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Tschechische Regierungskoalition in Nöten

Die Zukunft der tschechischen Regierungskoalition hängt am seidenen Faden. Zehntausende Menschen wollen gegen den rigiden Sparkurs der Regierung demonstrieren. Zudem hat sich die kleinste Koalitionspartei gespalten. Premierminister Petr Necas kämpft um den Fortbestand seiner Regierung.

Von Stefan Heinlein | 20.04.2012
    In Brüssel verweigert Petr Necas seine Unterschrift unter den EU-Fiskalpakt. Doch daheim in Prag setzt der konservative Ministerpräsident auf strikte Haushaltsdisziplin. Trotz einer im europäischen Vergleich moderaten Staatsverschuldung soll bereits im kommenden Jahr das Defizit unter die 3-Prozent-Marke sinken:

    "Das ist die Schlüsselaufgabe unserer Regierung. Wir brauchen grundsätzliche Reformen, um die öffentlichen Finanzen zu sanieren und das Wirtschaftswachstum anzukurbeln."

    Der Weg aus den roten Zahlen führt über ein strammes Sparpaket. Geplant sind harte Einschnitte für die Bevölkerung. Nachdem bereits in diesem Jahr kräftig an der Steuerschraube gedreht wurde, steigt die Mehrwertsteuer 2013 erneut um einen Prozentpunkt. Auch das bisherige Flat-Tax-Modell wird abgeschafft. Besserverdienende werden über eine Reichenabgabe künftig zusätzlich zur Kasse gebeten. Besonders hart trifft es die Rentner. Ihre Altersbezüge werden in Zukunft nur noch geringfügig steigen.

    "Mit diesen Maßnahmen rutschen viele Menschen immer tiefer in die Armut, empört sich der Vorsitzende des tschechischen Gewerkschaftsbundes Jaroslav Zavadil. Das sind asoziale Reformen, die wir nicht hinnehmen werden. Die Wut in der Bevölkerung ist groß."

    Für das Wochenende haben die Gewerkschaften deshalb zu einer Demonstration in Prag aufgerufen. Auf dem Wenzelsplatz werden über 50.000 Teilnehmer erwartet. Das wäre die größte Protestveranstaltung seit der Samtenen Revolution 1989. Die Geduld der Tschechen ist am Ende, meint der Wirtschaftsanalytiker Pavel Mertlik:
    "Die Zeche für den Sparkurs der Regierung zahlen vor allem die Familien und Durchschnittsverdiener. Die enormen Preiserhöhungen betreffen immer mehr Haushalte. Das sind willkürliche Maßnahmen, die das tschechische Wirtschaftswachstum untergraben."

    Tatsächlich ist die Binnennachfrage schon durch die fast zehnprozentige Lohnsenkung im öffentlichen Dienst und die Streichung vieler staatlicher Investitionen deutlich eingebrochen. Die stark exportorientierte tschechische Wirtschaft marschiert in Richtung Rezession. Ausländische Investoren sind deshalb wenig begeistert vom Sparpaket der Regierung, meint Gerit Schulze von Germany Trade Invest in Prag:

    "Das Sparprogramm kommt zu einer Zeit, da die tschechische Wirtschaft eigentlich gar nicht so gut dasteht, eher in Richtung Rezession rutscht. In diese Zeit kommt jetzt dieses Sparpaket, es ... wird die wirtschaftliche Leistung nicht unbedingt steigern und deswegen ist die Frage, ob es nicht zur falschen Zeit kommt, dieses Sparpaket."

    Die Chance allerdings, dass die Mitte-Rechts-Regierung ihr Sparprogramm durch das Parlament bringt, ist derzeit gesunken. Nach der Spaltung der kleinsten Koalitionspartei kämpft Petr Necas um den Fortbestand seiner Regierung. Anfang der Woche entscheidet sich das politische Schicksal des Ministerpräsidenten.

    Ohne eine sichere Mehrheit wird es bereits im Sommer Neuwahlen geben. In den Umfragen liegen die oppositionellen Sozialdemokraten deutlich in Führung. Eine weitere Folge des rigiden Sparkurses ist die Renaissance der Kommunisten. Jeder fünfte Tscheche würde derzeit sein Kreuz bei der stramm-links orthodoxen Partei machen.