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Trotz Fukushima
Indien setzt auf Atomkraft

Indien gewinnt zwei Drittel seiner Energie aus Kohle. Die derzeit 21 Atomreaktoren sorgen für rund drei Prozent. Premierminister Narendra Modi will den Anteil in den nächsten zehn Jahren verdreifachen - durch Dutzende neue Reaktoren. Sehr zum Leidwesen vieler Fischer.

Von Sandra Petersmann | 11.03.2015
    Neues Atomkraftwerk in Koodankulam
    Neues Atomkraftwerk in Koodankulam (picture alliance / dpa Foto: EPA/Nathan G)
    Die Fischer aus Kanyakumari am südlichsten Zipfel Indiens waren die ganze Nacht draußen. Jetzt ziehen sie mit vereinten Kräften ihre kleinen Holzboote an Land. Am Horizont zeichnet sich im Morgengrauen die Silhouette des Atomkraftwerks im benachbarten Koodankulam ab. Die Anlage liegt direkt am Strand - wie der Unfall-Reaktor im japanischen Fukushima.
    "Koodankulam, das ist ein Riesenproblem für uns. Das Kraftwerk verseucht unsere Fische und das Meer", sagt der junge Fischer Xavier. Sein Fang der vergangenen Nacht geht fangfrisch vom Boot auf den Markt. Dort sind auch die Fischerfrauen wütend auf das neue Atomkraftwerk russischer Bauart. "Wir wollen Koodankulam nicht. Wir leben hier alle von der Fischerei. Das Kraftwerk zerstört unsere Zukunft", klagen sie.
    Ein großes Energieproblem
    Alle haben den Tsunami von 2004 erlebt, der auch der Südspitze Indiens Tod und Leid brachte. Die Fischer-Familien leisten Widerstand gegen die Atomkraft. Ihr Anführer Udayakumar ist ein studierter Politikwissenschaftler, der lange in den USA gelebt hat.
    "Richtig, wir haben in Indien ein Energieproblem, und wir stoßen immer mehr klimafeindliches Kohlendioxid aus. Aber die Antwort kann doch nicht sein, die Erde zu vergiften. Warum reden wir nicht über den Atommüll, der uns viele zehntausend Jahre beschäftigen wird? Die USA und Deutschland finden keine Antwort auf die Endlager-Frage, wie soll Indien das dann schaffen?"
    Indische Fischer protestieren vor dem Atomkraftwerk in Koodankulam
    Indische Fischer protestieren vor dem Atomkraftwerk in Koodankulam (picture alliance / dpa / EPA)
    Für Gopal, der ein kleines Hotel in Kanyakumari betreibt, sind Atomkraftgegner wie Udayakumar Staatsfeinde. "Unsere Fischer werden gegen die Atomkraft aufgehetzt, ihre Anführer kassieren Geld aus dem Ausland. Was soll das? Wir brauchen Energie. Hier hat jedes Hotel einen Dieselgenerator. Der muss bei Stromausfall immer laufen, auch wenn wir kaum Gäste haben. So machst du nur Verlust."
    Viele neue Reaktoren geplant
    Indien gewinnt zwei Drittel seiner Energie aus Kohle. Die derzeit 21 Atomreaktoren sorgen für rund drei Prozent. Premierminister Narendra Modi will den Anteil in den nächsten zehn Jahren verdreifachen - durch dutzende neue Reaktoren.
    Der pensionierte Lehrer Somaya aus Koodankulam findet das gut. Ihn stört die riesige Atomanlage vor seiner Haustür nicht. Daran hat auch die Nuklear-Katastrophe von Fukushima nichts geändert.
    "Koodankulam ist ein absolutes Muss. Das Leben ist auch in Gefahr, wenn du im Auto oder im Zug sitzt. Energie ist genauso unverzichtbar wie Wasser und Milch."
    Indiens Dilemma: Fast 400 Millionen Inder haben noch keinen Zugang zum Stromnetz. Die Bevölkerung wächst rasant, die Industrialisierung nimmt zu, der Energiehunger steigt. Schon jetzt gehören stundenlange Stromausfälle zum Alltag und lähmen das Wirtschaftswachstum.
    Der Protest der Fischer an der Südspitze Indiens konnte das Hochfahren des ersten Koodankulam-Reaktors verzögern. Doch seit Sommer 2013 ist er am Netz, der zweite soll bald anlaufen, zwischen vier und sechs weitere sollen folgen. Noch größer gebaut wird im Westen Indiens. Dort soll in Jaitapur mit französischer Hilfe das leistungsstärkste Kernkraftwerk der Welt entstehen.