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Tschechien und die Wahl
Populisten auf dem Vormarsch

Trotz stabiler Wirtschaftslage sind die Tschechen unzufrieden mit den etablierten Parteien. Die EU-Flüchtlingspolitik wird als Zwang empfunden. Beim Euro will man warten, wie sich die Schuldenkrise entwickelt. Bei den anstehenden Parlamentswahlen könnten sich die Tschechen in eine eigene Art von Populismus flüchten.

Von Peter Lange | 19.10.2017
    ***FILE PHOTO*** Billboard of the Czech political party ANO 2011 is seen in Hradec Kralove, Czech Republic, on September 8, 2017. The party is among 10 most preferred parties in pre-election polls. On the billboard is seen L-R Andrej Babis and Klara Dostalova. Czech general elections 2017 will be held on October 20-21. (CTK Photo/David Tanecek) Foto: David Tanecek/CTK/dpa |
    Wahlplakat der tschechischen Partei ANO des Milliardärs Andrej Babis. Arbeitslose bezeichnet er als "Parasiten". Gegen ihn wird wegen Subventionsbetrug und Steuerhinterziehung ermittelt. (CTK / picture alliance / David Tanecek)
    Es sind die ersten richtig trüben und kalten Herbsttage in Prag, und der Wahlkampf für die Parlamentswahlen in ein paar Tagen trägt nicht dazu bei, die Tschechen zu erwärmen. Gäbe es nicht die Plakate in den Straßen - deutlich weniger übrigens als in Deutschland - würde man in Prag kaum darauf kommen, dass Wahlen bevorstehen. Nur in den sozialen Netzwerken tut sich etwas, und im Fernsehen:
    "Ahoi, Leute! Ich habe einen Traum, wie man besser in unserem Land leben kann."
    Andrej Babis: Ex-Finanzminister, Milliardär, Chef der ANO-Bewegung
    Andrej Babis, ehemaliger Finanzminister, Milliardär und Chef der ANO-Bewegung. ANO heißt "Ja" auf tschechisch. Eigentlich müsste es "Nein" heißen, denn es ist eine Abkürzung und steht für "Bewegung unzufriedener Bürger". ANO ist 2011 gegründet worden und wurde bei den Parlamentswahlen im Jahr darauf mit 18 Prozent zweitstärkste Partei und Koalitionspartner der Sozialdemokraten.
    "Schreiben Sie mir, worüber Sie träumen, was Sie ändern wollen und was sie ärgert. Ich werde alles dafür tun, um ihre besten Ideen durchzusetzen. Also Tschau, bis zum nächsten Mal."
    "Die Sicht auf die Welt habe ich von meinem Vater übernommen. Er arbeitete als Betriebsarzt in den Hütten von Ostrava und hat sich immer dafür eingesetzt, die Lebensbedingungen der Arbeiter zu verbessern."
    Lubomir Zaoralek: Außenminister, Spitzenkandidat der sozialdemokratischen CSSD
    Kundgebung mit Lubomir Zaoralek.
    Kundgebung mit Lubomir Zaoralek (CSSD)
    Lubomir Zaoralek, Außenminister und Spitzenkandidat der sozialdemokratischen CSSD, der führenden Regierungspartei in der zu Ende gehenden Wahlperiode. Zaoralek ist erst seit Juni Spitzenkandidat, seit Ministerpräsident Bohuslav Sobotka wegen anhaltend schlechter Umfragewerte verzichtet und auch den Parteivorsitz abgegeben hat.
    "Wir brauchen ein Krankenhaus, das die Pflege jedem Menschen anbietet, der sie braucht. Wenn jemand das ganze Leben arbeitet, verdient er auch eine anständige Rente. Es hängt von jedem von uns ab."
    31 Parteien im Rennen - so viele wie noch nie
    Am 20. und 21. Oktober wird gewählt. Um die 200 Mandate im Abgeordnetenhaus kämpfen diesmal 31 Parteien, so viele wie noch nie. Aber die Hälfte der Tschechen hat sich noch nicht festgelegt, welcher Partei sie ihre Stimme geben wird. Andere wissen bereits, wo sie ihr Kreuz machen werden, Marie zum Beispiel, eine Galeristin, 43 Jahre alt:
    "Ich werde wahrscheinlich die Piraten wählen, weil sie die jüngsten Mitglieder haben. Es ist die Partei, die keine Skandale hat, und es ist eben höchste Zeit, dass bei uns junge Leute die Politik machen.
    Wahllisten im Din-A-5-Format.
    Jeder Wähler hat bereits die Wahllisten bekommen: 31 Blätter im Din-A-5-Format. Eines davon muss in die Urne. (ARD-Studio Prag)
    Karel, 56 Jahre alt und von Beruf Techniker, will die ANO-Partei von Andrej Babis wählen:
    "Ich bewundere ihn, wie er es geschafft hat, eine riesige Firma aufzubauen, die Tausenden Menschen in der Landwirtschaft und in der Chemieindustrie Arbeit gibt. Es gefällt mir auch, dass er keine Angst hat, die EU und auch Frau Merkel wegen ihrer Migrationspolitik zu kritisieren, weil sie große Probleme in ganz Europa verursacht hat."
    Vier gut Jahre: stabile Politik, wachsende Wirtschaft
    Eigentlich hätten die Tschechen einigen Grund, die jetzige Regierung ohne Wenn und Aber zu bestätigen. Politische Beobachter geben ihr recht gute Noten.
    "Der Vorteil dieser Regierung war wirklich, dass sie ziemlich stabil war und die ganze Periode regieren konnte."
    Sagt die Politikwissenschaftlerin und Journalistin Zuzana Lizcova.
    Die politische Stabilität hat sich ausgezahlt, denn die vergangenen vier Jahre waren für Tschechien gute Jahre. Die Wirtschaft wächst und hat das Niveau von vor der Finanzkrise 2008 übertroffen. Die Arbeitslosigkeit ist mit drei Prozent auf den niedrigsten Stand in der EU gesunken. In einigen Branchen herrscht Vollbeschäftigung oder sogar schon Facharbeitermangel. Und das monatliche Durchschnittseinkommen liegt nun über 1000 Euro. Radek Spicar vom Industrieverband sieht das allerdings nur bedingt als Verdienst der amtierenden Koalition aus CSSD, ANO und den Christdemokraten.
    "Diese Regierung hatte das Glück, dass der wirtschaftliche Aufschwung gerade begann, als sie an die Macht kam. Aber sie war auch bemüht, mit einem gewissen Optimismus zu investieren und bei den Verbrauchern eine gute Stimmung zu entfachen. Damit hat sie dieses Wachstum zum Teil unterstützt."
    Strukturelle Nachteile können zu Problemen führen
    Es sind der Export und in letzter Zeit auch die Binnennachfrage, die die Konjunktur tragen. Allerdings verdecken die guten Zahlen, dass es nach wie vor strukturelle Nachteile gibt, die zu Problemen führen werden, wenn die Konjunktur einmal einbricht.
    "Wir haben eine kaum digitalisierte Wirtschaft, und das führt dazu, dass wir eine viel niedrigere Produktivität haben als in Deutschland, und dementsprechend natürlich auch niedrigere Löhne. Aber das ist langfristig untragbar. Das muss sich ändern."
    Ein Blick auf das Gelände des Industrieparks von Koprivnice mit Straßen, Autos und Rohren.
    Aus dem Gelände des ehemaligen Ostblock-LKW-Produzenten Tatra in Koprivnice im Osten Tschechiens wurde ein Industriepark. (Kilian Kirchgeßner)
    Tschechen schauen auf Lebensstandards in Deutschland
    Eine Diagnose, die Josef Stredula, der Vorsitzende des tschechischen Gewerkschaftsdachverbands, teilt. Die Zeiten des Billiglohnlandes Tschechien sollte ein Vierteljahrhundert nach der Revolution zu Ende sein. Es brauche qualifizierte Arbeitskräfte und Arbeitsplätze. Dass das Durchschnittseinkommen gestiegen sei, schön und gut. Aber die Tschechen schauen in die Nachbarländer. In Deutschland und Österreich sind die Durchschnittseinkommen dreimal höher.
    "Ich denke, jeder tschechische Bürger wünscht sich, dass nicht nur über die Konkurrenzfähigkeit der Firmen gesprochen wird, sondern auch darüber, ob wir einen ähnlichen, vergleichbaren Lebensstandard haben."
    Abstiegsängste und Angst vor Arbeitslosigkeit
    Enttäuschte Erwartungen spielen in diesem Wahlkampf eine Rolle und Abstiegsängste, denn der wirtschaftliche Aufschwung ist nicht überall angekommen. Nordböhmen hängt mit einer Arbeitslosigkeit von sieben bis neun Prozent noch immer hinterher und die Zukunft des schlesischen Kohlereviers im Nordosten sieht düster aus. Der Strukturwandel im "tschechischen Ruhrgebiet" hat noch nicht einmal begonnen. In den Boom-Regionen dagegen, in Prag, Brünn und Pilsen steigen die Mieten. Mit einem Durchschnittseinkommen lässt es sich in der Hauptstadt immer schwerer wohnen. Außerdem sind die Preise für die Dinge des täglichen Bedarfs im Verhältnis zu den Einkommen viel höher. Ein Gefühl von Ungeduld und Ungerechtigkeit hat sich breitgemacht, und das geht vor allem zulasten der sozialdemokratischen CSSD.
    "Ich sehe hier überall starke klassische sozialdemokratische Themen. Es geht nun darum, dass wir damit das Vertrauen der Menschen gewinnen."
    Vertrauensverlust durch mehrmaligen Richtungswechsel der CSSD
    Sagt Lubomir Zaoralek, der Spitzenkandidat der CSSD. Aber dieses Vertrauen ist verloren gegangen, denn die Regierungspartei hat mehrmals die Richtung gewechselt. Zaoralek ist zwar Spitzenkandidat in diesem Wahlkampf, aber Parteichef ist Innenminister Chovanec, ein Law-and-order-Hardliner mit nationalistischen Tönen. Und Ministerpräsident Sobotka gehört auch noch zu diesem Triumvirat.
    Der tschechische Ministerpräsident Bohuslav Sobotka, aufgenommen am 04.12.2014 in der Repräsentanz von Bayern in Tschechien in Prag.
    Der tschechische Ministerpräsident Bohuslav Sobotka (picture alliance / dpa / Armin Weigel)
    Die CSSD sei so etwas wie ein Überraschungsei, so formuliert es die Journalistin Zuzana Lizcova:
    "Wenn man die Partei wählt, weiß man nicht, was man am Ende bekommt. Herr Sobotka, der bisherige Premierminister, war ziemlich konstruktiv, pro-europäisch, wirtschaftlich - würde ich sagen - liberal, jedenfalls liberaler als seine Parteigenossen, und er wäre vielleicht auch für linksliberale Wähler wählbar. Aber in der Partei gibt es auch ganz andere Kräfte. Und wie wir gesehen haben, hat Herr Sobotka seinen Kampf mit denen verloren."
    Den Sozialdemokraten macht der Populismus zu schaffen
    Es ist diese innere Zerrissenheit, die dazu führt, dass die tschechischen Sozialdemokraten in allen Umfragen weit hinter ihr letztes Ergebnis zurückfallen. Zum anderen macht der Partei der Populismus zu schaffen.
    "Guten Tag, kommen Sie näher, ich gebe ihnen einen Pfannkuchen."
    Es ist sieben Uhr morgens. Auf dem Bahnhof von Breclav in Südmähren macht Andrej Babis Wahlkampf:
    "Nehmen Sie bitte. Sie können die korrupte Rechte nicht wählen! Letzte Pfannkuchen. Bitte. Super, haben Sie einen schönen Tag."
    Babis: Eine Art früher Macron oder doch eine Trump-Version?
    Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
    Der tschechische Milliardär und Finanzminister Andrej Babis (picture alliance / dpa / Filip Singer)
    An Andrej Babis scheiden sich die Geister. Für seine Anhänger ist er der Macher, eine Art früher Macron. Für seine Gegner ist er die tschechische Version von Trump und Berlusconi.
    "Es ist beides. Wie Jekyll und Hyde. Er ist zum Teil Jekyll und zum Teil Herr Hyde."
    Der Politikberater Jan Herzmann traut dem Konzernchef und seiner ANO-Partei zu, Reformen anzugehen, die die etablierten Parteien verschleppt haben. Wenn es nur nicht diese Ballung von wirtschaftlicher, politischer und publizistischer Macht in der Hand einer Person gäbe. Der Interessenkonflikt sei ein Problem, meint Radek Spicar:
    "Die Verbindung von Politik und Medien ist nicht glücklich. Sie schadet Andrej Babis, und es nützt weder der politischen Kultur im Land und vermutlich auch nicht dem Image der Tschechischen Republik im Ausland."
    Bislang schadet dem Umfrage-Favoriten Babis und seiner ANO gar nichts. Weder die ungeklärte Frage, ob er in kommunistischen Zeiten für die Staatssicherheit gearbeitet hat, was er bestreitet, noch die Umstände, wie der ehemalige Mitarbeiter des staatlichen Außenhandels zu seinem Reichtum gekommen ist.
    "Der war ein junger kommunistischer Kader."
    Der zweitreichste Mann Tschechiens
    Jaroslav Rudis, Schriftsteller, Publizist und Musiker:
    "Ihm wird vorgeworfen, wie er eigentlich reich geworden ist in den 90ern, in der sehr wilden, brutal kapitalistischen Zeit, wo die anderen oder wir keine Ahnung hatten, und die wussten schon Bescheid, wie das Leben läuft, mindestens, was Kapitalismus angeht. Wir haben immer noch an die Freiheit und Demokratie geglaubt und an Vaclav Havel, und die waren schon ganz woanders."
    Das Logo des Konzerns Agrefort vom tschechischen Finanzminister Andrej Babis.
    Das Logo des Konzerns Agrofert vom tschechischen Finanzminister Andrej Babis. (picture alliance / dpa / CTK / Marin Sterba)
    Laut Forbes hat der gebürtige Slowake ein Vermögen von 3,4 Milliarden Euro und ist damit der zweitreichste Mann Tschechiens. Seine Mischkonzern Agrofert hat rund 250 Tochtergesellschaften, darunter die Mafra mit den zwei wichtigsten tschechischen Tageszeitungen. Insgesamt hat der Konzern mehr als 30.000 Beschäftigte. Die Kontrolle hat er zwar an einen Treuhänder abgegeben. Aber kaum jemand zweifelt, dass Babis im Hintergrund weiter die Fäden zieht. Sein Erfolg als Unternehmer imponiert vielen Tschechen. Und Andrej Babis kann mit den einfachen Leuten.
    "Diese Volksnähe, das ist etwas, was die Tschechen auch mögen. Er ist doch einer von uns. Obwohl, er ist ja superreich, der Herr Babis. Aber er ist doch einer von uns, der jetzt mit uns in der Kneipe sitzt und ein Bierchen trinkt."
    Babis: "Parasiten für diejenigen, die arbeiten"
    Der Finanzminister im Kabinett Sobotka gibt sich als Kämpfer gegen Korruption, Schwarzarbeit und Steuerhinterziehung.
    "Ich habe auch den Traum, das wir einmal stolz darauf sind, dass wir Steuern bezahlen. Und nicht, dass wir uns rühmen, keine zu zahlen."
    So weit, so gut. Aber dann schleicht sich eben auch ein Ton ein, der den Populisten verrät, welcher auf Ressentiments setzt:
    "Wir müssen endgültig unterscheiden zwischen aktiven Menschen, die arbeiten, und solchen, die nicht arbeiten, die Unterstützung beziehen und Parasiten sind für diejenigen, die arbeiten."
    Polizei ermittelt wegen Subventionsbetrug gegen Babis
    Aber spätestens beim Thema Steuer-Ehrlichkeit hat Andrej Babis ein Glaubwürdigkeitsproblem. Polizei und Staatsanwaltschaft ermitteln gerade in diesen Tagen gegen ihn wegen Subventionsbetrugs. Um an zwei Millionen Euro Fördergelder der EU für kleinere und mittlere Unternehmen heranzukommen, soll er sein Wellness-Resort Storchennest vorübergehend an Familienmitglieder überschrieben haben. Wegen dieser und anderer Vorwürfe hat Ministerpräsident Sobotka ihn im Mai aus dem Kabinett gedrängt. Für Andrej Babis eine klare Sache:
    "Das war keine Korruption. Das ist alles erfunden, um mich anzuschwärzen. Es ist eine Kampagne, eine brutale Kampagne."
    Eine Kampagne der alten etablierten Seilschaften, um ihn politisch zu erledigen, das ist seine Sichtweise. Babis Traum von Tschechien ist ein effizienter Staat mit schlanken Strukturen, ohne Korruption und Vetternwirtschaft, geführt wie eine Firma. Für Lubomir Zaoralek, den Außenminister und Spitzenkandidaten der Sozialdemokraten nicht akzeptabel.
    "Das ist nur PR. Babis hat kein Programm. Eine Firma muss Gewinne machen, und die Schwachen werden aussortiert. So kann man keinen Staat führen."
    "ANO will demokratische Freiheiten unserer Bürger demontieren"
    Und noch schärfer ist die Kritik von Miroslav Kalousek, dem Chef der konservativen TOP-09.
    "Es gibt keinen Zweifel, dass die Bewegung ANO die demokratischen Freiheiten unserer Bürger demontieren will. Sie macht es praktisch schon und verheimlicht es auch nicht in ihrem Programm. Mit ANO kann man nicht zusammenarbeiten. Man muss sie bekämpfen."
    Auch Jan Herzmann, der Meinungsforscher und Politikberater, findet das Demokratie-Verständnis von Babis bedenklich, das hinter dem Bild vom Staat als Familienunternehmen sichtbar wird.
    "Babis legt nicht viel Wert auf Demokratie als Prozedur, als System. Es ist für ihn etwas langsam, etwas zu kompliziert. Und die Frage ist, ob er nicht versucht, einige von diesen Gegengewichten zu vereinfachen. Das wäre nicht gut."
    Umfragen: Babis´ANO bei 27 bis 33 Prozent
    Die Umfragen zeigen ANO seit Monaten in Führung. Zwischen 27 und 33 Prozent errechnen die Meinungsforscher. Die sozialdemokratische CSSD liegt immer um 15 Punkte dahinter, manchmal sogar noch hinter den Kommunisten auf Platz drei. Und die Kommunisten in Tschechien sind noch echte Post-Stalinisten. Für sie ist der Prager Frühling von 1968 immer noch ein Verrat am Sozialismus und ihre Entmachtung 1989 eine Konterrevolution. Ihr mentales Erbe hängt einem großen Teil der tschechischen Gesellschaft noch immer in den Kleidern. So sieht es Daniel Herman, der Kulturminister von den Christdemokraten:
    "Eine Rekonstruktion der Ökonomie oder der Fassaden, das ist nicht so kompliziert. Aber eine Rekonstruktion des Herzens und der Mentalität, das ist ein Generationsprozess und meiner Ansicht nach ein Prozess für mehr als nur eine Generation. Und wir sind irgendwo in der Mitte des Weges."
    "Natürlich gibt es bei einigen Leuten eine Sehnsucht nach einer starken Persönlichkeit, die alle Probleme des Landes löst, ohne dass sich die Bürger selber engagieren müssen."
    Verhältnis zur EU "zwiespältig bis skeptisch"
    Meint Zuzana Lizcova, die Politologin und Journalistin. Aber ein anderer Aspekt sei noch wichtiger:
    "… dass die Leute sehr reserviert sind in ihrem Verhältnis zu Institutionen, seien es staatliche Institutionen oder politische Institutionen oder internationale. Und das sieht man auch in den Beliebtheitswerten der Europäischen Union bei uns."
    Das Verhältnis der Tschechen zur EU ist zwiespältig bis skeptisch. Die Mitgliedschaft in der Europäischen Union wird eher als notwendiges Übel gesehen und ist nicht mit einer positiven Idee verbunden. Und der Streit um Flüchtlinge und Quoten hat die Skepsis noch verstärkt. Muslimische Flüchtlinge werden als Sicherheitsrisiko gesehen. Innenminister Chovanec und Präsident Zeman wiederholen das bei jeder sich bietenden Gelegenheit.
    "Es reicht nicht, nur Beileidstelegramme nach Terroranschlägen zu schicken. Wir müssen die Ursache des Terrorismus beseitigen, und diese Ursache sind leider illegale Flüchtlinge."
    Angst vor islamistischem Terror
    Der islamistische Terror geht von Muslimen aus. Wer keinen Terror will, darf keine muslimischen Flüchtlinge ins Land lassen - das ist eine einfache These, die bis in die junge Generation hinein Gehör findet. Tschechien gehört zu den sechs sichersten Ländern der Welt, und das soll so bleiben. Integrationsprobleme wie in Deutschland oder Frankreich will man sich gar nicht erst einhandeln. Dass dabei humanitäre völkerrechtliche Verpflichtungen auf dere Strecke bleiben, steht auf einem anderen Blatt. Und außerdem geht es um die nationale Selbstbestimmung.
    "Ich sehe gewisse Ähnlichkeiten zwischen dem Begriff der eingeschränkten Souveränität, den Leonid Breschnew geprägt hat, und dem Begriff der geteilten Souveränität, den die Europäische Union prägt."
    Sich Abschotten in einer vertrauten Welt
    Brüssel als eine ferne fremde Macht wie einst die UdSSR, das ist ein Feindbild, das gut funktioniert in einem Land, das die längste Zeit seiner Geschichte fremdbestimmt war. Es trifft auf eine traditionelle defensive Mentalität des sich Abschottens und Unter-sich-bleiben-Wollens in einer kleinen überschaubaren vertrauten Welt.
    Jaroslav Rudis, Schriftsteller und Weltenbummler aus dem nordböhmischen Liberec mit Zweitwohnsitz in Berlin kann das nachvollziehen:
    "Vielleicht ist das ein Irrtum, dass man diese große Welt haben muss, um sich irgendwie frei zu fühlen. Vielleicht kann man sich an so einem Biertisch viel freier fühlen, weil man sich so viel dort zu erzählen hat in Tschechien."
    "Die EU muss sich mit uns ändern"
    Aber auch die Tschechen stellt sich die Frage, wo ihr Platz in Europa ist und welche Rolle sie ausfüllen wollen. Für Lubomir Zaoralek, den Außenminister und Spitzenkandidaten der Sozialdemokraten, ist die Antwort klar.
    "Für die Tschechische Republik ist Europa der Schlüsselraum. Wir leben darin. Er ist die Garantie für Wohlstand und Sicherheit."
    Eine EU freilich, die sich reformiert und daran arbeitet, dass das Wohlstandsgefälle zwischen den Mitgliedern endlich kleiner wird. Das sieht Miroslav Kalousek von der dezidiert pro-europäischen TOP 09 nicht wesentlich anders:
    "Die EU muss sich ändern und wir betonen: Sie muss sich mit uns ändern. Wir müssen mit anderen Ländern in jenem Kern der Union sein, der bei der Integration fortschreiten will."
    Anti-Islam-Parteien mit Chancen auf hohe Stimmengewinne
    In Prag demonstrieren Tausende Menschen gegen die tschechische Regierung.
    In Prag demonstrieren Tausende Menschen gegen die tschechische Regierung. (AFP / Michal Cizek)
    Auch die Christdemokraten und die Piraten definieren sich als pro-europäische Parteien. Aber es gibt politische Kräfte, die das ganz anders sehen und Aufwind haben. Eine militante Anti-Islam und Anti-EU-Partei mit der aparten Abkürzung SPD hat Chancen, bis zu zehn Prozent der Stimmen zu bekommen. Und auch bei der ODS des früheren Präsidenten Klaus gibt es eine starke Strömung, die zum Austritt drängt. Nur wo Andrej Babis, der Favorit, mit seiner ANO-Partei europapolitisch hin will, das weiß niemand so recht, auch wenn er selbst sagt:
    "Wir sind pro-europäisch, aber heute ist es nötig, andere Probleme in Europa zu lösen: Wir müssen die illegale Migration stoppen und den Kampf gegen den Terrorismus verstärken."
    Erst mal abwarten, wie sich die Euro-Schuldenkrise entwickelt
    Den Euro wird es in Tschechien, wenn es nach ihm geht, auf absehbare Zeit nicht geben. Das deckt sich mit der Haltung der meisten anderen Parteien, die auch erst abwarten wollen, wie sich die Euro-Zone rund um die Schuldenkrise entwickelt. Für Griechenland und andere hoch verschuldete Staaten will man auf keinen Fall mithaften.
    Rund 8,4 Millionen Menschen entscheiden in Tschechien am 20. und 21. Oktober über den künftigen Kurs des Landes. Wenn man den Meinungsforschern folgt, könnte es ein Richtungswechsel werden und zugleich eine Reise ins Ungewisse.
    "Ein Freund von mir sagt immer: Ja, wir haben ja hier schon alles überstanden. Wir werden auch das hier überstehen. Hauptsache das Bier bleibt günstig und gut gekühlt."