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"Tristan und Isolde" in Bayreuth
Kein Ausweg nirgends

Die Inszenierung von "Tristan und Isolde" durch Katharina Wagner bei den Bayreuther Festspielen ist schlank, abstrakt – und hat einen logischen Fehler in der Dramaturgie. Berauschend ist dagegen die klangliche Vielfalt, mit der Christian Thielemann die Oper musikalisch umsetzt.

Von Christoph Schmitz | 26.07.2015
    "Tristan und Isolde", Probenfoto von 2015, 2. Aufzug (von unten nach oben): Evelyn Herlitzius (Isolde), Stephen Gould (Tristan). Die Oper in der Inszenierung von Katharina Wagner feiert am 25.07.2015 bei den Bayreuther Festspielen 2015 in Bayreuth (Bayern) Eröffnungspremiere
    Stephen Gould und Evelyn Herlitzius als "Tristan und Isolde" 2015 (Bayreuther Festspiele / dpa / Enrico Nawrath)
    Tristan und Isolde haben bei Katharina Wagner von Anfang an keine Chance. Sie stecken in einem Kerker fest. Kaum ist das Vorspiel verklungen, irrt das Liebespaar durch ein albtraumartiges Labyrinth, getrennt, die beiden finden nur schwer zusammen. Von einem Schiff auf offener See ist weit und breit nichts zu sehen. Einem unübersichtlichen Wirrwarr aus beweglichen Treppengängen sind die Liebenden ausgesetzt. Es gleicht den düsteren Zeichnungen der Carceri von Giovanni Battista Piranesi.
    Tristan und Isolde in blauen Kostümen wirken wie eingesperrt in den Gängen eines finsteren Gefängnisses. Ihre Liebe und damit ihr Verrat an König Marke, der Isolde bekanntlich heiraten möchte, ist offensichtlich längst entdeckt worden, anders als es im Textbuch steht. Zur Strafe sitzen die Titelhelden nun ein. Ihre treuen Begleiter Kurwenal und Brangäne - grün gekleidet - versuchen vergeblich, sie auseinander zu halten. Die Liebe zwischen Tristan und Isolde soll nicht schon wieder offensichtlich werden unter den Augen des Königs und seiner Leute, die senfgelbe Anzüge tragen. Den vermeintlichen Todestrunk trinkt das Paar nicht, schüttet das rote Elixier aus - auch in der Gefangenschaft wollen die beiden ihre Liebe leben und finden sich im zweiten Aufzug in einem Verlies wieder, einer schwarzen Folterkammer tief unter der Erde voller Eisengitter und Eisenbögen in den Wänden, die als Stufen zur Flucht dienen könnten, aber sogleich abreißen, sobald eine Hand nach ihnen greift.
    Das böse Licht des Tages sind in der Bayreuther Inszenierung die kalten Scheinwerferstrahlen, die Markes Leute von hoch oben auf die Gefangenen werfen, um ihnen Schlaf, Frieden, Intimität zu rauben. Und bei einer der stärksten Stellen des Stücks, wenn Tristan und Isolde traumverloren die Nacht beschwören und zumindest ihre Seelen sich vereinen, stehen die Protagonisten bei Katarina Wagner mit dem Rücken zum Publikum nebeneinander und betrachten auf der Bühnenrückwand die Schattenprojektionen zweier Gestalten, die mit den Minuten zu Kindern werden, aber nicht zueinander finden.
    Logische Fehler
    Und mit den Worten "So stürben wir, um ungetrennt, ewig einig, (...) der Liebe nur zu leben" schlitzen sich Tristan und Isolde die Pulsadern auf. Daß die Selbsttötung gelingt, vereitelt Marke. Er ist in der Bayreuther Inszenierung der Bösewicht. Am Ende, nach Tristans Tod im Nirgendwo einer schwarzen Ödnis, zwingt Marke Isolde ihn zu begleiten. Den Liebestod darf sie in Bayreuth nicht sterben. Unplausibel ist diese Deutung der Oper nicht. Immerhin erklärt Katharina Wagner das Liebespaar nicht für verrückt. Die Vorgängerinszenierung unter Christoph Marthaler hatte Tristan und Isolde noch pathologisiert, wie auch die jüngste Stuttgarter Deutung.
    Ganz logisch ist der neue Bayreuther Versuch aber auch nicht. Denn Marke reist ja Tristan und Isolde hinterher, um sich mit ihnen zu versöhnen, weil er gerade erst erfahren hat, dass die beiden für ihre Liebe und ihren Verrat gar nichts können. Denn der unwissentlich eingenommene Liebestrank hat sie ja verwirrt. Diesen Zaubertrank aber haben Tristan und Isolde bei Katharina Wagner, wie erwähnt, gar nicht getrunken, es gibt also keinen Grund zur Versöhnung.
    Gravierender als diese Ungenauigkeit ist das Szenen-Potpourri der Regie: Zuerst ein allseits bekanntes und daher wenig originelles Kerkertreppen-Motiv, wo sinnlos herumgelaufen wird, dann ein jahrmarkttauglicher Eisenstäbekeller und am Schluss winkende Isolden in Lichtpyramiden – Tristans Imaginationen, bei denen Isolde auch mal in Schwärze versinkt, sich den Kopf abnimmt oder das Gesicht abzieht. Als wollte man zeigen, was die Bühnentechnik alles so drauf hat - Budenzauber. Zwingend ist das alles nicht. Anders die Musik unter Christian Thielemann.
    Wie aus dem Nichts schafft Thielemann die Klänge. Er ist ein Meister des ausdifferenzierten Piano. Sehr beweglich entfaltet er die Partitur in Tempo und Dynamik. Die schönsten Farben fächert er auf. Ganz bei sich ist diese Musik, nie überhitzt oder überdehnt. Auch Stephen Gould als Tristan macht seine Sache gut, auch wenn er immer wieder dazu neigt, sich in die Töne von unten, ein paar Frequenzen tiefer einzuschwingen. Von dunklem Glanz die Brangäne der Christa Mayer, um nur sie unter den vorbildlich besetzten Nebenrollen zu nennen. Enttäuschend dagegen die erst vor vier Wochen eingesprungene Evelyn Herlitzius als Isolde. Ihre Höhen und ihr Forte sind eigentlich nie schön, sondern immer schrill, überdreht und vibratolastig, während ihr mittleres Register nur wenig ausgebaut ist. So hinterlässt der neue Bayreuther "Tristan" einen zwiespältigen Eindruck. Seit Hans Neuenfels' "Lohengrin" ist auf dem Grünen Hügel rundum nicht viel geglückt. Es wäre an der Zeit.