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Tschechiens Universitäten
Aufnahmeprüfungs-Marathon für Studenten

Wer in Tschechien studieren will, braucht keinen guten Schulabschluss – vielmehr muss er die zahlreichen Aufnahmetests der Universitäten bestehen. Das Verfahren ist umstritten, aus Sicht der Professoren lässt sich aber nur so herausfinden, wer für das jeweilige Fach geeignet ist.

Von Kilian Kirchgessner | 21.08.2015
    So leer ist es sonst selten auf den Fluren der Philosophischen Fakultät in Prag: Nur ein paar Studierende sind hier in der Sommerpause unterwegs, die Schritte hallen in dem hohen Treppenhaus. Hinter einer der Türen sitzt Daniel Soukup; er ist an der Fakultät für die Aufnahmeprüfungen zuständig.
    "Wir müssen jetzt die Materialien zu allen 10.000 Bewerbungen archivieren und vorbereiten für die Einsichtnahme, denn natürlich kann jeder seine schriftlichen Tests anschauen und überprüfen, warum er es nicht geschafft hat. Und dann fangen wir auch schon mit der Vorbereitung für das kommende Jahr an."
    Die Aufnahmeprüfungen sind ein Massenereignis, das jedes Jahr für fast zwei Monate die tschechischen Universitäten lahmlegt: Jede der 26 öffentlichen Universitäten sucht sich ihre Studierenden in einem aufwendigen Verfahren aus. Ab November können sich die Bewerber für das nächste Studienjahr im Internet registrieren und bekommen dort bei der jeweiligen Fakultät Tipps, wie sie sich am besten auf die Prüfung vorbereiten können. Wie genau die Tests aussehen, entscheidet jede Fakultät und jede Fachrichtung selbst – in Mathematik etwa oder Fremdsprachen geht es meistens schlicht um das Können, bei Fächern wie Psychologie, Jura oder Politologie werden oft Essays und andere freie Arbeiten verlangt. Im Mai und Juni laufen die Tests, wenige Wochen stehen die Ergebnisse fest und die erfolgreichen Bewerber können gleich zum Wintersemester ihr Studium beginnen. Seit Jahrzehnten hat sich dieses System bewährt, sagt Daniel Soukup:
    "Natürlich ist die Belastung für die Lehrenden sehr hoch. Aber schauen Sie sich etwa das Fach Psychologie an: Da bewerben sich für den Bachelor 1.000 Interessenten, wir haben aber nur 60 Plätze. Das geht nur über Aufnahmeprüfungen."
    Die Studienplätze einfach nach Schulnoten zu vergeben, das sei in Tschechien nicht denkbar.
    "Das Abiturzeugnis schaut bei uns niemand an, es gibt auch keinen Bonus dafür, wenn jemand ein Spitzenabitur mitbringt. Jedes Fach ist eben spezifisch, und die Prüfungen sind jeweils genau für die speziellen Anforderungen maßgeschneidert."
    In den tschechischen Schulen wissen die Absolventen schon früh, dass es nach dem Abitur gleich noch eine harte Prüfung geben wird. Hana Bednarova läuft in der Philosophischen Fakultät über den Flur; sie studiert Tschechische Sprache – und erinnert sich noch genau an den Tag, als sie nach Prag kam, um die Aufnahmetests zu machen.
    Abiturienten lernen schon für die Aufnahmeprüfung
    "Für mich war das ein riesiges Erlebnis. Ich kam aus dem Dorf und habe so eine große Aula im Leben noch nicht gesehen. Da saßen 300, 400 Bewerber, und man wusste: Nur jeder dritte wird genommen. So saßen wir da nebeneinander, jeder hatte einen anderen Bogen, damit niemand abschreiben kann. Die Atmosphäre war angespannt, aber es lag auch Vorfreude in der Luft: Jeder wollte hier studieren. Ich kam mit den Nachbarn ins Gespräch und habe festgestellt, dass alle ganz ähnliche Interessen haben."
    Mit dem Lernen für die Aufnahmeprüfung, erzählt Hana Bednarova, habe sie schon parallel zum Abitur begonnen. Eine Strategie, die offenbar aufgegangen ist: Sie hat es in den Studiengang geschafft und ist mittlerweile im Master-Programm – natürlich wieder nach einem Aufnahmetest, denn dieses Ritual zieht sich in Tschechien durchs gesamte Studium. Aber wie lässt sich rausfinden, wer gut für das Fach passt und wer nicht? Jan Palkoska schmunzelt; er lehrt Philosophie und kennt diese skeptischen Fragen.
    "Die erste Runde ist schriftlich, wir nennen das Talentprüfung. Da wollen wir versuchen festzustellen, ob die Bewerber für das Studium überhaupt geeignet sind. Sie bekommen den Text eines Philosophen, ohne Autor und Werknamen zu kennen, und sollen dann eine philosophische Interpretation schreiben. Wir hatten da zum Beispiel schon Texte von Hannah Arend, von Hegel oder Platon. Und dann bekommen die Bewerber noch einen zweiten Text auf Englisch, Französisch und Deutsch – den sollen sie ins Tschechische übersetzen. Insgesamt haben sie vier Stunden Zeit, das muss für alles reichen."
    Nur wer es durch dieses Nadelöhr schafft, darf ein zweites Mal antreten – diesmal zur mündlichen Prüfung. Drei Professoren sprechen mit jedem einzelnen Bewerber, eine halbe Stunde lang philosophieren sie über Texte, die der Prüfling vorher durcharbeiten muss. Jan Palkoska:
    "Meine Erfahrung ist: Es gibt eine breite Schicht von Bewerbern, wo gleich klar ist, dass sie talentiert sind für das Studium. Und dann gibt es eine noch größere Gruppe von Leuten, die grauer Durchschnitt sind."
    Mit einem Punktesystem wird jeder einzelne Bewerber benotet; wer es schafft, der kann dann im nächsten Semester sein Studium antreten. 130 Interessenten gebe es pro Jahr für die Philosophie, erzählt Jan Palkoska, von ihnen wird rund ein Drittel ausgewählt. Das Verfahren sei mühsam für alle Beteiligten, das räumt er ein – es sei aber gut investierte Zeit.
    "Ungefähr 40 Leute treten jedes Jahr ihr Studium an. Von denen stellen sich 15 oder 20 als wirklich gut und hoffnungsvoll heraus. Das ist doch ein gutes Ergebnis."