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Trompetenkonzerte von Tomasi, Desenclos und Jolivet
Seltene musikalische Blüten

Wer an Trompetenkonzerte denkt, dem fallen wohl zuerst die Namen Haydn, Vivaldi und Hummel ein. Dabei gibt es neben diesen Dauerbrennern noch viele Juwelen – die aber leider kaum gespielt werden. Auf einer CD sind nun ein paar dieser Schätze gesammelt worden.

Von Jochen Hubmacher | 14.06.2015
    Ein Trompetenspieler in der Sonne.
    Ein Trompetenspieler (picture-alliance / dpa / Daniel Reinhardt)
    Musik: Henri Tomasi: "Allegro" aus "Konzert für Trompete und Orchester"
    Henri Tomasi, der Franzose mit korsischen Wurzeln, schrieb sein Trompetenkonzert 1948. Während des Zweiten Weltkriegs war er als Dirigent einer Militärkapelle tätig. Und so verwundert es kaum, dass in Tomasis Konzert immer wieder Elemente aus der Militärmusik auftauchen. Am deutlichsten wird dies in der Kadenz gegen Ende des ersten Satzes, dem intensivsten Moment im ganzen Stück. Ein Trommelwirbel begleitet die anfänglichen Fanfarenstöße der Trompete. Doch schon bald mischen sich fragende Untertöne in diesen Dialog. Was als Fanfare beginnt, entwickelt sich schließlich zum trauermarschartigen Klagegesang. Symbol für Henri Tomasis eigene desillusionierende Erfahrungen mit dem Krieg und musikalischer Ausdruck seiner Zweifel an der grundsätzlichen Vernunftbegabung des Menschen.
    Musik: Henri Tomasi: 1.Satz: "Cadenza" aus: "Konzert für Trompete und Orchester"
    Mehrere glückliche Faktoren kommen auf dieser CD mit französischen Trompetenkonzerten des 20. Jahrhunderts zusammen. Spätestens seit den Zeiten des einstigen Chefdirigenten Charles Dutoit, dürfte es außerhalb Frankreichs kaum ein Orchester geben, das sich so stilsicher und klangsinnlich im französischen Repertoire bewegen kann, wie das Orchestre symphonique de Montréal. Mit dem US-Amerikaner Paul Merkelo hat das Orchester zudem seit zwei Jahrzehnten einen sehr vielseitigen Solo-Trompeter, der qua Amt in der Musik der Alten Welt genauso zu Hause ist, wie qua Geburt in der Musik der Neuen Welt. Und das kommt allen drei Werken auf dieser CD sehr zu Gute, denn mehr oder weniger subtil haben die Komponisten darin Elemente aus dem Jazz verwendet.
    Ein dickes Pfund, mit dem man in Montréal seit 2011 außerdem wuchern kann, ist die akustisch hervorragende Maison symphonique. In diesem hochmodernen Konzertsaal entstand die vorliegende Aufnahme als Live-Mitschnitt, was bei den Interpreten immer eine Extra-Portion Adrenalin freisetzt. Diese Energie wirkt sich sehr positiv auf das musikalische Gesamtergebnis aus. Daran ändern auch die ein, zwei Stellen nichts, die in der Hitze des Gefechts vielleicht nur zu 98 Prozent gelungenen sind, und die man bei einer Studioaufnahme einfach noch mal gespielt hätte. Die Perfektion der Interpreten unter Live-Bedingungen bleibt dennoch bemerkenswert.
    Musik: Alfred Desenclos Thrène: "Incantation, thrène et danse" für Trompete und Orchester
    Fast wie eine Jazz-Ballade wirkt dieser Mittelteil aus "Incantation, thrène et danse" von Alfred Desenclos. Desenclos, der bis zu seinem Tod 1971 als Direktor des Conservatoire eng mit dem Pariser Musikleben verbunden war, betrachtete sich selbst zwar als Romantiker. Aber auch er ließ sich, wie so viele französische Komponisten des 20. Jahrhunderts, vom Jazz inspirieren. Wenngleich er dabei weit weniger radikal vorging als sein Zeitgenosse André Jolivet. Auch der betete zunächst die französischen Hausgötter Debussy und Ravel an, doch dann wurde er Schüler von Edgar Varèse. Und Varèse, der große Unangepasste, der so vielen kreativen Musikern von Frank Zappa bis Wolfgang Rihm als Inspirationsquelle diente, er weckte auch bei André Jolivet die Lust am musikalischen Experiment. Dadurch entstanden Stücke ganz unterschiedlicher Gattungen und Stilistik. Jolivet arbeitet sich eine Weile an den ästhetischen Möglichkeiten ab, die durch die Auflösung der traditionellen Tonalität entstanden waren. Aber er verschreibt sich nicht mit Haut und Haar einer bestimmten Kompositionstechnik. Außerdem ist ihm der Blick über den europäischen Tellerrand wichtig. Elemente aus afrikanischen oder ostasiatischen Musikkulturen fließen in seine Werke ein. Gemeinsam mit Olivier Messiaen versucht er, die emotionale Bandbreite von Musik zu erweitern, ihr mehr Spiritualität zu verleihen. Nach dem Zweiten Weltkrieg bemüht sich André Jolivet dann vermehrt um eine zeitgenössische Musiksprache, die das Publikum nicht komplett aus den Augen verliert. Hier kommt bei ihm der Jazz ins Spiel. 1954, also während seiner Zeit als Musikdirektor an der Comédie-Française, schreibt Jolivet sein zweites Trompetenkonzert. Er greift darin die musikalische Welt der Jazz-Clubs und Varietés auf und überträgt sie in eine klassisch-dreisätzige Konzertform. Der Ensembleklang erinnert dabei oft mehr an eine Bigband als an ein Sinfonieorchester.
    Mit einer ähnlichen Herangehensweise landet Leonard Bernstein nur wenige Jahre später einen Welthit namens "West Side Story". Der erste Satz des Jolivet-Trompetenkonzerts könnte daher glatt als Vorstudie für den Musical-Klassiker durchgehen.
    André Jolivet: "1.Satz: Mesto – Concitato" aus "Konzert für Trompete und Orchester Nr. 2"
    Französische Trompetenkonzerte von Henri Tomasi, Alfred Desenclos und zuletzt André Jolivet habe ich Ihnen in der heutigen Sendung vorgestellt. Herausragend interpretiert von Paul Merkelo und dem Orchestre symphonique de Montréal unter der Leitung von Kent Nagano. Die Aufnahme ist kürzlich beim Label Analekta auf CD erschienen.
    Die Neue Platte:
    French Trumpet Concertos: Tomasi – Desenclos - Jolivet
    Paul Merkelo, Trompete
    Orchestre symphonique de Montréal; Ltg.: Kent Nagano
    Label: Analekta
    LC: 26657