Dienstag, 19. März 2024

Archiv


Triste Aussichten

Kreativität und Innovation - das, was Sender oft in ihren Stellenausschreibungen fordern, sucht man auch 2011 im TV-Angebot vergeblich. Die Privatsender setzen weiterhin auf Altbewährtes: Castingshows, Heimwerker, Freizeitköche und Gelegenheitstalente.

Von Klaus Deuse | 08.01.2011
    Wie gehabt ein gefundenes Fressen für Juror Dieter Bohlen, der sich nach solchen Darbietungen mit seinen Sprüchen gern unterhalb der Gürtellinie tummelt.

    "Wenn die morgens in die Toilette geht und da reinpinkelt, dann klingt das besser als jeder Ton, den du singst."

    Gesucht wird 2011 nicht nur wieder der Superstar, den nach einem Jahr sowieso keiner mehr kennt, sondern auch das so genannte "Supertalent". Man fasst es nicht, wie viel begnadete Menschen offenbar noch frei in Deutschland herum laufen, die aus unerfindlichen Gründen noch nicht entdeckt worden sind. Junge Frauen, die nicht singen können, dafür aber rumzicken und einigermaßen aussehen, landen auch 2011 bei Heidi Klum in deren Casting-Show "Germany’s next Top-Model."

    "Jetzt hab ich diesen wunderschönen Catwalk noch ganz für mich alleine, aber das wird sich ändern, wenn ihr hier oben seid, müsst ihr einfach alles geben. Das ist euer Moment."

    Im Unterschied zu den Kandidatinnen geben die Fernsehsender längst nicht mehr alles. Die meisten treten kräftig auf die Kostenbremse. So mussten fast alle der 560 deutschen Produktionsfirmen schon in den vergangenen beiden Jahren Gewinnverluste hinnehmen. Die RTL Group etwa gab für Produktionen über 400 Millionen Euro weniger aus und Pro7/ Sat 1 senkte die Ausgaben um rund 220 Millionen Euro. Während sich die Produktionskosten für eine Episode einer TV-Staffel wie etwa "Unter uns" bei RTL auf circa 500.000 Euro belaufen, machen es x-beliebige Menschen vor der Kamera wesentlich billiger. Und darum schwappt geradezu eine Flut von Doku-Soaps und Scripted-Reality-Formaten über den Bildschirm.

    Vor allem bei VOX, Kabel 1, Pro 7 und RTL wimmelt es von solchen Serien. Im Prinzip kann man 2011 wildfremden Menschen rund um die Uhr bei allem zusehen, was sie so treiben. Wie sie als Heimwerker herum dilettieren, ihr erstes Restaurant aufmachen, mit ihrer schmierigen Imbissbude dann in die Pleite schlittern oder in "Der Traum vom Eigenheim" Geld und Verstand verlieren. Für ihre Doku-Soaps haben die Sender aber vor allem an verkorksten Familien einen Narren gefressen, in denen es zugeht wie bei Hempels unterm Sofa.

    "Ick gloob, ick war in der letzten Zeit eine sehr schwere Mutter. Und sag, datt will ick auf alle Fälle ändern. Also werd ick in erster Linie erst mal an mich arbeiten, bevor ick jetzt versuch, weiter an Janine zu arbeiten."

    "Besonders auffallend ist Björn mit seiner Aggressivität. Er ist jetzt von drei Schulen geflogen, weil er sich nicht benehmen kann. Und er schlägt also auch zu Hause eigentlich jeden."

    Aber im deutschen Fernsehen fliegen 2011 in Doku-Soaps nicht nur die Fetzen, da laufen in immer mehr Kochshows die Herdplatten heiß. Brutzel-Sendungen, in denen die Hausfrau von Profis ganz Erstaunliches erfährt. Zum Beispiel über den Viktoria-Barsch und den Fisch als Nahrungsmittel an sich.

    "Und vor allen Dingen hat der hier keine Gräten. Ich hasse eigentlich Fische so mit Gräten. Das ist nicht ganz mein Ding."

    TV-Köche wie Claudia Poletto sparen aber auch nicht mit Kritik.

    "Diese Tomate hier. Das ist so ein bisschen nichtssagend. Nett gemeint. Aber es schmeckt nach nichts."