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Triebe und Thronfolge

In der Oper "Semiramide", die Gioacchino Rossini der gleichnamigen babylonischen Monarchin widmete, geht es um die nicht ganz feine Art, mit der sie die dynastischen Verhältnisse zu regeln suchte. Die selten gespielte Rossini-Oper hatte gestern an der "Vlaamse Opera" Premiere.

Von Frieder Reininghaus | 13.12.2010
    Zuzutrauen wäre der legendär schönen und klugen babylonischen Königin Semiramis das Verbrechen, das Voltaires und Gaetano Rossis Dichtungen ihr anlasten, durchaus: ein Giftmord an ihrem (zweiten) Ehemann Ninos. Dem Liebhaber Assur, der das Schurkenstück ausführte, sollte der Weg zu Bett und Thron freigemacht werden. Doch eingedenk eines Orakelspruchs und aufgrund einer gewissen Dynamik ihres Hormon- und Gefühlshaushalts gibt die absolutistische Herrscherin bei der mit Spannung erwarteten Thronrede den Namen des an den nördlichen Grenzen ihres Reiches erfolgreichen jungen Feldherrn Arsace als Ninos Nachfolger bekannt. Der bekommt aber nicht nur die Regentschaft, sondern sie selbst als höchstes Gut angedient. Derweil liebt er eine ebenfalls schöne, allerdings auch noch junge Prinzessin, die von Semiramis der guten Ordnung halber an einen indischen König verklappt wird.

    Eingeleitet werden die babylonischen Hofintrigen von einer Sinfonia, bei der sich – wie insgesamt an diesem viereinhalbstündigen Opernabend – die Umsicht und Kompetenz von Alberto Zedda als Spezialist für diese Musik erneut unter Beweis stellt. Zedda, der ja auch um die kritische Urtextausgabe der Opern Rossinis verdient und der Hauptmotor des Rossini-Festivals in Pesaro war, animiert das Orchester der Flämischen Oper mit kleinen konzentrierten Bewegungen zu einem präzisen, bestens dosierten und lebendigem Spiel. Nicht nur solistische Momente einzelner Bläser bringen sich vorteilhaft zur Geltung, sondern insgesamt das Mannschaftsspiel.

    Nigel Lowery sorgte für die Gestaltung des Bühnenraums, der Kostüme und die Inszenierung. Dennoch wirkt sein Konzept der Aktualisierung bestenfalls halbherzig. Angedeutet am Bühnenportal und abgebildet an der Rückwand der Bühne, später auch auf Vorhängen, findet sich einer der Paläste Saddam Husseins, der im letzten Irakkrieg von amerikanischen Truppen schwer beschädigt wurde. Zunächst verstellt ein hermetischer, auf Stelzen stehender Kubus die Bühnenfläche (am Ende sieht man in ihm den Geist des gemeuchelten Königs Ninos am Kaminfeuer sitzen). Zwischenzeitlich dienen Umzugskartons den uniform mit Karsai-Mützen ausstaffierten Choristen als Podeste und als Objekte, die sich durcheinanderwürfeln lassen. Angedeutet werden, und das ist ein plausibler Ansatz, Insignien des Niedergangs jener großen Macht, die insbesondere nach persischer Überlieferung von Semiramis begründet worden sein soll.

    Tatsächlich kommt sie in dieser Oper gewaltsam zu Tod: der erfolgreiche Feldherr Arsace, der niemand anderer ist als ihr gemeinsam mit Ninos auf den Lebensweg gebrachter Sohn, tötet beim Showdown versehentlich die Mutter statt des Vatermörders und Rivalen Assur. Josef Wagner bekommt in der Rolle dieses Bösewichts, der besonders hässlich kostümiert wurde, gebührend Beifall.

    Als vorzüglichste Stimmen profilieren sich die der Mezzosopranistin Ann Hallenberg, die auch in den tieferen Lagen noch über einen besonders tragfähigen und kräftigen Ton für den lange zaudernden Helden Arsace verfügt, und Myrtò Papatanasiu, die Glanz und Elend der großen Königin in die dramatische Sopran-Titelpartie legt.

    Würde nicht so viel sinnlos herumgestanden und die Möglichkeiten der Einblendungen sinnfälliger genutzt, wäre eine rundum gelungene Rossini-Produktion zu begrüßen.
    Informationen:
    Vlaamse Opera in Antwerpen