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Trieb zum Therapeutischen

Der Kabarettist Ringsgwandl heißt eigentlich Dr. Georg und wirkte bis zu seinem 45. Lebensjahr als kardiologischer Oberarzt am Klinikum in Garmisch-Partenkirchen. Diese Tätigkeit hat er lange schon zugunsten seiner erfolgreichen Bühnenauftritte eingestellt - nun gibt's ihn zu lesen.

Von Hartmut Kasper | 10.11.2011
    Kabaretttexte, die nicht vom leibhaftigen Kabarettisten vorgetragen werden, haben es nicht immer leicht. Es fehlen Gestik, Stimme und Statur, die gesamtkünstlerische Präsenz des Künstlers eben.
    Und es fehlt auch das geeignete Gegenüber, das von seinem Witz erleuchtete Publikum und sein mal artiger, mal zornentbrannter Beifall.
    Nun wirft der Rowohlt Taschenbuch Verlag gesammelte Geschichten des Kabarettisten Ringsgwandl unters Volk – "Hilfreiche Geschichten", wie es im Untertitel heißt.

    Und da der Obertitel "Das Leben und Schlimmeres" lautet, klingt es, als müsse der Leser einen weiteren dieser Lebensratgeber befürchten, die seit Jahren aus den Regalen der Buchhandlungen schießen wie Pilze nach dem Regen.

    Dabei hätte Ringsgwandl von Haus aus sogar ein gewisses Recht, ratgeberisch tätig zu werden. Der Kabarettist Ringsgwandl heißt mit Vornamen nämlich Dr. Georg und wirkte bis zu seinem 45. Lebensjahr als kardiologischer Oberarzt am Klinikum in Garmisch-Partenkirchen.
    Diese Tätigkeit hat er lange schon zugunsten seiner Bühnenauftritte eingestellt, und man könnte vermuten, dass er seinen Trieb zum Therapeutischen nun eben auf den Brettern der Kleinstkunstbühnen auslebt.

    Tatsächlich verströmen seine Geschichten immer wieder ein leicht heilkundiges Aroma.

    Sie handeln von siechen Hunden, homöopathischen Wurmkuren, von möglicherweise nuklear verseuchten Kröpfen und Gluten-Allergien; sie tragen Titel wie "Dermatologie", "Unfruchtbarkeitssprechstunde" oder – und hier wird nicht zu viel versprochen – "Das Knie. Biomechanisches Drama in drei Akten".

    Infolgedessen tummeln sich in Ringsgwandls Erzählkosmos denn auch überproportional viele HNO-Ärzte, bulgarische Anästhesistinnen, Chirurgen, Homöopathen, Irisdiagnostiker, Reproduktionsmediziner und anderes mit der Heilbarkeit der Welt beschäftigtes Personal.
    Natürlich blitzt dabei auch immer wieder das Expertenwissen des studierten Äskulap-Jüngers auf:

    "Achtzehn Jahre ist es her, dass ich meine Stelle als Krankenhausdoktor in Garmisch-Partenkirchen aufgegeben habe, aber noch immer werde ich um medizinischen Rat gebeten. Neulich rief mich eine alte Freundin an.
    "Du Georg, unser Hund ist krank. Was soll ich machen?"
    "Keine Ahnung."


    Dr. Ringsgwandl praktiziert nicht mehr. Sein Tipp:

    "Warum gehst du nicht einfach zum Tierarzt?"
    "Nein, kommt überhaupt nicht infrage."
    "Verstehe."
    Sie selbst ist auch Ärztin, ihren Patienten verschreibt sie die giftigsten Tabletten, welche die chemische Industrie zwischen Basel und Ingelheim hervorbringt, aber den Hund bringt sie zum Homöopathen.


    Der Kardiologe außer Dienst indessen tut, was alle Leute tun, wenn sie eigentlich nichts zu tun haben: Er kauft Brötchen, sieht fern, fährt Bahn oder liest Zeitung.

    "Das Gehirn ist ein empfindliches, hochkomplexes Organ, das nicht sauber funktioniert, wenn es noch von den Stoffwechselschlacken nächtlicher Getränke umspült wird. An jenem trüben Morgen wäre es nicht in der Lage gewesen, eine Zeitung mit kleiner Schrift und wenig Bildern zu verarbeiten. Deshalb entschied ich mich für den Nachtexpreß ( ... ). An Wochentagen kostet dieses Boulevardblatt sechzig Cent, aber weil ich die Schlagzeile billig und niederträchtig fand, setzte ich den Verkaufspreis um 90 Prozent herab und ließ eine Fünf- und eine Ein-Cent-Münze in den Kassenbehälter klappern, entnahm ein Exemplar und wandte mich wieder heimwärts."

    Heimwärts, wo man, wie gesagt, nichts Besseres tun kann, als fernzusehen.

    "Manchmal sitze ich nachmittags vor dem Fernseher. Draußen ist es zwar schön, aber ich habe schon so viele schöne Tage erlebt, ich zieh die Vorhänge zu."

    Manche seiner Geschichten sind so ordentlich gegliedert, als wären sie als Vorschläge für´s deutsche Zentralabitur geschrieben: Einleitung, Hauptteil und Schluss. Die Pointe stimmt. Und gut vorbereitet war sie auch noch.
    Viel eindrücklicher aber sind die Geschichten, die voll und ganz auf Abwege geraten, aberwitzige Drehungen und Wendungen vollführen, die der Leser beim besten Willen nicht hat vorhersehen können, die völlig ausufern, dabei eine ganze Flut von Pointen freisetzen und am Ende im kabarettistischen Niemandsland landen, irgendwo zwischen Groteske und Kalauer, Hugo Ball und Peter-Frankenfeld Version 2.0:

    "Kann ich meinen Abfallberater sprechen?"
    "Selbstverständlich ( ... ) Wie heißen Sie denn?"
    "Ringsgwandl."
    "Mit D?"
    "Nein, mit R."
    "Hinten mit D?"
    "Ja, als vorletzter Buchstabe, vor dem L, und ohne E, und ganz vorn das R."
    "Wieso R, ich dachte D?"
    "Das D ist der vorletzte Buchstabe. Das R steht ganz vorn."
    "Ach so, das hab ich schon wieder vergessen, diese langen Namen immer."


    Überall, sowohl im großen Ganzen der Geschichten wie in ihren vokabulatorischen Details macht sich eine manchmal überbordende Fabulierlust bemerkbar.
    So findet Ringsgwandl Oberammergau nach seinem pestabwendenden Gelübde, das dem Flecken die Pflicht zum regelmäßigen Passionsspiel auferlegt hat, seitdem merklich verändert:

    "Jetzt sitzen die Einheimischen neun Jahre daheim und lassen ihre Schnitzcomputer Madonnen und trinkselige Mönche fabrizieren, die sie im zehnten Jahr von Saisonarbeitskräften in ihrem Laden verkaufen lassen, während sie selbst gewinnbeteiligt in Bettwäsche und flachem Schuhwerk auf der teilüberdachten Bühne fromme Texte verbreiten. Kein schlechtes Geschäft für einen Standort ohne Bodenschätze.

    Kein schlechtes Geschäft macht auch der Käufer dieses Buches. Zwar muss er auf Musik und Gesang verzichten, auf die Zither und auf das Gitarrenspiel, das Ringsgwandl sich im Laufe eines achtmonatigen Sanatoriumsaufenthaltes wegen Tuberkulose selbst beigebracht hat.
    Aber siehe da: Die Texte sind auch ohne Minenspiel und musikalische Untermalung ein schieres Vergnügen.

    Ringsgwandl: Das Leben und Schlimmeres. Hilfreiche Geschichten. rororo. Reinbek bei Hamburg 2011, 256 Seiten, 9,90 EUR