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Triumph am Südpol
Forscher entschlüsseln Neutrino-Quelle

Sie sprechen von einem Schlüsselmoment für die Astronomie: Einem 300-köpfigen Forscherteam ist es erstmals gelungen, die Quelle eines kosmischen Neutrinos, eines sogenannten Geisterteilchens, zu ergründen. Gelungen ist ihnen dies mithilfe von IceCube, einem Messgerät, das tief im Eis der Antarktis steckt.

Von Frank Grotelüschen | 13.07.2018
    Markierte Straße vom IceCube Labor zur Südpolstation im Sommer
    Erstmals wurde die Herkunft eines Geisterteilchens (Neutrino) entschlüsselt (NSF / Freija Descamps)
    Gestern Abend auf einer Pressekonferenz der National Science Foundation in den USA. Olga Botner, Astrophysikern an der Universität Uppsala in Schweden, wirkt fast ein wenig sentimental. Genau darauf hätten sie und ihre Kollegen gewartet - ein Schlüsselmoment für die Astronomie.
    Botner zählt zum 300-köpfigen IceCube-Team. IceCube ist der größte Neutrinodetektor der Welt. Er findet sich an dem wohl unwirtlichsten Ort auf der Erde - dem Südpol.
    Fertig war IceCube 2010, als ein Forscherteam, eingepackt in dicke Klamotten, ein letztes Stahlseil in ein kilometertiefes Bohrloch versenkt. Perlenschnurartig ist es mit Dutzenden von basketballgroßen Sensoren bestückt. Insgesamt stecken 5.000 dieser Sensorkugeln – verteilt über ein Volumen von einem Kubikkilometer – im antarktischen Eis. Stößt ab und zu mal ein Neutrino mit einem Atomkern im Eis zusammen, entsteht ein schwaches blaues Leuchten.
    "Für uns sind sie wie kosmische Botschafter"
    Dieses Leuchten fangen die Sensoren auf. Abgesehen haben es die Fachleute dabei auf ganz besondere Neutrinos – auf Geisterteilchen, die aus den fernsten Winkeln des Weltalls kommen und auf ihrem Weg so gut wie gar nicht mit Materie reagieren.
    "Für uns sind sie wie kosmische Botschafter. Dass sie kaum auf Materie reagieren, ist für uns ideal: Wenn sie irgendwo im All bei einem kosmischen Gewaltakt entstehen, können sie ungehindert entfliehen und zu uns gelangen. Und hier können wir sie mit Glück mit unserem Detektor aufschnappen", sagt Darren Grant von der University of Alberta in Kanada, Sprecher von IceCube. Die beiden ersten kosmischen Neutrinos konnte der riesige Eis-Detektor bereits 2013 registrieren. Die Begeisterung war so groß, dass ihnen die Forscher sogar Spitznamen verpassten – Ernie und Bert.
    "Ja, die von der Sesamstraße. Das war ein großer Spaß. Doch Ernie und Bert waren nur der Anfang. Danach kamen noch viel mehr, und wir benannten sie ebenfalls nach den Muppets – bis wir alle Namen durchhatten."
    Kermit, Grobi, Krümelmonster – sie alle sind nun verewigt in den Annalen der Neutrinophysik. Bis heute hat IceCube mehr als 100 Geisterteilchen aus dem Kosmos aufgeschnappt. Nur:
    "Es war zwar klar, dass diese Neutrinos aus den Tiefen des Weltalls stammen. Aber wir wussten noch nicht, woher sie kommen und wie sie entstehen."
    Doch nun gelang Grant und seinen Leuten jene Messung, auf die sie so sehnsüchtig gewartet hatten. Erstmals konnten sie ein Neutrino mit einer Quelle im Kosmos verknüpfen, einem gewaltigen astronomischen Objekt.
    "Im September letzten Jahres fingen wir ein hochenergetisches Neutrino auf, dessen Herkunftsrichtung wir genau messen konnten. Daraufhin gab unser System automatisch einen Alarm an die internationale Astronomen-Gemeinde heraus.
    In der Folge schauten sich Teleskope rund um die Welt und auch die Satelliten im Weltall diese Region genauer an. Und was sie sahen, war ein besonders Objekt, ein sogenannter Blazar."
    "Das ist, als würde man Puzzle-Teilchen zusammensetzen"
    Unter anderem schnappte ein Satellit namens FERMI sogenannte Gammastrahlen auf, ebenso das Teleskop MAGIC auf den Kanarischen Inseln. Insgesamt konnten 18 Teleskope das Objekt beobachten – eine astronomische Ringfahndung, an der sich auch deutsche Teams beteiligten.
    "Das ist, als würde man Puzzle-Teilchen zusammensetzen, um schließlich ein klares Bild über dieses astrophysikalische Objekt zu erhalten."
    Das galaktische Monstrum befindet sich im Sternbild Orion und ist knapp vier Milliarden Lichtjahre entfernt. Es ist ein Blazar – ein supermassives Schwarzes Loch, das derart gewaltige Kräfte erzeugt, dass es ungeheure Mengen an Materie beschleunigt und ins Weltall bläst.
    Bei diesem Gewaltakt entstehen auch jede Menge Neutrinos – unter anderem jenes, das IceCube im September in die Falle ging. Mittlerweile haben die Forscher sogar herausgefunden, dass auch frühere von IceCube erfasste Geisterteilchen aus dieser Quelle stammen.
    "Jetzt haben wir ein neues Frühwarnsystem, das Bescheid gibt, wenn sich irgendwo Universum etwas Spannendes abspielt. Das ist wie mit den Gravitationswellen, die man vor einigen Jahren entdeckt hat. Auch sie geben anderen Teleskopen frühzeitig die Information, dass da etwas passiert."
    Kollidierende Sternleichen, gewaltige Supernova-Explosionen, kosmische Teilchenbeschleuniger – über solche Extremprozesse sollten, so Darren Grant, die Neutrinos künftig neue Details verraten.