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Trittin: Bundesregierung versucht Eurokrise "auszusitzen"

Die Schuldenkrise werde wegen der "europapolitischen Zerstrittenheit" der Bundesregierung nicht gelöst, sagt der Fraktionschef der Grünen, Jürgen Trittin. Auf dem Schuldengipfel in Paris hätten sich Kanzlerin Merkel und Nicolas Sarkozy zudem "in eine selbst gewählte Blockade reinbegeben".

Jürgen Trittin im Gespräch mit Gerd Breker | 17.08.2011
    Gerd Breker: Am Telefon sind wir nun verbunden mit dem Fraktionsvorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen, mit Jürgen Trittin. Guten Tag, Herr Trittin!

    Jürgen Trittin: Guten Tag, Herr Breker!

    Breker: Herr Trittin, Ihre Wertung des gestrigen Treffens - ein großer Schritt für Europa und ein kleiner Schritt gegen die Finanzkrise?

    Trittin: Ich würde sagen, ein kleiner Schritt für Europa und gar kein Schritt gegen die Finanzkrise. So richtig es ist, dass wir eine europäische Wirtschaftsregierung brauchen, so albern ist es - wenn Herr van Rompuy zwei Mal im Jahr Frau Merkel und Herrn Sarkozy zu einem Treffen einlädt -, von einer europäischen Wirtschaftsregierung zu sprechen. Eine europäische Wirtschaftsregierung hieße tatsächlich die Vergemeinschaftung der Wirtschaftspolitik bei der Kommission unter Kontrolle des Europäischen Parlamentes - das ist aber genau das, was Frau Merkel und Herr Sarkozy nicht beschlossen haben. Kein Schritt gegen die Krise, weil weiterhin gegen einzelne Staaten der Eurozone spekuliert werden kann, weil man den richtigen Schritt - der übrigens in der Finanzkrise im Fall Ungarn gegangen worden ist von der Europäischen Union, im Fall Estland gegangen worden ist, nämlich die Auflage europäischer Staatsanleihen -, weil man dazu keinen Mut hatte.

    Breker: Die Harmonisierung der Steuerpolitik, die Ankündigung einer Schuldenbremse in jeder Verfassung der Eurostaaten und auch dieses zweimalige Treffen im Jahr der Staats- und Regierungschefs auf Einladung von Herman van Rompuy - das könnte doch der Anbeginn einer gemeinsamen Wirtschaftsregierung sein.

    Trittin: Es ist immer schön, dass man so etwas macht, zwei Mal im Jahr treffen sich die Staats- und Regierungschefs sowieso heute schon. Also das ist nichts Neues. Wir reden in der Regel auch dann immer über Wirtschaftspolitik, auch das ist nichts Neues. Die anderen Aussagen und Ansagen sind natürlich völlig […Anmerkung d. Redaktion: Übertragungsfehler des Wortes], Frau Merkel, die sich scheut, die Vertragsänderung für europäische Staatsanleihen herbeizuführen, weil sie sagt, das wird nicht in jedem Land beschlossen, will uns nun weismachen, dass in jedem Land mit verfassungsändernder Mehrheit Schuldenbremsen verabredet werden - das wird zumindest, sage ich mal, ein sehr langwieriger Prozess. Und zum ich weiß nicht wievielten Male versprechen uns Merkel und Sarkozy die Einführung einer Finanztransaktionssteuer? Nur: Bisher gibt es keinerlei Zeichen dafür, dass David Cameron und die anderen Gegner innerhalb der Europäischen Union ihren Widerstand dagegen aufgeben, und es bedarf nun mal der Einstimmigkeit in diesem Fall. Insofern hat dieser Gipfel außer einigen sicherlich nicht falschen Ankündigungen nichts Konkretes erbracht, und sie haben in der entscheidenden Position, nämlich in der Frage, wie verhindern wir weitere Spekulationen gegen einzelne Mitgliedsstaaten, sich in eine selbst gewählte Blockade reinbegeben. Weil man dem D-Mark-Chauvinismus der FDP nachgegeben hat, verlängert man die Krise, und ich sage sehr deutlich: Das wird sie auch verteuern.

    Breker: Sie haben ja nicht grundsätzlich die Eurobonds ausgeschlossen, Herr Trittin. Das kann ja noch kommen.

    Trittin: Für diesen Fall hat die hiesige FDP angekündigt, die Koalition mit Frau Merkel aufzukündigen. Ich bin allerdings ziemlich sicher, dass am Ende des Tages man genau da landen wird. Aber, aber: Es ist doch das Problem im Umgang mit dieser Krise, dass man die notwendigen Entscheidungen immer wieder rausschiebt und damit die Krise verlängert, und verlängern heißt allemal auch verteuern, weil die Risiken immer größer werden. Man hat im Juli beschlossen der europäische Stabilisierungsfonds soll das Recht haben, marode Staatsanleihen aufzukaufen. Bis heute ist es nicht umgesetzt. Jetzt muss die Europäische Zentralbank weil das, was im Juli beschlossen worden ist, noch nicht umgesetzt worden ist, zu diesen Notmaßnahmen greifen. Das ist genau das Problem der Bundesregierung, dass sie die Eurokrise nicht angehen, sondern nach wie vor versuchen, sie auszusitzen. Und das hat etwas mit der europapolitischen Zerstrittenheit, ja, Handlungsunfähigkeit der deutschen Bundesregierung zu tun.

    Breker: Aus Ihrer Sicht, Herr Trittin - laufen die Politiker immer noch hinter den Finanzmärkten her, hat sich das nicht geändert?

    Trittin: Sie laufen hinterher und sie lernen aus den eigenen richtigen Beispielen nicht. Ich will darauf hinweisen, dass europäische Staatsanleihen nichts Neues sind. Als die internationalen Finanzmärkte gegen Ungarn, gegen Estland spekuliert haben, ist zu diesem Instrument gegriffen worden. Es hat sich als außerordentlich wirksam erwiesen. Estland und Ungarn sind beide auf einen Weg zurückgebracht worden, sich stabilitätsgerecht zu verhalten, aber gegen sie wird nicht mehr spekuliert. Warum geht man den Weg, den man erprobt hat, der sich als richtig erwiesen hat, nicht, außer aus innenpolitischen, kleinteiligen Motiven?

    Breker: Oder weil inzwischen die Summen einfach zu hoch sind, wenn Italien und Spanien ebenfalls Hilfe brauchen.

    Trittin: Ja, das werden Sie genau erleben: Wenn wir nicht zu europäischen Staatsanleihen kommen, wird am Ende, nachdem Frankreich sein Triple-A-Rating verloren hat, Deutschland der Einzige sein, der in einen erheblich aufgestockten europäischen Stabilisierungsfonds einbezahlt wird. Das ist die teuerste Variante, die ich mir vorstellen kann, und gerade, wer Schaden vom deutschen Volk abwenden möchte, der muss heute den mutigen und beherzten Schritt hin zu europäischen Staatsanleihen tun.

    Breker: Im Deutschlandfunk war das der Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Jürgen Trittin. Herr Trittin, ich danke Ihnen!

    Trittin: Ich danke Ihnen, Herr Breker!

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