Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Trump-Kim-Abkommen
"Falken schließen eher Frieden als Tauben"

Nach Ansicht des Historikers Michael Wolffsohn sind hart auftretende Politiker wie US-Präsident Trump oft erfolgreicher darin, Frieden zu schließen. Verhandlungspartner könne man sich nicht à la Carte aussuchen, betonte er im Dlf. Moralische Politik führe letztlich auch zu wirtschaftlicher Schwäche.

Michael Wolffsohn im Gespräch mit Dirk Müller | 13.06.2018
    Der Historiker Michael Wolffsohn bei einer Lesung aus seinem Buch "Deutschjüdische Glückskinder"
    Michael Wolffsohn ist Historiker (imago stock&people / Uwe Steinert)
    Dirk Müller: Die Bilder gehen um die Welt von zwei Staatsmännern, die umstritten sind wie kaum ein zweiter, jeder auf seine Art – Donald Trump und Kim Jong-un. Singapur als Schauplatz der Geschichte gestern.
    Der Handschlag von gestern ein Weltereignis, ein historisches Datum, Dienstag, der 12. Juni 2018, eine historische Zäsur, eine Zeitenwende, alles schon dementsprechend aufgetaucht in den Medien, in den Kommentaren, wie auch immer. Wer wird das jetzt schon bewerten können? Die zwei Protagonisten, die dabei waren, der eine, der den Grundkonsens der westlichen Staaten zerrüttet, der andere, der seit Jahren mit Raketen und Nuklearsprengköpfen seine Nachbarn massiv bedroht. Und nun der Gipfel in Singapur mit der Perspektive auf Frieden, auf Abrüstung, mit der Perspektive auf weniger Gefahr – unser Thema nun mit dem Münchener Historiker Professor Michael Wolffsohn. Guten Morgen!
    Michael Wolffsohn: Guten Morgen, Herr Müller und den Hörern.
    Müller: Herr Wolffsohn, kann Böses auch Gutes?
    Wolffsohn: Aber selbstverständlich, wobei die Definition von böse und gut wir den Philosophen überlassen sollten oder den Moraltheologen. Ganz konkret: Ich bin Historiker und gebe als Beispiel für erfolgreiche Entspannungspolitik gerade durch Falken, durch harte Politiker, etwa an Richard Nixon und seine China-Politik sei in diesem Zusammenhang erinnert, initiiert von Henry Kissinger seinerzeit. Denken Sie an den ägyptisch-israelischen Frieden unter Menachem Begin, in der israelischen Innenpolitik ebenfalls alles andere als eine Taube. Und wir in Deutschland orientieren uns sehr sympathisch an der Ost- und Friedenspolitik der Taube Willy Brandt. Aber in der Welt und historisch ist es eher so, dass die Falken Frieden geschlossen haben als die Tauben.
    Müller: Weil es einfacher ist, wenn ich Falke bin, auch mal Zugeständnisse zu machen?
    Wolffsohn: Deshalb leichter, weil der Falke, der hart auftretende und auch tatsächlich harte Politiker, dann seiner Gefolgschaft leichter und überzeugender sagen kann, liebe Leute, es geht halt nicht und wir müssen andere Wege finden.
    "Die Priorität heißt in diesem Falle nukleare Abrüstung"
    Müller: Jetzt treffen sich ein demokratisch legitimierter Präsident, der amerikanische Präsident, ein Demokrat, mit einem Diktator. Das hatten wir schon mal: Münchener Abkommen 1938. Ist vielen bestimmt gestern auch in den Kopf gekommen: Adolf Hitler mit Neville Chamberlain. Wie das ausgegangen ist, wissen wir. Ist das eine besondere Konstellation, die für den Historiker zunächst einmal nicht so entscheidend ist, sondern zwei Personen, die aufeinander zugehen und Politik machen?
    Wolffsohn: Man kann sich die Verhandlungspartner selten à la Carte aussuchen. Wir sind da nicht in einem Restaurant. Umgekehrt als historisches Beispiel, wenngleich natürlich immer der Vergleich und die Beispiele hinken: Willy Brandt, um bei der Ostpolitik zu bleiben, hat die erfolgreiche Ostpolitik, die ja dann auch zur Überwindung der Sowjetdiktatur geführt hat und in Osteuropa mit dem sowjetischen Staat, mit Breschnew seinerzeit abgeschlossen. Und wenn ich mich recht erinnere als Historiker, zählte Breschnew nicht unbedingt zu den Musterdemokraten.
    Müller: Spielt das im Grunde zunächst einmal keine Rolle, weil viele jetzt ja schon ganz kritisch angemerkt haben, wie kann er, Donald Trump, das machen, die Aufwertung eines Diktators, und zwar auch dieses Diktators nach vorne zu bringen? Wichtiger ist, die Frage jetzt an Sie, dass die beiden zusammengekommen sind?
    Wolffsohn: Selbstverständlich! Es ist eine Frage der Perspektive, der Gewichtungen und der zunächst einmal auch zeitlich zu setzenden Prioritäten. Die Priorität heißt in diesem Falle nukleare Abrüstung. Ob es gelingen wird oder nicht, ist eine zweite Frage. Aber das ist das Ziel gewesen. Ob es erreicht wird, bleibt abzuwarten, aber es ist ein erster Schritt gemacht und da kann man nicht praktisch die ganze Speisekarte von den Vorspeisen bis zum Nachtisch abessen an einem Tag. Im Grunde genommen ist das die vernünftige Regelung. Politik ist immer mehrschichtig, wie das menschliche Sein ganz allgemein. Hier ging es um nukleare Abrüstung, und da ist tatsächlich Bewegung zu registrieren.
    Müller: Wir haben, Herr Wolffsohn, das eben auch von unserem Korrespondenten Holger Senzel gehört. Gehen wir noch mal auf die Kritiker ein, die da sagen, kann ja nicht sein, dass er mit Kim Jong-un spricht, persönlich, auch eine Stunde alleine, wie auch immer. Was da besprochen wurde, das wissen wir im Detail jetzt nicht. Und die Menschenrechte zum Beispiel, die Situation in Nordkorea, die Situation der Bevölkerung, der politischen Gefangenen, das lässt er alles außen vor. – Wenn ich Sie richtig verstanden habe, war das richtig, klug, clever, produktiv, genau das erst einmal auszuklammern?
    Wolffsohn: Was heißt auszuklammern? Erstens wissen wir nicht – und alles, was wir über dieses Vier-Augen-Gespräch sagen, ist Kaffeesatzleserei. Aber zunächst einmal – und das wird ja von allen und zurecht gefordert – geht es um das nackte Überleben, und das entspricht übrigens der westlich aufgeklärten Tradition. Wenn ich an die amerikanische Unabhängigkeitserklärung erinnern darf? Da ist als höchstes Ziel der Politik ausgegeben, Life, Liberty and the Pursuit of Happiness, zuerst und an erster Stelle das Leben. Denn ohne Leben können die Menschen auch ihre Freiheit nicht bekommen oder erhalten. Zunächst einmal ist das hier tatsächlich die Wahrnehmung oder die Verwirklichung westlicher Ideale. Das darf man auch im Zusammenhang von Trump sagen. Und dann wird sich das nächste einzustellen haben, Liberty, ist aber definitiv noch nicht der Fall. Aber noch einmal: Ohne Leben gibt es auch keine Freiheit. Das Überleben ist zunächst einmal auch die Hauptaufgabe eines jeden Staates und aller Politiker. Denn was ist die Aufgabe des Staates? Das Leben seiner Bürger nach innen und außen zu schützen.
    "Moral ohne Macht ist Blechtrommeln"
    Müller: Sie sagen das Stichwort: Überleben. Leben kann auch Überleben sein und auch Überleben sichern, hat absolute Priorität.
    Wolffsohn: Zunächst einmal ja, und das ist ein menschliches - nein, das ist ein Naturgebot.
    Müller: Donald Trump, wenn ihm das jetzt ausgerechnet gelingt, und Barack Obama ist es nicht gelungen, der so viele positive Assoziationen weltweit ausgelöst hat gleich zu Beginn seiner Amtszeit – in den acht Jahren, als er dann amtiert hat, hat sich das zumindest am Ende ja etwas relativiert -, und jetzt Donald Trump, der bisher alles zerschlagen hat, wie viele sagen, Strukturen, die wir gewohnt waren, vielleicht Fairness, Partnerschaft, alles über den Haufen geworfen, und er schafft es jetzt potenziell, vielleicht diesen Friedensschluss, diese Friedensperspektive tatsächlich veritabel umzusetzen, ist das ein besonderes Phänomen in der Geschichte, dass ausgerechnet solche Persönlichkeiten das manchmal schaffen können?
    Wolffsohn: Leider nein! Noch einmal: Die Hardliner, die Falken haben meistens Politik in Friedensrichtung gebracht. Nehmen Sie auch das Beispiel von Bismarck 1866. Erst Krieg gegen Österreich und dann einen Verständigungsfrieden. Die Beispiele sind Legion.
    Kurzum: Wir müssen eines feststellen, und das ist die Hauptbotschaft, die wir aus dem trumpschen Vorgehen erkennen können und der Ohnmacht der wortreichen europäischen und deutschen Politiker. Moral ohne Macht ist Blechtrommeln. Moral ohne Macht ist Blechtrommeln. Wir haben sehr viel Moral, sehr sympathisch, aber leider wirkungslos.
    Müller: Besonders wir, die Deutschen, und dann die Europäer?
    Wolffsohn: Ja, völlig richtig! Denn blicken wir über Trump hinaus. Welche Politiker sind derzeit auf Erfolgskurs in ihrem Sinne – und das ist eine, ich füge hinzu, traurige Bilanz? Putin mit der Annexion der Krim un der faktischen Annexion von der Ostukraine. Der chinesische Machtpolitiker und Diktator Xi. Kim – klarer Fall. Erdogan, die Mullahs im Iran, Assad. Das ist eine traurige Bilanz, moralisch katastrophal, aber von der Durchsetzung der eigenen Interessen leider sehr erfolgreich.
    Müller: Demnach hat – Entschuldigung, wenn ich hier unterbreche – Angela Merkel zu viel Moral?
    Wolffsohn: Zu viel Moral kann man nie haben. Aber noch einmal: Moral ohne Macht ist Blechtrommeln und daher ist es notwendig, über die moralische Schiene hinaus auch noch auf anderen zu fahren. Daher ist beispielsweise der innerkoalitionäre Streit um die Erhöhung der Verteidigungsausgaben bitter notwendig, ausgetragen zu werden, denn niemand nimmt außer dem freundlichen Schulterklopfen Deutschland und der EU gegenüber Deutschland und die EU wirklich ernst, denn sie haben keine Machtmittel, leider, ihre Moral durchzusetzen. Moral braucht auch eine glaubwürdige Durchsetzungsfähigkeit und die haben wir nicht. Die haben wir weder militärisch noch politisch, noch machen wir uns auch vor wirtschaftlich. Denn sehen Sie mal: Der Aufgangsstau, den die deutsche Industrie in der letzten Zeit hatte, ist durch die politischen Versäumnisse zurückgegangen. Ich erinnere daran, dass unsere Exporte nach Saudi-Arabien im letzten Quartal um 13 Prozent zurückgegangen sind. Diese moralische Politik, die führt auch letztlich zu wirtschaftlicher Schwäche.
    Müller: Der Münchener Historiker Professor Michael Wolffsohn. Danke für das Gespräch, Ihnen noch einen schönen Tag.
    Wolffsohn: Gleichfalls! – danke!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.