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Trittin warnt vor Hysterie wegen Griechenland

Forderungen aus der Koalition nach einem Austritt Griechenlands aus der Eurozone hält Jürgen Trittin (Bündnis90/Grüne) für Sommerpausengeplänkel. Er wolle den Bericht der Troika aus EZB, IWF und EU in Ruhe abwarten - im Übrigen entscheide Griechenland selbst über einen Austritt.

Das Gespräch führte Silvia Engels | 23.07.2012
    Silvia Engels: Das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" und die "Süddeutsche Zeitung" melden heute übereinstimmend, wichtige Geldgeber der Griechenland-Hilfe (darunter IWF, aber auch Deutschland) wollten sich aus dieser Unterstützung zurückziehen, wenn Athen die gesetzten Auflagen nicht einhalten kann. Am Telefon begrüße ich Jürgen Trittin, er ist der Fraktionschef der Grünen im Bundestag. Guten Morgen!

    Jürgen Trittin: Guten Morgen!

    Engels: CSU-Generalsekretär Dobrindt und Wirtschaftsminister Rösler legen nun Athen immer deutlicher Schritte zum Austritt aus dem Euro-Raum nahe, wenn die Auflagen nicht mehr zu erfüllen sind. Schließen Sie sich dieser Linie an?

    Trittin: Für Herrn Dobrindt ist das nichts Neues. Es ist auch nichts Neues, dass die schwarz-gelbe Koalition gerne über Griechenland spricht, dann muss man nicht so viel über Spanien sprechen. Ich bleibe trotzdem ganz ruhig. Ich sage, wenn die Troika zu einem Ergebnis kommt, dann ist das zu bewerten. Aber es nützt überhaupt nichts, hysterisch durch die Sommerpause zu hüpfen und immer das zu fordern, was man schon vor der Sommerpause gefordert hat, wie hier jetzt im Falle Rösler und Dobrindt, nämlich dass die Griechen nun daran gehen sollten, ein Großteil ihres Geldvermögens endgültig zu entwerten und zur Drachme zurückzukehren. Das ist im Übrigen auch keine Entscheidung, die von Herrn Rösler und Herrn Dobrindt getroffen wird, sondern die am Ende ausschließlich von der griechischen Regierung und dem griechischen Parlament getroffen wird.

    Engels: Aber vielleicht sollte man sich auf so etwas bereits vorbereiten, denn Experten rechnen ja auf der anderen Seite damit, dass die Gläubiger Griechenland noch einmal bis zu 50 Milliarden Euro Darlehen gewähren müssten, wenn man ihnen zur Erfüllung der Sparauflagen mehrere Jahre mehr Zeit geben würde, was ja Athen gefordert hat. Könnten Sie so etwas noch verantworten?

    Trittin: Zur Vorbereitung gehört immer, dass man die Fakten kennt und die Fakten zu erheben und die Situation vorurteilsfrei zu beschreiben, und dafür Vorschläge zu machen, dafür entsenden wir gerade den Internationalen Währungsfonds und die EU-Kommission und die Europäische Zentralbank nach Athen, und da halte ich von deren Sachverstand und von deren Ideen mehr als das, was da gelegentlich von deutschen Politikern geäußert wird.

    Engels: Also Sie hoffen noch auf Griechenland und Sie glauben auch noch daran?

    Trittin: Nein, ich hoffe nicht. Ich stelle einfach fest: Es ist eine Überprüfung, die Griechen haben Schwierigkeiten mit der zweiten Hilfstranche, dann wird man sich anschauen müssen, wie die zu lösen sind, ob die zu lösen sind und was die richtigen Wege sind. Da nützt es aber jetzt nichts, zu krähen.

    Engels: Solidarität mit schwächeren Euro-Ländern sei ja schön und gut, argumentiert das Regierungslager, aber es sei eben ein zentrales Wirtschaftsprinzip, dass derjenige, der das Geld ausgibt, auch dafür haften muss. Das sagt auch Wirtschaftsminister Rösler, und der hat gestern in der ARD ein ganz konkretes Beispiel dafür ausgemacht.

    O-Ton Philipp Rösler: "Für uns ist klar: Handeln und Haftung muss immer zusammenbleiben. Da unterscheiden wir uns übrigens auch gerade von der Opposition, um das hier mal klar zu sagen. Schauen Sie, Röslers haben Schulden, die haben ein Haus gekauft. Wenn ich jetzt Herrn Trittin fragen würde, ob er sich an unseren Hausschulden beteiligen würde, privat, ganz persönlich, vermute ich mal, würde er es nicht tun. Er fordert aber genau das Gleiche auf europäischer Ebene. Und warum? Weil es offenbar nicht sein Geld ist, sondern das Geld der deutschen Steuerzahler. Das ist eine Position, die können wir nicht mittragen. Also: keine Vergemeinschaftung von europäischen Schulden."

    Engels: Soweit Wirtschaftsminister Rösler. – Nun, Herr Trittin, helfen Sie den Röslers bei der Schuldenrückzahlung für deren Haus?

    Trittin: Ich hatte gar nicht vor, Herrn Rösler zu irgendwas zu verhelfen. Die Wahrheit ist: Herr Rösler lügt. Es ist heute schon so, dass Europa haftet, und zwar gemeinsam, für Schulden von Krisenstaaten. Allein bei der Europäischen Zentralbank liegen 300 Milliarden Staatsanleihen aus Krisenstaaten, für die haftet Deutschland immer mit 27 Prozent. Sprich: Über den Daumen ungefähr mit 100 Milliarden haftet Deutschland heute schon für andere Staaten. Es kommt hinzu, dass Herr Rösler selber erst vor wenigen Wochen beschlossen hat die Neuauflage von europäischen Anleihen in Form von Projektbonds. Die sollen zum Bau zum Beispiel von Infrastruktur in den nächsten Jahren sogar auf 50 Milliarden insgesamt europaweit aufwachsen. Auch da haftet Deutschland immer, in dem Fall dann mit 20 Prozent. Also er erzählt den Menschen nicht die Wahrheit. Die Wahrheit ist: Wir haben eine Krise unserer gemeinsamen Währung, wir haben eine europäische Bankenüberschuldung, und aus dieser Situation muss man rauskommen. Um aus dieser Situation rauszukommen, haben Europäer gemeinsam beschlossen, beispielsweise Banken künftig stärker an den Kosten der Krise zu beteiligen, durch eine Finanztransaktionssteuer. Das hat die FDP heftig versucht zu verhindern, sie ist damit gescheitert, und die jetzigen Reden dienen nur dazu, von der Wahrheit und dem eigenen Umfallen abzulenken.

    Engels: Dann bleiben wir aber ganz kurz noch bei diesem Bild, das Herr Rösler aufgebracht hat. Wenn ich Sie richtig verstehe, dann ist es so, dass Herr Trittin eigentlich bereits für das Häuschen von den Röslers haftet – natürlich nur im übertragenen Sinne, wenn man es auf Europa überträgt -, ohne gefragt worden zu sein, und Sie verlangen, dass die Röslers darüber die Wahrheit sagen?

    Trittin: Ich erwarte, dass sie die Wahrheit darüber sagen, und ich erwarte, dass sie sich aktiv daran beteiligen, ...

    Engels: Aber ist das denn eine gute Idee?

    Trittin: Nein! Das Entscheidende ist ja, dass man aus solchen Situationen lernt, und dazu gehören zwei Dinge. Das eine ist: Wir brauchen Regeln für die Finanzmärkte, die verhindern, dass Banken nicht Pleite gehen können. Das sind Dinge, da hat Deutschland und hat Rösler sich immer gesperrt. Das heißt zum Beispiel, dass Banken bestimmten Kapitalanforderungen genügen müssen, dass sie feste Regeln haben, was passiert, wenn sie diese unterschreiten, also was sie dann an Geschäften abstoßen müssen. Sie müssen einer in diesem Sinne strengen europäischen Bankenkontrolle endlich unterstellt werden, das ist eine der Konsequenzen.
    Die zweite ist: Die Staaten müssen von ihren sehr hohen Schuldenständen endlich runterkommen. Die Bundesregierung redet ja nur davon, den Aufwuchs von Schulden ein Stück weit zu begrenzen. Die Wahrheit ist: Wir müssen Schulden abbauen. Dafür dient übrigens der Vorschlag, den nicht die Grünen, nicht die SPD entwickelt haben, sondern der Sachverständigenrat der Bundesregierung, einen Altschulden-Tilgungsfonds auf den Weg zu bringen, um innerhalb der nächsten 25 Jahre die Staatsschulden in Europa wieder auf das Maß runterzubringen, was alle für vernünftig halten. Gegen all das sperrt sich die FDP. Das heißt, Herr Rösler möchte, um in seinem Bild zu bleiben, mit dem verschuldeten Hauskauf einfach so weitermachen, als wäre nichts geschehen. Das ist unverantwortlich.

    Engels: Aber wenn man in dem Bild bleibt, dann würden doch nach Ihrem Vorschlag mit dem gemeinsamen Schuldentilgungsfonds die Schulden, die mal für Häuserkäufe gemacht wurden, von den stärkeren Schuldnern dann auch bezahlt. Das ist doch eigentlich nur etwas anderes.

    Trittin: Nein. Sie würden insgesamt in einen Topf reingepackt und in diesen Topf muss jedes Land, entsprechend der eigenen Schulden, einen jährlichen festgesetzten Betrag einzahlen. Das ist mehr und ein härteres Regime als das, was zum Beispiel in Spanien und in Griechenland heute herrscht. Und nur gegen ein so hartes Regime bekäme es einen gemeinsamen europäischen Zinssatz. Das würde gerade hoch verschuldeten Ländern helfen, aber es würde sie auch zwingen, zum Beispiel Italien oder Spanien, dafür zu sorgen, dass große Vermögen sich endlich an den Kosten der Krise beteiligen. Das ist der richtige Weg, Schuldenabbau zu betreiben, und nicht die Neuverschuldung weiterzutreiben und still zu hoffen, dass man weiter von den niedrigen Zinssätzen profitiert, weil das Kapital aus den anderen Ländern flieht. Die niedrigen Zinssätze in Deutschland – das muss man endlich verstehen, aber das geht wahrscheinlich über den Horizont unseres Wirtschaftsministers hinaus – sind kein gutes Signal, sondern sie sind ein alarmierendes Signal für eine anhaltende Kapitalflucht innerhalb der Euro-Zone.

    Engels: Kapitalflucht in die niedrigen Zinsen, die Deutschland derzeit zahlen muss, das hat noch einen anderen Aspekt am Wochenende in den Mittelpunkt gerückt. Dort sorgt man sich, dass die Käufer deutscher Staatsanleihen – das sind ja Pensionskassen und Direktversicherungen, aus denen Betriebsrenten bezahlt werden – kaum noch Rendite machen. Kann diese niedrige Zinslage, von der Deutschland als Staat profitiert, die Anleger, das heißt die Betriebsrentner, schädigen?

    Trittin: Es ist so, dass wenn Sie das einlegen und niedrige Zinsen haben, dies nicht den Erwartungen entspricht, die man gerne hätte bei so etwas. Aber es zeigt sich eben auch, dass das deutsche System der Altersversicherung, über das vielfach und lange Zeit laut gelacht worden ist, offensichtlich ein vernünftigeres ist als die kapitalgedeckten Altersvorsorgen, die es in anderen Ländern gibt. Insofern glaube ich, dass es hier zurzeit um Schwierigkeiten in diesem Bereich geht, die werden nicht dauerhaft sein, weil dauerhaft werden – das ist eine gute wie eine schlechte Nachricht – die Zinsen nicht so niedrig sein. Aber im Kern zeigt sich, ein bloß auf Kapitaldeckung ausgelegtes Alterssicherungssystem, ein solches System hat seine Tücken.

    Engels: Jürgen Trittin, Fraktionschef der Grünen im Bundestag. Vielen Dank für das Gespräch.

    Trittin: Ich danke Ihnen.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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