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Tschechien
Auf Brüssler Kurs bei der Verteidigungsunion

Seit dem Amtsantritt von Donald Trump steht der Ausbau einer gemeinsamen Verteidigungspolitik weit oben auf der Liste der EU-Kommission. Welche Linie die tschechische Regierung verfolgt wurde an diesem Wochenende bei der Prager Sicherheits- und Verteidigungskonferenz deutlich.

Von Kilian Kirchgeßner | 12.06.2017
    (l-r) EU-Kommissar Präsident Jean-Claude Juncker, der tschechischer Ministerpräsident Bohuslav Sobotka und die NATO-stellvertretende Generalsekretärin Rose Gottemoeller antworten Journalisten am 9. Juni 2017 während der Pressekonferenz in Prag.
    Auf der Verteidigungs- und Sicherheitskonferenz ging es vor allem um die Frage, wie sich eine europäische Verteidigungs-Union entwickeln lasse. (AFP/ Michal Cizek )
    Gleich in einem seiner ersten Sätze verweist der Premierminister auf die großen historischen Linien. Bohuslav Sobotka steht am Rednerpult in einem historischen Palast auf einer Prager Moldau-Insel, im Publikum sitzen die höchsten Vertreter der europäischen Sicherheitspolitik.
    "In Tschechien feiern wir nächstes Jahr 100 Jahre staatliche Selbstständigkeit. In dieser Zeit zeigte uns die Geschichte mehrfach, dass die Sorge um die eigene Verteidigung und Sicherheit immer aktuell ist. Heute genießen wir dank Nato und EU eine Sicherheit, von der unsere Vorfahren nur träumen konnten."
    Auf der Verteidigungs- und Sicherheitskonferenz ging es vor allem um die Frage, wie sich eine europäische Verteidigungs-Union entwickeln lasse. Die EU müsse mehr tun, das klang in allen Reden an - und Tschechien als Gastgeberland stimmte in diesen Chor mit ein. Außenminister Lubomír Zaorálek sprach davon, dass sich in Brüssel ein breiter Konsens abzeichne:
    Eine Gemeinsame Verteidigungsunion der EU muss schnell aufgebaut werden
    "Die Verteidigungsunion muss in kurzer Zeit aufgebaut werden. Es ist nötig, regionale strategische Autonomie zu erlangen - wir müssen in der Lage sein, selbstständige militärische und zivile Operationen zu leiten, um Krisen zu lösen, die in unserer unmittelbaren Nachbarschaft auftreten."
    Debatten über das Pro und Contra einer europäischen Verteidigungsunion werden in Tschechien nicht geführt - es herrscht breite Einigkeit. Vergessen ist der häufige Dissens zwischen Prag und Brüssel aus der Vergangenheit, zuletzt etwa in der Frage nach einer Flüchtlingsquote. Auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker lobte das tschechische Engagement in Sachen Sicherheit: "Das ist ein pro-europäisches Land, das Verantwortung übernimmt. Ich habe es die vergangenen Woche gesehen: Da verkündete der Premierminister immer wieder, dass Tschechien Teil der strukturierten Verteidigungskooperation sein will. Das zeigt, dass alle diese Gerüchte über ein Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten nicht zutreffen - fake news, wie andere sagen würden."
    Tatsächlich beschäftigt das Thema der Sicherheit die Tschechen immer wieder. Jan Eichler, einer der renommiertesten Prager Forscher auf dem Gebiet der Sicherheitspolitik, zeigt nur auf eine Landkarte.
    Die Angst vor russischen Übergriffen beeinflusst auch die tschechische Verteidigungspolitik
    "Die höchsten militärischen und politischen Vertreter sagten noch bis vor kurzem: unsere Sicherheitslage ist so gut wie lange vorher nicht mehr. Wir haben von allen Seiten ringsum Verbündete, nur Nato-Mitglieder. Das gab es noch nie - vorher waren wir der Westrand des Ostens. Derzeit aber wird viel diskutiert über die Gefahr durch Russland und den internationalen Terrorismus."
    Die territoriale Integrität ist in der tschechischen Debatte ein Schlüsselbegriff - sie war den Tschechen in der Flüchtlingsfrage wichtig, wo sie dadurch weniger EU-freundlich wirkten. Und die territoriale Integrität ist den Tschechen auch mit Blick auf die Verteidigung wichtig, wo sie jetzt zu den aktiven Unterstützern der engeren Zusammenarbeit werden. Man denke dabei nicht in erster Linie an Angriffe auf ein EU-Mitglied, das sei nach wie vor eine Angelegenheit für die Nato, sagte der tschechische Außenminister Lubomír Zaorálek auf der Verteidigungskonferenz. Aber: "Wir müssen auf unserem Vorhof Tragödien und Katastrophen verhindern können. So etwas passierte in den vergangenen Jahren häufig, denken Sie etwa an den Krieg in Jugoslawien und an die Konflikte in unserer Umgebung. wir standen da oft ratlos und unfähig daneben und warteten, dass Hilfe von anderswo kommt. Wir haben die Pflicht, uns in solchen Fällen selbst zu helfen."
    Die in Sicherheitsfragen starke Bindung Tschechiens an Amerika könnte jetzt durch eine stärkere Orientierung nach Europa ersetzt werden. Angst vor einer mächtigen Achse Deutschland-Frankreich habe man in Prag nicht, urteilt Wissenschaftler Jan Eichler. Ganz im Gegenteil:
    Die neue Achse: Berlin-Prag
    "Ich glaube, die Tschechen werden sich sehr eng an Deutschland orientieren. Wenn sich Deutschland weiter gegen die USA abgrenzt - besser gesagt gegen die Trump-Administration, das ist ja ein großer Unterschied! - da würde sich die tschechische Diplomatie sicher eher in Richtung Deutschland bewegen als zum unvorhersehbaren Trump. Die Regierung wäre sehr offen, die Zusammenarbeit mit Deutschland zu vertiefen, so eine Art Achse Berlin-Prag."