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Trittin: Tornado-Einsatz erfordert neues Mandat

Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Bündnisgrünen, Jürgen Trittin, hat die Bundesregierung davor gewarnt, im Hinblick auf den Einsatz von Tornado-Aufklärungsflugzeugen in Afghanistan am Parlament vorbei zu agieren. Das derzeitige Mandat umfasse lediglich zeitlich begrenzte Nothilfe-Einsätze im afghanischen Süden, sagte er. Die Anfrage der NATO beziehe sich hingegen auf eine dauerhafte Stationierung von Flugzeugen.

Moderation: Christine Heuer | 22.12.2006
    Christine Heuer: Es ist erst ein paar Wochen her, da debattierte das politische Berlin heftig über den Einsatz von deutschen Bodentruppen im gefährlichen Südafghanistan. Die Bundesregierung ließ damals nicht mit sich reden, dieser Einsatz kam nicht. Nun hat die NATO deutsche Tornados inklusive Besatzung für Aufklärungsflüge über Südafghanistan angefordert. Und jetzt lässt Berlin mit sich reden. Die Anforderung, heißt es offiziell, werde geprüft, entschieden sei noch nichts. Aber viele Beobachter glauben das nicht. Dass die Tornados geschickt werden, steht für sie längst fest. Die Frage sei nur, unter welchen Bedingungen. Wie die Opposition die Sache einschätzt, darum soll es jetzt im Interview mit dem außenpolitischen Sprecher der Grünen im Bundestag gehen. Guten Morgen, Jürgen Trittin.

    Jürgen Trittin: Guten Morgen, Frau Heuer.

    Heuer: Herr Trittin, wie groß schätzen Sie denn die Bereitschaft der Bundesregierung ein, die jüngste NATO-Forderung zu erfüllen?

    Trittin: Nun, wir haben es hier schon mit einem interessanten Vorgang zu tun. Am 11. Dezember bekommt die Bundesregierung eine Anfrage auf den Tisch und weil dann am 20. Dezember eine Enthüllung in der Presse droht, unterrichtet sie in Panik die Fraktionen des Hauses. So geht man nicht mit dem Bundestag um. Und das zeugt davon, dass offensichtlich innerhalb der Bundesregierung die Neigung sehr hoch ist, dieser Bitte zu entsprechen. Der Staatsminister im Auswärtigen Amt hat ja allen Prüfbitten zum Trotz schon verkündet, grundsätzlich sei die Bundesregierung dazu bereit.

    Heuer: Das hat er im Deutschlandfunk getan. Herr Trittin, sagen Sie uns im Deutschlandfunk: Wie groß ist denn die Bereitschaft der Grünen, mitzuziehen?

    Trittin: Erst mal bedarf es hierfür eines neuen Mandats. Das ist nicht abgedeckt durch das ISAF-Mandat, was erteilt worden ist. Dort ist die Möglichkeit vorgesehen, zeitlich begrenzt und in Fällen, in denen dieses unabweisbar ist, hier Unterstützung im Süden zu leisten. Es geht hier nicht um eine zeitliche Begrenzung, sondern um die dauerhafte Stationierung von sechs Flugzeugen und 250 Soldatinnen und Soldaten. Und dass dieses unabweisbar ist, dass man den Briten und den Amerikanern da unter die Arme hilft, in einer Zeit, wo dieselben Nationen dabei sind, zu diskutieren, ob sie ihre Einheiten im Irak nicht verstärken, das möchten wir dann auch gerne doch mal sehen und nachgewiesen haben. Unter diesen Bedingungen jedenfalls sehen wir nicht, dass dieser Einsatz durch das bestehende Mandat gedeckt ist und dann muss die Bundesregierung ein neues dem Parlament vorlegen.

    Heuer: Lassen Sie uns noch auf diese beiden Argumente eingehen. Ich fange mal an mit dem, dass dieser Einsatz unabweisbar nötig sein muss. Nun könnte man ja argumentieren und sagen: Der Kampf gegen die Taliban ist entscheidend für den Frieden in Afghanistan und insofern ist die Unterstützung auch durch Deutschland unabweisbar notwendig?

    Trittin: Ja, wenn Sie unabweisbar so definieren, dann können Sie ja auch davon ausgehen, dass Sie auch vielleicht noch 10.000 weitere oder 100.000 weitere Soldaten dorthin schicken. Das ist kein Argument ...

    Heuer: Wie definieren Sie es denn?

    Trittin: Unabweisbar heißt, dass es notwendig ist, um die Stabilisierung des Südens hinzubekommen. Wir haben erhebliche Zweifel, ob die Methode, wie die Amerikaner insbesondere, aber auch die Briten dort vorgehen, nämlich erst mal zu glauben, man könne durch Luftschläge - und dafür sollen ja diese Tornados die Aufklärung liefern - dort alles plattmachen und anschließend die Menschen davon überzeugen, dass das in ihrem Interesse ist. Wir glauben, dass ein solch falsch verstandener Weg der Bekämpfung des Terrorismus' eher dazu führt, dass die Taliban stärker und nicht schwächer werden. Das wäre auch das erste Mal, dass es gelungen wäre, beispielsweise solche Kräfte mit Luftschlägen und mit Luftüberlegenheit tatsächlich entscheidend zu schwächen. Faktisch sind sie immer stärker durch so etwas geworden.

    Heuer: Das zweite Argument, das Sie genannt haben, ist die zeitliche Begrenzung solcher Einsätze. In der Tat ist das notwendig. Aber wer sagt denn, dass diese Einsätze nicht zeitlich begrenzt werden können?

    Trittin: Das Mandat ist an dieser Stelle eindeutig. Das heißt, es spricht von Fällen von Nothilfe, wo akut geholfen werden kann. Hier geht es darum, um fixe Stationierung - übrigens Stationierung wahrscheinlich einer Zahl von Soldaten, die ebenfalls über das Mandat hinausgeht. Und insofern ist die Bundesregierung gut beraten, wenn sie hier nicht versucht, am Parlament vorbei zu agieren. Denn das würde übrigens auch für Fortsetzungen von anderen Mandaten natürlich entscheidende Folgen haben: Wenn eine solch qualitative Veränderung eines Bundeswehrmandats allein durch exekutives Handeln geschieht, dann ist mit der Parlamentsarmee Bundeswehr nicht mehr viel her. Die Bundesregierung kommt nicht darum herum, mit ihren Verbündeten innerhalb der NATO endlich darüber zu diskutieren, was denn nun das Einsatzkonzept von ISAF sein soll. Der Zustand, dass im Norden zivil-militärischer Aufbau, das heißt Aufbau, der militärisch abgesichert ist, von Deutschland und den Skandinaviern betrieben wird, während man im Süden meint, wenn man möglichst alles plattmacht, dass man dann den Terrorismus bekämpft - dass diese beiden Konzeptionen auf Dauer nicht nebeneinander existieren können, das ist nicht neu. Und an der Frage entscheidet sich dann letztendlich auch, ob und inwieweit der Einsatz solcher Soldaten und der Flugzeuge notwendig ist. Aber das werden wir dann zu entscheiden haben, wenn die Bundesregierung dieses vorlegt.

    Heuer: Über eins haben wir noch gar nicht gesprochen: Wäre ein solcher Tornadoeinsatz ein Kampf-, vielleicht sogar ein Kriegseinsatz?

    Trittin: Die Amerikaner und die Briten verstehen das, was sie dort unten machen, als einen Krieg gegen den Terrorismus. Sie gehen dort fast ausschließlich mit militärischer Gewalt vor. Und dafür sollen diese Kampfeinheiten offensichtlich die notwendige Aufklärung bieten. Insofern wäre das eine Beteiligung an einem solch verstandenen Einsatz.

    Heuer: Und auch das ändert die Qualität des deutschen Einsatzes in Afghanistan?

    Trittin: Das ist etwas anderes als das, was wir bisher gemacht haben, nämlich Stabilisierung und Aufbau.