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Trumps Dekrete
"Für Hysterie gibt es keinen Anlass"

Der SPD-Politiker Günter Verheugen hat angesichts des neuen politischen Kurses in den USA vor Panikmache gewarnt. Die Demokratie in den USA sei stark, sagte der ehemalige EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen im DLF. Die Einflussmöglichkeiten Europas auf den US-Präsidenten Donald Trump hält Verheugen eher für gering.

Günter Verheugen im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 31.01.2017
    Der frühere EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen während einer öffentlichen Anhörung im Europaparlament in Brüssel
    Der frühere EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen (picture alliance / dpa / Stephanie Lecocq)
    "Wir erleben Dinge, die wir uns vor einem Jahr nicht vorstellen konnten", sagte Verheugen. Für Hysterie gebe es aber keinen Anlass. Denn Trump setze seinen Kurs nicht ohne Widerstand durch. Europa solle sich auch nicht einbilden, ihm in den Arm fallen zu können. "Wir als Europäer müssen uns bemühen, ein Gegenmodell darzustellen - ein tolerantes, weltoffenes Modell", sagte Verheugen. Es führe auch kein Weg daran vorbei, mit Trump zu reden und ihm den Standpunkt der EU zu erklären.
    Verheugen krtisierte auch das befristete Einreiseverbot. "Es wird nichts helfen, sondern nur verschlimmern, wenn die zweitgrößte Religionsgemeinschaft der Welt unter einen pauschalen Verdacht gestellt wird, dass Angehörige zum Terrorismus neigen", sagte Verheugen.
    Verheugen amtierte von 1999 bis 2004 als EU-Erweiterungskommissar und von 2004 bis 2010 als EU-Industriekommissar. Bis 1982 war er Mitglied der FDP und trat dann in die SPD ein.

    Das Interview in voller Länge:
    Tobias Armbrüster: Es herrscht Krisenstimmung in vielen europäischen Regierungszentralen. Was ist da los in Washington? Vor allem das umstrittene Einreiseverbot für Menschen aus mehreren muslimisch geprägten Ländern sorgt weltweit für Empörung, auch weil es gegen so viele Grundsätze westlicher Außenpolitik verstößt und weil Donald Trump außerdem Tabula rasa macht in vielen seiner Ministerien und Behörden. Jetzt hat er auch die amtierende Justizministerin der USA entlassen.
    Am Telefon ist jetzt Günter Verheugen, ehemaliger EU-Kommissar und SPD-Politiker, ein Mann, der die internationale Politik seit den 70er-Jahren intensiv verfolgt. Schönen guten Morgen, Herr Verheugen.
    Günter Verheugen: Guten Morgen!
    Armbrüster: Herr Verheugen, zunächst mal: Sind das wirklich so unsichere Zeiten, oder drehen da gerade alle ein bisschen durch?
    Verheugen: Wir erleben natürlich schon Dinge, die wir uns vor einem Jahr noch gar nicht vorstellen konnten. Trotzdem glaube ich, dass zu Hysterie kein Anlass ist, vor allen Dingen, wenn man sieht, dass in den Vereinigten Staaten selber die Demokratie ja stark und kräftig ist und Trump nicht ohne großen öffentlichen Widerstand seine radikale Veränderungspolitik durchsetzt. Mein Rat ist, die Amerikaner selber die Entscheidung treffen zu lassen, welchen Weg das Land gehen soll. Wir sollten nicht die Vorstellung haben, dass wir den Amerikanern in den Arm fallen können, aber wir sollten die Vorstellung haben, dass wir demonstrieren können, wie es auch anders geht.
    Armbrüster: Dann sollten wir Donald Trump erst mal gewähren lassen, auch mit diesem umstrittenen Einreiseverbot gegen muslimisch geprägte Länder?
    Verheugen: Nein, das habe ich nicht gesagt, wir sollen ihn gewähren lassen. Ich habe gesagt, wir sollten uns nicht vorstellen, dass wir ihm in den Arm fallen können mit irgendwelchen politischen Aktionen. Wir können nur demonstrieren, dass es eine andere Methode gibt, wie wir in dieser Welt Frieden und Sicherheit schaffen können, und diese andere Methode bedeutet, dass wir als Europäer uns bemühen müssen, ein Gegenmodell darzustellen, ein freiheitliches, ein tolerantes und ein weltoffenes Gegenmodell. Aber ich muss leider sagen, dass dazu bei uns im Augenblick noch viele Voraussetzungen fehlen.
    "Wir müssen jetzt eine eigenständige europäische Politik entwickeln"
    Armbrüster: Über die Lage hier bei uns können wir gleich sprechen. Meinen Sie denn, ist das eine Sprache, die bei Donald Trump ankommt, wenn man ihm so etwas vorstellt, so ein liberales weltoffenes politisches System?
    Verheugen: Ganz bestimmt kommt es bei Donald Trump nicht an. Das wird ihn nicht sehr interessieren. Aber die übrige Welt wird das interessieren. Unsere Sorge kann ja nicht nur sein, was denken die USA über uns, sondern unsere Sorge muss doch sein, welche Auswirkungen haben die Aktionen von Trump auf den Zustand der Welt von heute, und da ist ja das jüngste Beispiel nun wirklich zutiefst Besorgnis erregend und erschütternd und ich kann mich nur dem anschließen, was die Bundeskanzlerin dazu gesagt hat. Genau so ist es! Es wird nichts helfen. Im Gegenteil: Es wird die Dinge nur verschlimmern, wenn die zweitgrößte Religionsgemeinschaft der Welt unter einen pauschalen Verdacht gestellt wird, dass die Menschen, die ihr angehören, zum Terrorismus neigen.
    Armbrüster: Aber müssen wir nicht einem Präsidenten auch diese Freiheit lassen? Er hat es ja in seinem Wahlkampf angekündigt, er wurde gewählt. Es kann nicht überraschend sein, dass er dieses Einreisedekret jetzt unterzeichnet hat. Müssen wir ihm dann nicht überlassen, dafür wurdest Du gewählt, dann kannst Du es jetzt auch machen?
    Verheugen: Es ist ja auch nicht überraschend. Ich glaube, die deutsche und die europäische Politik war sich ja einig darin, dass wir uns darauf einstellen müssen, dass Trump genau das tut, was er gesagt hat, und dass die Motivation für sein Handeln in erster Linie innenpolitisch ist. Ich glaube, dass es ihm in erster Linie um die Wirkung auf seine Anhängerschaft geht, und die ist natürlich in diesem Fall auch sehr stark.
    Armbrüster: Jetzt haben Sie, Herr Verheugen, schon die Reaktion der Bundeskanzlerin angesprochen. Wir haben sie zu Beginn dieser Stunde auch im O-Ton gehört. Abgesehen von Angela Merkel, was halten Sie denn bislang von den Reaktionen, die Sie auf dieses jüngste Einreisedekret gehört haben, Reaktionen aus Europa meine ich?
    Verheugen: Es ist ziemlich einhellig. Man kann mit einer gewissen Zufriedenheit feststellen, dass der dissonante Chor ganz unterschiedlicher Stimmen diesmal ausgeblieben ist, sondern die wichtigen europäischen Länder sehr klar sagen, das ist nicht der Weg, den wir gehen wollen. Das ist schon mal ein Anfang. Aber es genügt nicht. Wir müssen jetzt eine eigenständige europäische Politik entwickeln, die das Problem, das ungelöste Problem einer nicht kontrollierten oder teilweise auch nicht kontrollierbaren Zuwanderung ernsthaft angeht. Dazu fehlen uns noch eine ganze Reihe von Elementen. Ich will mal nur darauf hinweisen, dass die Prodi-Kommission, der ich angehört habe, schon vor über zehn Jahren gesagt hat, der Schutz unserer Außengrenzen muss eine Gemeinschaftsaufgabe werden. Das können einzelne Staaten nicht mehr bewältigen. Ich will darauf hinweisen, dass alle Vorstellungen, wir könnten Zuwanderung, seien es Flüchtlinge, seien es Auswanderer, in Europa über Quoten verteilen, eine vollkommene Illusion ist, aber dass wir einen gemeinsamen Rahmen brauchen, wie wir Zuwanderung regeln, weil wir ja die Freizügigkeit innerhalb des Schengen-Systems unbedingt erhalten wollen als eine der größten Errungenschaften der europäischen Einigung. Und ich will darauf hinweisen, dass wir seit vielen Jahren in allen europäischen Ländern hören, man muss Fluchtursachen bekämpfen, aber nicht Flüchtlinge. Tatsächlich haben wir aber eine Flüchtlings-Bekämpfungspolitik und nicht eine Politik, die Fluchtursachen bekämpft, und zwar deshalb nicht, weil das eine politische Aufgabe ist, die politische Einigkeit verlangt und politische Stärke auf der internationalen Bühne, die wir erst noch entwickeln müssen.
    "Die Bundesregierung hat sich in eine bemerkenswerte Abhängigkeit von der Türkei begeben"
    Armbrüster: Es ist allerdings um das Flüchtlingsproblem bei uns in Europa relativ ruhig geworden in den vergangenen Monaten, auch deshalb, weil es unter anderem ja der Bundesregierung gelungen ist, dieses Abkommen mit der Türkei zu schließen.
    Verheugen: Ja. Im Augenblick ist es ruhig. Wir haben uns damit oder die Bundesregierung hat sich damit in eine bemerkenswerte Abhängigkeit von der Türkei begeben. Das Modell soll ja nun ausgeweitet werden auf andere. Aber ich glaube nicht, dass das eine Lösung ist. Wenn man etwas weiter in die Zukunft denkt wird einem vollkommen klar, dass diese Frage des zunehmenden Migrationsdrucks uns noch über Jahrzehnte beschäftigen wird und dass es nicht damit getan sein kann, die Leute von unseren Grenzen fernzuhalten, sondern dass dieses umfassende Konzept, von dem ich eben einige Elemente skizziert habe, zur europäischen Politik werden muss.
    Armbrüster: Aber Sie haben auch unter anderem die striktere Sicherung der europäischen Außengrenzen angesprochen. Das ist ja durchaus ein Element von Einwanderungspolitik, dem auch Donald Trump zustimmen würde und das er ja auch in seinem eigenen Land versucht, stärker zu verwirklichen.
    Verheugen: Ich denke, das kann man schwer bezweifeln, dass ein Staat in der Lage sein muss, seine Grenzen zu kontrollieren, dass wir wissen müssen, wer einreist und, mit welchen Zielen jemand bei uns einreist. Das ist nicht der Gegenstand der Diskussion, ob es legitim ist und richtig ist, seine Außengrenzen zu sichern. Das ist eine unverzichtbare Aufgabe eines funktionierenden Staates.
    Armbrüster: Herr Verheugen, ich will zum Schluss noch mal kurz über Donald Trump und dessen weitere Pläne für die Zukunft sprechen. Kann dieser US-Präsident in den kommenden Monaten bei uns in Europa ein gern gesehener Staatsgast sein?
    Verheugen: Das halte ich für unwahrscheinlich, dass er gern gesehen ist. Aber sicher ist, dass wir ihn sehen wollen. Es führt ja kein Weg daran vorbei, miteinander zu reden, Aufklärung zu erbitten, den eigenen Standpunkt klarzumachen. Den Dialog mit unserem wichtigsten Partner in der Welt - das sind die Amerikaner nun einmal - abzubrechen, wäre ja das falscheste, was man tun könnte.
    Armbrüster: … sagt hier bei uns im Deutschlandfunk Günter Verheugen, der ehemalige EU-Kommissar. Vielen Dank, Herr Verheugen, für Ihre Zeit heute Morgen.
    Verheugen: Danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.