Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Richard Strauss’ Cellosonate
Entwicklungsstadien eines Komponisten

Heute zählt Richard Strauss’ Cellosonate zum Pflicht-Repertoire eines jeden Cellisten. Sie basiert auf einer Urfassung, die nun erstmals veröffentlicht wurde. Raphaela Gromes und Julian Riem vergleichen die beiden Versionen auf ihrer neuen CD. Großartig!, findet unsere Kritikerin.

Am Mikrofon: Elisabeth Richter | 16.02.2020
    Raphaela Gromes sitzt mit ihrem Cello auf einem Felsen. Im Hintergrund ist ein Bergpanorama zu sehen
    Widmet die neue CD ihrem Vater, dem Cellisten Wilhelm Gromes: Raphaela Gromes (Sony Classical )
    Seine "Cellosonate im Urzustande" hätte er auch nicht "gekrönt" – das schrieb Richard Strauss 1886 an seinen Vater, Solo-Hornist im Münchner Hoforchester. Ein ausgeschriebener Wettbewerb der "Neuen Zeitschrift für Musik" hatte ihn als 16-Jährigen vermutlich zu dem Werk animiert. Nach der Uraufführung im Februar 1882 gab es in der Presse auch kritische Stimmen, bei allem Lob für den talentierten Jung-Komponisten. Dieser unterzog sein Werk einer selbstkritischen Revision. Im Dezember 1883 kam das überarbeitete und bereits gedruckte Opus erfolgreich zur Uraufführung.
    Weltersteinspielung der Urfassung
    Heute zählt Richard Strauss’ Sonate für Violoncello und Pianoforte F-Dur op. 6 in der zweiten Fassung zum Pflicht-Repertoire eines jeden Cellisten. Die erste Fassung wurde nie gedruckt und verschwand bis heute im Dickicht der Musikgeschichte. Erstmals wurde sie jetzt im Rahmen der "Kritischen Ausgabe der Werke von Richard Strauss" veröffentlicht. Die Cellistin Raphaela Gromes und der Pianist Julian Riem stellen zeitgleich die erste Einspielung vor. Zum Vergleich haben sie beide Fassungen der Sonate bei Sony Classical aufgenommen.
    Musik: Richard Strauss, Sonate für Violoncello und Pianoforte F-Dur, op. 6 (1883), Allegro con brio
    Wild, überbordend, selbstbewusst. Die ersten Takte von Richard Strauss’ Cellosonate künden von einem jungen Mann, der seine musikalischen Kräfte zur Schau stellt. Wenn man will, kann man den späteren Musiktheater-Komponisten erkennen, den Meister der Effekte und gewaltigen klanglichen Steigerungen. Ein Grund sicherlich, weshalb das Stück zum "Kammermusik-Standard-Repertoire" gehört, warum es bei Cellisten beliebt ist.
    Feinheiten und klare Strukturen
    Raphaela Gromes, die 29 Jahre junge Münchner Cellistin vernachlässigt das "Ungestüm-Aufbegehrende" der Sonate keineswegs, doch immer sind sie und ihr exzellenter Partner am Klavier Julian Riem ein Team. Austausch, kammermusikalischer Dialog, Feinheiten, klare Strukturen stehen bei dieser – das sei vorweggenommen – großartigen Neueinspielung im Vordergrund.
    Musik: Richard Strauss, Sonate für Violoncello und Pianoforte F-Dur, op. 6 (1883), Allegro con brio
    Der Anfang von Richard Strauss’ Cellosonate in der bekannten und bis heute ausschließlich gespielten zweiten Fassung. Die Takte eins bis 17 des Kopfsatzes "Allegro con brio" hat der Komponist bei seiner Revision identisch übernommen. Doch dann reduziert er den ein wenig zu dichten, zu "voll gepackten" Satz der Erstfassung. Bei dieser gibt es zum Beispiel auf dem Weg zum ersten großen melodischen Höhepunkt noch wie auftrumpfend wirkende Achtel-Tonleiter-Aufgänge. Sie verstärken die Kulmination noch – und fehlen in der Zweitfassung. Zur folgenden schwelgerischen Melodie mit der markanten fallenden Sexte erklingen in der Erstfassung pochende repetierende, nervös vorwärtsdränge Achtel im Klavier, eine recht traditionelle Begleitung. Der jugendliche Strauss hat sie sich bei Komponisten-Kollegen wie Schumann oder Mendelssohn abgelauscht.
    Musik: Richard Strauss, Sonate für Clavier und Violoncelllo F-Dur, Urfassung (1881), Allegro con brio
    Und hier zum Vergleich die Lösung für die zweite Fassung. Die "Sextfall-Melodie" bleibt erhalten, aber die Begleitung hat einen gänzlich anderen Charakter. Elegant in Achtel aufgefächerte Akkorde lassen die Stelle so viel weicher klingen.
    Musik: Richard Strauss, Sonate für Violoncello und Pianoforte F-Dur, op. 6 (1883), Allegro con brio
    Den ersten Satz aus der frühen Fassung hat Strauss in den Grundzügen beibehalten, aber in der späteren Version vieles profilierter, satztechnisch gekonnter herausgearbeitet. Die recht kurze Durchführung wird etwa durch eine längere ersetzt, wobei das erste und zweite Thema quasi kontrapunktisch übereinandergeschichtet werden. Überraschend dürfte für Kenner der Spätfassung sein, dass in der Frühfassung am Schluss des Kopfsatzes das zweite Thema in lichtem A-Dur erscheint, ein Abschnitt, den Strauss bei der Revision gestrichen hat, wie hier zu hören.
    Musik: Richard Strauss, Sonate für Violoncello und Pianoforte F-Dur, op. 6 (1883), Allegro con brio
    Bei der Überarbeitung seiner Cellosonate ersetzte der Komponist den zweiten und den dritten Satz komplett durch neu komponierte Sätze und gab dem Gesamtwerk so einen ganz anderen Charakter. Stand der Mittelsatz "Larghetto" zuerst in C-Dur (also der Dominante zur Grundtonart F-Dur,) und evozierte damit eine zart-liebliche, manchmal wehmütige Stimmung, so wurde daraus ein Andante in düsterem d-Moll (also der Paralleltonart).
    Elegant, zart, delikat
    Dennoch hat der liedhafte C-Dur-Satz der Erstfassung seinen Reiz, etwa mit den weitgespannten melodischen Linien, manchen ins Grüblerische gehenden Passagen oder dem dialogisch-motivischen Austausch von Cello und Klavier. Raphaela Gromes wirbt mit einem sehr warmen Ton voller Intensität, sie verleiht dem Stück Eleganz. Und Julian Riem am Klavier ist ein Meister der delikaten, zart und schillernd gefärbten Klavier-Kontrapunkte.
    Musik: Richard Strauss, Sonate für Clavier und Violoncelllo F-Dur, Urfassung (1881), Larghetto
    Die Stimmung des Mittelsatzes der späteren Version ist voller Melancholie, vieles klingt in tieferen Lagen und ist in fahles Licht getaucht. So entsteht ein stärkerer Kontrast zum Kopfsatz. Dieser Satz scheint "romantischer", schwermütiger und trostloser als der helle C-Dur-Satz der Erstfassung. Faszinierend, mit welcher Ruhe, aber auch Reife die beiden Künstler dieses Andante präsentieren und die Musik manchmal fast zum Stillstand kommen lassen. Aber der Spannungsfaden reißt nie ab.
    Musik: Richard Strauss, Sonate für Violoncello und Pianoforte F-Dur, op. 6 (1883), Andante ma non troppo
    Die beiden Finalsätze von Früh- und Spätfassung unterscheiden sich ebenfalls stark, weisen aber doch einige Gemeinsamkeiten auf. Beide stehen im Sechsachtel-Takt, beide haben eine Art jagenden Scherzo-Charakter, beide stecken voller Musizierlust. Während das "Allegro vivace" der Frühfassung sich noch stark an Vorbilder wie etwa Mendelssohn anlehnt, spricht aus dem "Allegro vivo" der Spätfassung so etwas wie verschmitzter, hintergründiger Witz. Die Nonchalance wie sich das Thema vorstellt, lässt ein wenig an die etwa zehn Jahre später entstandene Tondichtung "Till Eulenspiegel" denken.
    Musik: Richard Strauss, Sonate für Violoncello und Pianoforte F-Dur, op. 6 (1883), Finale. Allegro vivo
    Neckisch, gelassen, geradezu frech kommt dieses Finale der Cellosonate von Richard Strauss daher. Auch bei dieser zweiten Version war der Komponist noch keine zwanzig Jahre alt. Man hört, wie er sich von den klassischen Modellen emanzipiert und mehr zu seiner eigenen Tonsprache gefunden hat.
    Strauss' Gespür für Farben und Effekte schon früh ausgeprägt
    Strauss, der ja von Kindesbeinen an selbst als Pianist und Geiger ein passionierter Kammermusiker war, zeigt schon hier eine staunenswerte Meisterschaft als Komponist. Er weiß genau, wie Effekte zu realisieren sind, man hört schon hier sein untrügliches Gespür für Farben, die er später in seinen Tondichtungen und vor allem in seinen Opern so virtuos handhabt. In der Frühfassung der Cellosonate findet man all dies auch angelegt, aber weniger ausbalanciert, mehr auf Virtuosität ausgerichtet. Raphaela Gromes und Julian Riem begeistern, wie souverän, wie musikalisch ausgefeilt, wie passioniert und wie geschmackvoll sie diese technisch anspruchsvolle Kammermusik vermitteln. Gerade der Finalsatz der Erstfassung verlangt den Künstlern einiges ab.
    Musik: Richard Strauss, Sonate für Clavier und Violoncelllo F-Dur, Urfassung (1881), Allegro vivace
    Es ist natürlich keine Frage, dass die zweite Fassung der Cellosonate die kompositorisch reifere ist. Dennoch, auch die Erstfassung ist sehr qualitätvolle Kammermusik, die mit vielen anderen romantischen Cello-Werken spielend mithalten kann. Beide Fassungen sollten künftig gespielt werden, und die Idee, sie auf einer CD zu kombinieren, gibt lohnende Einblicke in die kompositorische Entwicklung von Richard Strauss.
    Musik: Richard Strauss, Morgen!, op. 27 Nr. 4, arrangiert für Violoncello und Klavier
    Zwischen den beiden Fassungen von Richard Strauss‘ Cellosonate runden Raphaela Gromes und Julian Riem ihre CD mit einem weiteren wichtigen Genre des kompositorischen Schaffens von Strauss ab, sie spielen sechs frühe Lieder, arrangiert für Violoncello und Klavier. Dabei eignen sich natürlich die mit ausgeprägten gesanglichen Melodien gestalteten Lieder gut, zum Beispiel die berühmte "Zueignung" oder "Morgen".
    Musik: Richard Strauss, Morgen!, op. 27 Nr. 4, arrangiert für Violoncello und Klavier
    Richard Strauss’ Lied "Morgen!", op. 27 arrangiert für Cello und Klavier. Zum Abschluss der CD bieten Raphaela Gromes und Julian Riem noch ein "Schmankerl", bei dem der ungeheuer feinsinnige Pianist Julian Riem seine Qualitäten als phantasievoller Arrangeur unter Beweis stellt: Die Walzer-Suite aus dem Rosenkavalier.
    Musik: Richard Strauss, Der Rosenkavalier: Walzer-Suite, arrangiert von Julian Riem
    Ein Ausschnitt der Walzer-Suite aus Richard Strauss’ "Rosenkavalier". Das war "Die neue Platte" im Deutschlandfunk, heute über Cello-Werke von Richard Strauss mit der ersten und zweiten Fassung der Cellosonate, op. 6 F-Dur, gespielt von Raphaela Gromes, Cello und Julian Riem, Klavier. Die CD ist bei Sony Classical erschienen.
    Richard Strauss: Cello Sonatas
    Raphaela Gromes, Violoncello
    Julian Riem, Klavier
    Label: Sony Classical / EAN: 194397188325