr Leben finden, dass im Letzten die Liebe das letzte Wort haben wird und nicht der Tod.
    Heinemann: Im Jahreskalender befindet sich die Kirche ja zwischen Ostern - Sie haben das genannt -, dem Fest der Auferstehung, und Pfingsten. Das ist das Fest des Heiligen Geistes. Sind das für Christen vielleicht Orientierungspunkte, die auch in einer solch extremen Trauer helfen können?
    Woelki: Auf jeden Fall. Ich will versuchen, heute während der Trauerfeier das auch ins Wort zu bringen. Für mich selber ist das der einzige Halt und die einzige Hoffnung. Ich habe keine theoretische Antwort. Ich stehe genauso sprachlos vor dem, was dort geschehen ist, wie Tausende andere Menschen auch.
    Ich kann im Letzten nur auf die Antwort zeigen, an die ich glaube und die mir für mein persönliches Leben Hoffnung gibt, und das ist eben der mitleidende Gott am Kreuz, der dann durch seine Liebe zu uns Menschen aber diesen Tod besiegt, und die Hoffnung, dass mit dem Tod nicht alles aus ist, sondern ein Leben auf uns alle wartet.
    Heinemann: Wie kann man das Menschen erklären, die nicht religiös oder die sogar antireligiös eingestellt sind?
    Woelki: Ich glaube, dass das nur als ein Angebot, als eine Verkündigung geschehen kann. Natürlich muss das jeder dann für sich selber annehmen lernen.
    Deshalb meine ich, dass es wichtig ist, dass wir zunächst einmal unser ganzes Mitgefühl, unsere Empathie zum Ausdruck bringen und auch das Menschliche zeigen, dass wir da sind und miteinander trauern und miteinander leiden, und dann darüber hinaus eigentlich die Hoffnung natürlich, dass wir im Kölner Dom an einem Ort sind, wo seit Jahrhunderten füreinander und miteinander gebetet wird, und dass wir im Letzten das, was da geschehen ist, an einen anderen abgeben müssen, der größer ist als wir.
    "Nicht vorschnell urteilen"
    Heinemann: Zu den Toten, Herr Kardinal, gehört der Täter. Wie sollte man heute mit Andreas Lubitz umgehen?
    Woelki: Ich glaube, jeder Mensch verdient unser Gebet. Ich weiß im Letzten nicht, was ihn dazu getrieben hat. Das ist eine ungeheure Tat. Das ist etwas, was uns sprachlos macht. Und ich verstehe jeden, der darüber verzweifelt ist, der darüber ungeheuer wütend ist und der auch nicht in der Lage ist zur Vergebung. Ich denke, dass wir dennoch versuchen müssen, nicht vorschnell zu urteilen. Wenn ich die Presse richtig verfolgt habe, entsteht gegenwärtig eine Fachdiskussion darüber, was für eine Erkrankung womöglich dieser Tat zugrunde liegt. Das rechtfertigt natürlich das alles nicht und es bringt im Letzten natürlich auch nicht die dort Verunglückten zurück.

    Im Letzten kann ich auch hier nur sagen, dass wir mit all den anderen Opfern auch den Täter Gott anempfehlen müssen, und wenn wir an einen gerechten Gott glauben, dass er dann im Letzten auch hier das Urteil sprechen wird, das dem Täter angemessen sein wird.
    Heinemann: Der Toten der Germanwings-Maschine wird heute zurecht öffentlich gedacht. Andere Tote sorgen kaum noch für Schlagzeilen.
    In dieser Woche ertranken vermutlich wieder mehr als 400 Menschen im Mittelmeer. Auch sie waren Menschen mit Angehörigen und Freunden. Sollte man diese Opfer vielleicht heute während des Gottesdienstes oder beim staatlichen Gedenkakt wenigstens kurz erwähnen?
    Woelki: Ja, was da im Mittelmeer gegenwärtig passiert, das ist eine furchtbare Tragödie, und zwar zum wiederholten Mal, und ich werde deshalb auch nicht müde, immer wieder auf diese Not der Flüchtlinge hinzuweisen. Gerade was mit diesen Kindern dort jetzt passiert, das ist unvorstellbar.
    Ich glaube allerdings, dass das jetzt eine Überfrachtung, auch eine emotionale Überforderung wäre, auch diese Problematik und diese Tragödie heute mit in den Trauergottesdienst hineinzunehmen. Ich denke, dass das ein Ort ist für die Angehörigen und die Freunde, ihre Trauer zu konzentrieren, ihrer Trauer auch freien Lauf zu lassen und ihren Emotionen, und dass wir an anderer Stelle die Opfer, die im Mittelmeer Tag für Tag gegeben sind, in anderer Weise mit bedenken müssen.
    "Ich erwarte Respekt und Menschlichkeit von den Medien"
    Heinemann: Kardinal Woelki, was erwarten Sie heute von den Medien?
    Woelki: Ich erwarte vor allen Dingen eine notwendige, die nötige Distanz. Ich erwarte vor allem auch Respekt, das heißt eine spürbare Menschlichkeit, speziell auch während des Trauergottesdienstes, und ich wünsche mir einfach, dass dann die Medien im besten Sinne wirklich das sind, was sie sein wollen, nämlich Mittler zwischen den Menschen, und dass die Bilder und die Worte auch aus dieser Gottesdienstgemeinschaft und dem sich anschließenden Staatsakt heraus dann vielen Betroffenen helfen, mit dem umgehen zu lernen, was dort geschehen ist.
    "Ich fühle mich an eine menschlich existenzielle Grenze gedrängt"
    Heinemann: Gestatten Sie mir noch eine persönliche Frage. Ist das für Sie heute eine besonders schwierige Herausforderung, eine besonders schwierige Predigt?
    Woelki: Natürlich. Ich fühle mich auch an eine menschlich existenzielle Grenze gedrängt und ich hoffe und zittere auch ein wenig davor, das richtige Wort in diesem Augenblick zu finden, das Hoffnung und Trost spenden kann.
    Heinemann: Rainer Maria Kardinal Woelki, der Erzbischof von Köln. Danke schön für das Gespräch, viel Kraft für den Tag und auf Wiederhören.
    Woelki: Vielen Dank, Herr Heinemann.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.