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Traumziel klinische Anwendung

Medizin. - Der Weg in Richtung klinischer Anwendung ist für viele medizinische Forschungsprojekte steinig. Das gilt auch für Hoffnungsträger Stammzellen. In Bonn dachten jetzt Forscher auf Einladung des Europäischen Stammzellen-Konsortiums über eine "Straßenkarte Richtung Klinik" nach.

Von Michael Lange | 27.10.2006
    Zittern und Bewegungsstörungen. Das sind typische Symptome, unter denen Parkinson-Patienten zu leiden haben. Ihnen fehlt der Botenstoff Dopamin in einer bestimmten Region des Gehirns, dem Striatum, auch genannt Streifenkörper.
    Um die Dopaminmenge im Gehirn zu erhöhen, gibt es heute wirksame Medikamente. Aber sie sind nicht mehr als eine Krücke, die den Betroffenen hilft, den Alltag zu bewältigen. Sie lindert Bewegungsstörungen und kann im besten Fall das Fortschreiten der Krankheit verzögern. Mit Hilfe von dopaminbildenden Zellen ließe sich die Therapie verbessern, hoffen die Stammzellenforscher. Und der Neurologe und Parkinson-Experte Wolfgang Oertel von der Universität Marburg stimmt ihnen zu:

    "Das Problem ist, dass die Tablette wie ein Klumpen in den Magen fällt und dann im Dünndarm ankommt. Und dann gibt es eine Art Welle zum Gehirn, so dass das Gehirn Wellen von Medikament sieht. Bei einer idealen Stammzellentherapie, sollte das gelingen, wird das Dopamin im Kopf selber gleichmäßig freigesetzt."

    Viele Stammzellenforscher aus der ganzen Welt, arbeiten in ihren Labors daran, solche dopaminbildenden Zellen zu züchten. Wenn sie zur Transplantation bereit sind, müssten sie mit einer feinen Nadel genau an die richtigen Stellen im Gehirn gespritzt werden. Dort ist es dann wichtig, dass sie in Kontakt treten mit den gesunden Zellen des Gehirns. Oertel:

    "Dann werden diese Zelle an einer bestimmten Stelle des Gehirns eingebaut. Dort produzieren sie Dopamin, sehr regelmäßig. Dann würde der Patient Medikamente nicht mehr benötigen, die sonst per Mund über Darm und Blut ins Gehirn das Dopamin ersetzen."

    Im Tierversuch sind solche Zellen bereits vielfach ausprobiert worden. Anders Björklund von der Universität Lund in Schweden arbeitet seit vielen Jahren in diesem Bereich:

    "”Wir wollen die Zellen anleiten, damit sie sich so verhalten, wie wir es wollen. Unser Ziel ist es, die Zellen zu kontrollieren. Dann erst vermehren wir sie und bereiten sie vor für die Transplantation. Erst wenn wir die Zellen vollkommen unter Kontrolle haben, sind sie fertig zur Transplantation.""

    In Tierversuchen kann Andres Björklund inzwischen beachtliche Erfolge vorweisen. Die Gefahr der Tumorbildung konnte inzwischen reduziert werden. Aber es bleibt ein Risiko. Der Neurologe Wolfgang Oertel mahnt zur Vorsicht. Dopaminbildende Stammzellen können die Beweglichkeit der Patienten verbessern, und die Entstehung der Symptome deutlich hinauszögern, mehr nicht. Oertel:

    "Stammzellen sind ein Teil des Versuchs, Krankheiten zu behandeln. Ob eine Heilung damit erzielt wird, steht vollkommen in den Sternen. Dann müsste man andere Stammzellen produzieren. Nicht die Dopamin herstellenden Stammzellen."

    Die Biotechnologie-Firma Geron in Kalifornien hat deshalb beschlossen, den ersten Klinik-Test für embryonale Stammzellen nicht bei Parkinson-Kranken durchzuführen, sondern bei Patienten mit einer Rückenmarkverletzung. Wenn die Behandlung mit Stammzellen funktioniert, könnten sie tatsächlich geheilt werden, so die Hoffnung. Vorausgesetzt die US-Gesundheitsbehörden stimmen zu, könnte es schon 2007 losgehen. Die in Königswinter versammelten europäischen Stammzellenexperten halten das für verfrüht und riskant. Tagungsorganisator Oliver Brüstle von der Universität Bonn:

    "Ich halte das für früh, für zu riskant. Wenn hier nur in wenigen Fällen Schwierigkeiten auftreten, dann wird das nachteilige Auswirkungen für die Patienten haben. Das ist sicherlich das schlimmste. Aber auch nachteilige Auswirkungen für das Forschungsfeld, wenn eine Technologie zu früh in die Anwendung gepresst wird, bevor alle Zwischenschritte systematisch durchlaufen worden sind."

    Die Straßenkarte in Richtung Klinik zeigt auf, welche Zwischenziele die Stammzellenforscher erreichen müssen, bevor sie die ersten Patienten behandeln. Die Wissenschaftler in Europa planen deshalb weitere Studien mit Zellkulturen und Versuchstieren.