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Tschechien
Tauziehen um EU-Kommissar

Beim EU-Sondergipfel am Mittwoch sollen die ersten Top-Jobs in Brüssel verteilt werden. Noch völlig offen ist, welcher Politiker aus Tschechien in die neue EU-Kommission einziehen wird. Die zerstrittene Regierungskoalition in Prag zaubert nahezu täglich neue Namen aus dem Hut. Viele Tschechen sind verärgert.

Von Andreas Kolbe | 15.07.2014
    Milos Zeman übergibt Bohuslav Sobotka (Sozialdemokraten) die Ernennungsurkunden
    Am 17.Januar 2014 hatte Präsident Milos Zeman (r.) Bohuslav Sobotka zum Ministerpräsidenten ernannt. (dpa/picture alliance/Bohuslav Sobotka )
    Nicht einmal ein halbes Jahr ist die neue tschechische Regierung im Amt, schon ist die Koalition heillos zerstritten: Jede der drei Parteien hat einen eigenen Kandidaten für den Posten des EU-Kommissars vorgeschlagen. Und keine will sich in den quälend-langen Verhandlungen auch nur einen Millimeter bewegen.
    "Wir können froh sein, wenn wir bis zur Sommerpause einen Namen gefunden haben", so der sozialdemokratische Regierungschef Bohuslav Sobotka in der vergangenen Woche. "Mit drei Koalitionsparteien wird ein Kompromiss sehr schwierig, wirklich keine einfache Sache."
    Die politische Sommerpause in Prag beginnt Mitte August. Die Nominierung des tschechischen EU-Kommissars droht damit zu einem wochenlangen Tauziehen zu werden.
    Peinlich findet das Radko Hokovksy, der Direktor des in Prag beheimateten Think Tanks "Europäische Werte". Dass die Regierungsparteien so erbittert um das Amt kämpfen, heiße nicht, dass sie den Posten wirklich wichtig nehmen, sagt er. Im Gegenteil:
    "Unseren Politikern ist doch gar nicht bewusst, welche Tragweite ihre Entscheidungen auf EU-Ebene haben. Hier geht es um rein innenpolitische Machtspiele. Deshalb schieben sie die Nominierung des Kommissars auf die lange Bank. Es ist ein Versagen der Regierung."
    Das Kräftemessen in der Koalition dürfte vor allem auf das Konto des ambitionierten Finanzministers Andrej Babis gehen. Bei den Parlamentswahlen im Herbst holte der Milliardär und Self-Made-Man aus dem Stand fast 20 Prozent der Stimmen. Bei der Europawahl wurde die von ihm gegründete Partei ANO in Tschechien sogar Wahlsieger. Entsprechend selbstbewusst reklamiert Babis den EU-Posten für seine Partei.
    "Vielleicht wäre es besser, wenn der neue Kommissionspräsident entscheidet", lautet sein Kompromissvorschlag. "Wir geben Juncker die Namen der Kandidaten und er sucht dann vielleicht den richtigen Kommissar aus. Dann müssen wir nicht vergeblich darüber streiten."
    Keine Einigung in Sicht
    Der richtige Kommissar – das wäre aus Sicht von Babis eine Kommissarin. Und darin offenbart sich auch der eigentliche Grund dieses ungewöhnlichen Vorschlags. Denn kaum, dass Jean-Claude Juncker für seine Kommission mehr Frauen eingefordert hat, ließ Babis seinen bisherigen Kandidaten – einen Mann – fallen, um Vera Jourova zu nominieren, die Ministerin für Regionalentwicklung im tschechischen Kabinett.
    Die Sozialdemokraten haben den früheren Finanzminister Pavel Mertlik ins Rennen geschickt. Und auch die christdemokratische KDU-CSL – die mit Abstand kleinste Fraktion in der Dreierkoalition – beharrt auf einem eigenen Kandidaten.
    Nahezu täglich werde ein neuer Name aus dem Hut gezaubert, ärgert sich darüber die renommierte Tageszeitung Lidove Noviny. Und auch die Tschechen auf der Straße haben längst den Überblick verloren.
    "Jede Entscheidung ist schreckliches Problem für unsere Politiker. Sie sind einfach nicht fähig, sich zu einigen. Das ist der Grund, warum ich mich schon lange nicht mehr dafür interessiere."
    "Ich fürchte, dass sie am Ende jemanden auswählen, der dafür absolut nicht geeignet ist. Hier zeigt sich, dass sich überhaupt nichts geändert hat in der Europapolitik, auch wenn sie das im Wahlkampf versprochen haben."
    Der Druck der Öffentlichkeit wächst auf die Regierung Sobotka – auch weil viele Tschechen fürchten, am Ende ein völlig unbedeutendes Ressort in der neuen EU-Kommission zu erhalten.
    "Da brauchen wir uns schon jetzt keine Hoffnungen mehr zu machen", glaubt auch Radko Hokovsky vom Think Tank "Europäische Werte". "Energie, Binnenmarkt, Industrie ... darum rangeln andere und vor allem große Mitgliedsländer. Aber es gibt noch interessante Ressorts – Regionale Entwicklung zum Beispiel. Es ist also noch nicht alles verloren, aber unsere Möglichkeiten sind begrenzt."
    Auch Premier Bohuslav Sobotka scheint inzwischen zu spüren, dass ihm die Zeit im Nacken sitzt und er nicht bis Mitte August wird warten können. Schon beim EU-Sondergipfel am Mittwoch sollen die ersten Top-Jobs in Brüssel verteilt werden.
    "Mein Ziel ist, dass die Koalition sich bald einigt. Es wäre sehr wichtig, dass wir einen Namen haben, bevor ich nach Brüssel abreise."
    Gut möglich, dass von all den Kandidaten am Ende keiner das Rennen machen wird – und Prag noch einmal einen neuen Namen aus dem Hut zaubert. Medienberichten zufolge erwägt die Regierung eine Notlösung: Den bisherigen tschechischen EU-Kommissar Stefan Füle einfach noch einmal nach Brüssel zu schicken. Zumindest Erfahrung hätte er im Gepäck.