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Trittin: Wulff soll zumindest seine Amtsgeschäfte ruhen lassen

Der einfachste Weg wäre, Christian Wulff würde zurücktreten, sagt Jürgen Trittin, Vorsitzender der Grünen-Fraktion im Bundestag. Aber das Mindeste, was der Bundespräsident heute erklären müsse, sei, dass er seine Amtsgeschäfte ruhen lasse. Deutschland könne nicht von jemandem vertreten werden, gegen den solche Ermittlungen laufen.

Jürgen Trittin im Gespräch mit Christoph Heinemann | 17.02.2012
    Christoph Heinemann: Am Telefon ist Jürgen Trittin, der Vorsitzende der Bundestagsfraktion Bündnis 90/die Grünen. Guten Morgen!

    Jürgen Trittin: Guten Morgen, Herr Heinemann!

    Heinemann: Herr Trittin, rechnen Sie damit, dass Wulff heute zurücktreten wird?

    Trittin: Das ist und bleibt seine Entscheidung, aber das Mindeste, was Herr Wulff heute erklären muss, ist, dass er ab sofort seine Amtsgeschäfte ruhen lässt. Deutschland kann nicht von jemandem vertreten werden, gegen den solche Ermittlungen laufen. Das ist ein beispielloser Vorgang, und diese Erwartung haben wir mit allem Nachdruck, dass er mindestens erklärt, dass er mit sofortiger Wirkung sein Amt ruhen lässt.

    Heinemann: Und wie geht das praktisch?

    Trittin: Sie können sich einfach das Gegenteil überlegen: Stellen Sie sich mal vor, in der nächsten Woche sollte ursprünglich stattfinden eine Gedenkstunde, mit der den Opfern des Neonaziterrors in Deutschland gedacht werden sollte. Das ist unter diesen Bedingungen schlechterdings nicht vorstellbar, dieses mit einem unter solchen Vorwürfen stehenden Bundespräsidenten zu machen. Ich kann nur nachdrücklich an ihn appellieren, dieses dann auch in Rechnung zu haben - auch und gerade mit Blick auf die Opfer.

    Heinemann: Wie geht denn das praktisch, ein ruhender Bundespräsident?

    Trittin: Ich gehe davon aus, der einfachste Weg wäre, wenn er zurücktreten würde. Aber wenn er sagt, ich bin an dieser Stelle einer anderen Auffassung - er kann seine Amtsgeschäfte zurzeit nicht wahrnehmen, weil er in dieser Frage eben unter Ermittlung steht.

    Heinemann: Und wer würde das Amt dann wahrnehmen?

    Trittin: Das wäre nach der Verfassung der Präsident des Bundesrates, in diesem Falle Horst Seehofer, demnächst Winfried Kretschmann.

    Heinemann: Vielleicht passiert ja noch was anderes, vielleicht tritt er auch heute zurück. Kann Christian Wulff dann den sogenannten Ehrensold noch in Anspruch nehmen? Jeder ehemalige Bundespräsident hat ja Anspruch auf jährlich rund 200.000 Euro.

    Trittin: Das ist eine Entscheidung, die das Bundeskabinett zu treffen hat. Und das Bundeskabinett wird eine solche Entscheidung gegebenenfalls im Lichte auch des Ergebnisses von Ermittlung und ähnlichen Dingen zu treffen haben. Da verbietet sich, glaube ich, jetzt jede Spekulation.

    Heinemann: Herr Trittin, könnten Sie sich, wenn es zu dem Nachfolgefall käme, einen überparteilichen Kompromiss vorstellen?

    Trittin: Wir halten es für unabdingbar, dass in einer solche Situation, dass, nachdem zweimal ein Bundespräsident vorzeitig zurückgetreten ist, droht das Amt wirklich beschädigt zu werden. Ich halte es für angezeigt, dass sich die demokratischen Parteien im Deutschen Bundestag in einem solchen Fall zusammensetzen und ernsthaft den Versuch machen, sich zu verständigen über eine Kandidatin oder einen Kandidaten, der möglichst breit getragen wird. Wir sind zu einer solchen Verständigung bereit, und das, glaube ich, ist auch in einer Situation das einzig Angemessene.

    Heinemann: Welche Namen schweben Ihnen vor?

    Trittin: Sie werden verstehen, dass wenn ich über eine möglichst breit getragene Kandidatin oder einen Kandidaten nachdenke, ich nicht Namen und damit Personen und die Möglichkeit einer Einigung zwischen möglichst vielen verbrenne, indem ich öffentlich über solche Namen spekuliere.

    Heinemann: Joachim Gauck?

    Trittin: Das gilt für alle Namen, auch für die Namen, die Ihnen jetzt noch einfallen.

    Heinemann: Aber Sie sind ja mit ihm schon mal einmal ins Rennen gezogen. Warum nicht noch einmal?

    Trittin: Nochmal: Weil wir der Auffassung sind, wir brauchen einen von möglichst allen und vielen Getragenen, und das spricht man dann zwischen den Parteien, und da unterhält man sich in diesem Rahmen über Namen, aber verkündet sie nicht. Auch nicht über so ehrenwerte Medien wie den Deutschlandfunk.

    Heinemann: Ein Satz von Christian Wulff wird bleiben:

    "Das Christentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das Judentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das ist unsere christlich-jüdische Geschichte. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland."

    Heinemann: War das ein wichtiger neuer Akzent, den Christian Wulff da gesetzt hat?

    Trittin: Das war ein wichtiger Satz. Für diesen Satz ist Herr Wulff von seiner eigenen Partei angefeindet oder aus seiner eigenen Partei angefeindet worden. Ich glaube, dass er in dieser Rede ein wichtiges Signal gesetzt hat für ein multikulturelles und multireligiöses Deutschland. Das war ein wichtiger Beitrag für die Integrationsdebatte in Deutschland.

    Heinemann: Also inhaltlich ein guter Bundespräsident?

    Trittin: Steht mir nicht zu, eine noch nicht abgeschlossene Amtsperiode abschließend zu bewerten, aber dass dieser Satz ein wichtiger Satz gewesen ist, und dass er mit diesem Satz Mut bewiesen hat in einer Zeit, in der die Sarrazins und andere versucht haben, neue Grenzen durch Deutschland zu ziehen, das haben wir immer betont. Und das haben wir auch in einer Situation gesagt als eine Partei, die ihn dezidiert nicht gewählt hat. Sie haben eben selber drauf verwiesen, dass wir ja mit einem anderen Kandidaten in diese Bundesversammlung gegangen waren.

    Heinemann: Nämlich mit Joachim Gauck, genau. Wird die Causa Wulff das Verhältnis zwischen Wirtschaft und Politik verändern?

    Trittin: Ich glaube das. Und wir haben ja im niedersächsischen Landtag wegen Erweiterungen, die über die Person von Herrn Wulff hinausgehen, die die Frage aufkommen lassen, hat es da eine systematische Organisation auch zum Beispiel von Parteispenden durch den Club 2013 gegeben, gibt es da Sponsoring, was über die üblichen Formen der Wirtschaftsförderung für ein Land hinausgeht, dies alles aufzuklären. Was notwendig ist, ist zum Beispiel, dass Sponsoring künftig genau so behandelt wird wie etwa Spenden an Parteien. Ich kann nicht nur das Geld, sondern ich muss auch den geldwerten Vorteil entsprechend berücksichtigen.

    Heinemann: Herr Trittin, muss man das Amt, muss man die Aufgaben des Bundespräsidenten neu definieren?

    Trittin: Ich glaube, dass wir eine solide Institution haben, und man soll nicht von den Fehlern derjenigen, die in dieser Institution ein Mandat wahrgenommen haben, auf die Institution schließen. Das wäre sicherlich falsch, insbesondere wenn die Vorgänge da drin sind, ja auch nicht - zum großen Teil nicht - zu der Zeit der Amtsführung des Bundespräsidenten geschehen sind, sondern in seiner Zeit als niedersächsischer Ministerpräsident und CDU-Landesvorsitzender.

    Heinemann: Wie stellen Sie sich einen idealen Bundespräsidenten vor?

    Trittin: Das kann man sich nicht individuell vorstellen. Das beantwortet sich im Ansehen, das dieser Präsident als Person und im Amte in einer sehr breiten Bevölkerung hat. Das ist der Grund, warum wir für den Fall, dass Herr Wulff seinen Rücktritt erklärt, so nachdrücklich darauf dringen, zu einer Lösung zu kommen, die von möglichst vielen politischen Kasten in diesem Lande getragen wird, in der sich eben möglichst viele Menschen wiederfinden können.

    Heinemann: Jürgen Trittin, Vorsitzender der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/die Grünen. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Trittin: Ich danke Ihnen, Herr Heinemann!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.