Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


Trommler für das Essen vor dem Ramadan

Damit jetzt im Fastenmonat Ramadan kein Muslim den Zeitpunkt zur letzten erlaubten Mahlzeit verpasst, ziehen in Istanbul in aller Frühe Trommler durch die Straßen. Das stößt nicht überall auf Begeisterung.

Von Luise Sammann | 09.08.2012
    In Zeiten von Radioweckern und Handys sind die Trommler überflüssig geworden. Doch gerade jetzt wird ihre Tradition vielerorts wiederbelebt. Etliche säkulare Türken halten das für eine Zumutung.

    Nilgün Yildiz kramt ein paar türkische Lira aus der Handtasche, steckt sie dem schmächtigen Jungen zu, der mit seiner Trommel vor ihr steht. Es ist Fastenzeit. Und wie jedes Jahr um diese Zeit ziehen die Ramadan-Trommler durch Nilgüns Istanbuler Stadtteil. Dafür, dass sie die Menschen jede Nacht aus dem Bett trommeln, holen sie auch gleich ihren Lohn ab. Die 50-jährige Nilgün gibt gerne etwas.

    "Früher gab es ja keine Handys, nicht jeder hatte einen Wecker. Wir schliefen einfach ein. Und bevor morgens der Muezzin rief, weckte uns der Trommler. Er spielt so laut, dass man erschrocken aus dem Bett springt. Erst, wenn man dann versteht, dass es der Trommler ist und dass der Muezzin bald ruft, setzt man sich hin und isst."

    Heute gibt es Handys. Es gibt Radiowecker, piepende Uhren, batteriebetriebene Hahnenschreie. Die Trommler, könnte man meinen, sind in einer solchen Welt überflüssig geworden. Ausgerechnet jetzt aber wird ihre Tradition in der Türkei wiederbelebt: In einigen Istanbuler Stadtteilen wird jährlich der beste Ramadan-Trommler gekürt, die Bezirksverwaltungen bieten Trommelkurse an und verteilen Zertifikate an erfolgreiche Absolventen. So soll die Jahrhunderte alte Ramadan-Tradition vor dem Aussterben bewahrt werden. Nilgün nickt zufrieden.

    "Ja, natürlich, wir brauchen die Trommler. Denn es geht ja nicht nur um das Aufwachen. Sie erinnern uns auch einfach an die Fastenzeit. Auch, wenn ich aus gesundheitlichen Gründen im Moment nicht fasten kann, wache ich doch mit den anderen auf und erlebe den Ramadan. Das ist etwas sehr Schönes für uns Muslime."

    3:30 Uhr am nächsten Morgen. Endlich sind die sonst chronisch verstopften Straßen Istanbuls fast leer. Das Dauerhupen der Autos ist verstummt, die Lautsprecher der kleinen Shops, die tagsüber die ganze Umgebung mit Pop beschallen, schweigen. Stille in einer Stadt, die eigentlich nie zur Ruhe kommt. Doch genau dann kommt Muhammed.

    Muhammeds Ziel ist es, die nächtliche Stille zu stören und die Nachbarn möglichst brutal aus dem Schlaf zu reißen. Denn dafür wird er bezahlt. Der 32-Jährige grinst frech, während er die treckerreifengroße Trommel vor seinem Bauch bearbeitet. Aber, erklärt er dann etwas ernster und legt eine kurze Spielpause ein, die Arbeit, die seit Generationen von seiner Familie übernommen wird, ist nicht einfach nur Lärm. Sie ist Kunst.

    "Das Wichtige dabei ist der Rhythmus. Jeder kann Krach machen, da könnte ich die Trommel ja einfach einem Kind geben. Aber ich bin Musiker. Guck, ich halte zwischendurch an, dann spiele ich für zwei oder drei Minuten vor einer Tür, weil einige nicht hören, wenn ich nur vorbeigehe. Manchmal sagen alte Leute, ich wäre nicht gekommen. Aber ich komme jeden Tag."

    Das Trommeln macht allerdings heute längst nicht mehr jeden Istanbuler glücklich. Ganze Viertel gibt es am Bosporus, in denen die Fenster morgens kurz vor Sonnenaufgang dunkel bleiben. Hier fastet kaum mehr jemand.

    In einem solchen Viertel, im asiatischen Teil Istanbuls, lebt Aydin Serin. Rhythmus und Tradition interessieren ihn nicht. Für ihn machen Trommler wie Muhammed nichts als unnötigen Lärm.

    "Ich habe gesehen wie meine Enkelkinder sich fürchten und vor Schreck aufspringen. Ich weiß, dass diese Trommler sogar eine Ausbildung haben, aber ich habe trotzdem das Gefühl, dass keiner von denen einen Rhythmus halten kann. Es hört sich einfach an, als ob irgendjemand laut trommelt."

    Obwohl er gerade den 72. Ramadan seines Lebens erlebt hat: Aydin Serin und seine säkular geprägte Familie haben sich nie an das Ritual gewöhnt. Wenn er könnte, wettert der rüstige Rentner in Anzug und Krawatte, würde er das nächtliche Trommeln verbieten.

    "Ich finde es nicht nötig, dass die Türkei im 21. Jahrhundert diese uralte Tradition fortführt. Es gibt viele technische Geräte, die man heutzutage stattdessen benutzen kann. Es gibt Uhren, es gibt Kalender. Die Menschen, die um diese Zeit aufstehen wollen, können das gern tun. Aber sie sollen ihren Wecker benutzen."

    Stimmen wie die von Aydin werden in eher säkularen Stadtteilen der Türkei immer lauter. Schon haben einige Bezirksregierungen nächtliches Trommlen kurzerhand verboten.

    In welchen Stadtteilen er nicht erwünscht ist, das bekommt Trommler Muhammed übrigens meist gleich zu Anfang des Fastenmonats zu spüren. Und zwar nicht nur, weil dort die Trinkgelder ausbleiben.

    "Ich mache das seit zehn Jahren, da habe ich viel erlebt. Einige Leute schmeißen Flaschen aus dem Fenster oder sie schütten uns Trommlern Wasser über den Kopf."