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Tschad
Bitterarm und von Krisen umzingelt

Das kleine Land Tschad hat zwar den Bürgerkrieg überstanden, doch den Menschen geht es seitdem nicht besser. Armut und Gewalt sind Normalität geworden – und nun kommen weitere Probleme aus den Nachbarländern hinzu.

Von Arndt Pleitner | 03.01.2015
    Vom Tschad ist in deutschen Nachrichten nur selten die Rede. Das Land liegt inmitten einer Region, die derzeit von gleich mehreren Krisen erschüttert wird. Der Schweizer Thomas Gurtner ist seit dreieinhalb Jahren der humanitäre Koordinator für die UNO im Tschad:
    "Im Osten ist der Sudan, Tschad beherbergt heute über 250.000 sudanesische Flüchtlinge. Im Norden ist Libyen, ein Staat, den es heute nicht mehr gibt. Im Westen Niger mit einer 5.000 Kilometer langen Grenze, die unkontrollierbar ist und die natürlich mitten im Schmuggelring und im Al Qaida Maghreb Gebiet liegt. Im Südwesten angrenzend Nigeria, wo in den letzten paar Monaten Menschen vor Boko Haram geflüchtet sind. Dann Kamerun, das heute eben auch unter dem Druck der Boko Haram leidet. Und "last but not least" im Süden die Zentralafrikanische Republik, von wo über 150.000 Personen in den letzten 10-12 Monaten in den Tschad geflüchtet sind."
    Diese Flüchtlinge zu versorgen, ist nur eines der vielen Probleme, die der Tschad allein nicht lösen kann. Der Tschad hat derzeit genügend Probleme. 25 Prozent des Gesamthaushalts gehen ins Militär, auch um die Grenzen zu den Nachbarländern zu sichern. Im Land herrscht große Armut, das wird auch in der Hauptstadt N'Djamena deutlich. Die Hilfsorganisation Alima betreibt dort ein Zentrum gegen Unterernährung.
    Kinder, die kurz vor dem Verhungern sind
    Hierhin werden Kinder gebracht, die kurz vor dem Verhungern sind. Im vergangenen Jahr wurden in dem Zentrum rund 5.000 Kleinkinder aufgepäppelt, doch für viele kam jede Hilfe zu spät. In einem kleinen Aufnahmeraum werden neue Patienten registriert. Ein Baby schreit, als es vermessen und gewogen wird. Gegenüber liegt das Haupthaus, zwei größere Zimmer, daneben eine Intensivstation, ein kahler Raum. Dahinter zwei Zelte, der Platz reicht nicht aus. Hier arbeitet auch Juliane Wünsche, Ärztin aus Leipzig. Zuvor war sie im Kongo, in Ruanda, Burundi und in verschiedenen asiatischen Ländern eingesetzt.
    "Der Tschad ist bislang das härteste, was ich gesehen habe. Die Leute sind viel ärmer, das Leben hier ist viel teurer, selbst für die Einheimischen. Für Lebensmittel bezahle ich in Deutschland weniger als hier. Und die Fälle an Unterernährung, die ich hier gesehen habe, so schlimm habe ich sie vorher noch nicht gesehen."
    Es geht in den Süden des Landes. Die Hilfsorganisation Care, mit Unterstützung durch das Auswärtige Amt, setzt sich dort in den Lagern für die Flüchtlinge aus der Zentralafrikanischen Republik ein. Es wurden Brunnen und Latrinen gebaut, Hilfen zur Selbsthilfe werden angeboten. Das reicht von der Instandhaltung der Wasserversorgung bis hin zu Ernährungsprogrammen für Kleinkinder und der psychologischen Beratung von Traumapatienten.
    Zehntausende Menschen leben allein im Lager Dosseye mit einer ungewissen Zukunft. Zelte und einfache Hütten sind ihr Zuhause geworden. Zurück können sie nicht, im Tschad selbst gibt es wenige Möglichkeiten.
    Eine von ihnen ist Fattimé Malicky, die in der zentralafrikanischen Hauptstadt, Bangui, einen kleinen Laden hatte. Hier lebt sie mit zehn anderen Familien in einem Zelt, verdient sich mit kleinen Näharbeiten etwas dazu. Auf Fotos zeigt sie ihr Leben von damals, Familie, Freunde, eine lachende Frau ist darauf zu sehen.
    Hilfsorganisationen wollen sich zurückziehen
    Berthe Ilo ist 48 Jahre alt. Ihre drei Kinder sind irgendwo im Grenzgebiet zum Nachbarland, sie hat jeglichen Kontakt zu ihnen verloren. Ilo ist seit zwei Jahren in Dosseye. Sie wohnt in einem kleinen Lehmhaus, ein dunkles Zimmer ohne Fenster, eine Decke hängt am Eingang. Sie schläft auf dem Boden, in der Ecke stehen ein paar Töpfe, ein paar Habseligkeiten. Berthe Ilo ist Händlerin, verkauft vor dem Haus Kleidung. Sie spricht mit ruhiger Stimme, berichtet von ihrer Flucht und schließlich davon, was ihr hier vor wenigen Tagen im Lager angetan wurde. Mitten in der Nacht am 22. September kamen drei maskierte Männer in ihre Hütte.
    "Sie kamen näher, fragten nach Geld, nahmen ein Tuch und stopften es in meinen Mund, damit ich nicht schreie. Sie schnitten meine Kleidung auf, einer von ihnen vergewaltigte mich, während ein anderer draußen aufpasste. Sie verlangten Geld, legten ein Messer an meinen Hals. Ich gab ihnen schließlich das, was ich in einer kleinen Kiste neben meinem Bett versteckt hatte."
    Es fällt ihr schwer zu berichten, doch sie will es erzählen. Das hatte sie auch einer Care-Mitarbeiterin erklärt, die sie am Morgen nach der Tat ins Gesundheitszentrum und zur Polizei begleitete. Die Täter blieben unerkannt. Ilo kann nachts nicht mehr schlafen. Die Gewaltspirale ist für sie und andere auch nach der Flucht noch nicht zu Ende.
    Zahlreiche Hilfsorganisationen im Land werden demnächst ihre Projekte verkleinern oder ganz einstellen müssen - weil das nötige Geld fehle, heißt es. Davon betroffen sind auch die Flüchtlingslager in Dosseye und Danamadja. Und das, obwohl die Krise im Tschad noch lange nicht ausgestanden ist. Für den Leiter der UNO-Mission, Thomas Gurtner, ist das schwer zu verstehen:
    "Der Tschad ist heute eine Garantie für Sicherheit und Stabilität im Sahel und dadurch auch eine Garantie für Sicherheit und Stabilität in Europa. Wir wissen von der Gefahr Al Kaida im Maghreb, wie das leicht überschwappen kann. Wir sind nicht so weit weg von Europa."
    Andere Krisenherde in der Welt sind spektakulärer. Der Tschad könnte zu einer vergessenen Krise werden.