Donnerstag, 28. März 2024

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Tschechische Traditionsunternehmen (1/5)
Glaskunst für Designfans

Böhmisches Kristall genoss Weltruhm im Barock. In der kommunistischen Tschechoslowakei verstaubte die Glasschleiferkunst. Designer Rony Plesl will dem alten tschechischen Handwerk jetzt mit modernen Kollektionen wieder zu neuem Glanz verhelfen.

Von Kilian Kirchgeßner | 26.03.2018
    Designer Rony Plesl präsentiert eine Vase aus seiner Kollektion für die tschechische Glashütte Rückl
    Designer Rony Plesl präsentiert eine Vase aus seiner Kollektion für die tschechische Glashütte Rückl (Deutschlandradio/ Kilian Kirchgeßner)
    Die Sektgläser sind verteilt, die ersten Ansprachen gehalten, als endlich Ana Geislerova nach vorn tritt. Sie ist eine der bekanntesten tschechischen Schauspielerinnen und für den Glamour zuständig. Langsam zieht sie das üppige schwarze Tuch vom Tisch, dutzende Fotografen drücken auf den Auslöser. Langsam zeigen sich unter dem Tuch die Umrisse einer Glasstatue, vielleicht 40 Zentimeter hoch. Jetzt tritt Rony Plesl ans Mikrofon, der Designer, und erklärt sein Werk:
    "Das ist ein typisch tschechischer Schliff, der auf Deutsch-Tschechisch Spitzstein heißt. Das geschliffene Glas ist ein böhmisches Phänomen, das zurückreicht bis zum Barock."
    Er redet noch weiter, von Traditionen spricht er und von frischem Wind. Die Statue ist die Trophäe für den wichtigsten tschechischen Filmpreis, den "Böhmischen Löwen". Rony Plesl trägt einen schwarzen Zweireiher, auf der Nase eine schwere schwarze Brille. Er ist selbst ein Prominenter, unter den Designern ist er ein Star. Nach seiner Rede tritt er zur Seite, die Feier geht jetzt erst richtig los.
    "Die Filmwelt ist glänzender als die des Designs, da bin ich nicht so daran gewöhnt. Auf einmal standen da 20 Fotografen vor mir. Nachdem so viele Leute nicht mehr geglaubt hatten, dass die Glashütte noch einmal auflebt, ist das ein großer Moment."
    Traditionsreiche Glashütte holt Rony Plesl als Retter
    Rückl heißt die Glashütte, für die Rony Plesl arbeitet, unter dem Logo der Firma prangt die Jahreszahl 1846. Eine lange Tradition, aber jetzt soll alles anders werden: Kurz vor der Insolvenz wurde die Hütte vor einigen Monaten verkauft. Der neue Eigentümer engagierte als erstes Rony Plesl, um die verstaubte Kollektion aufzufrischen, und eröffnete mitten in Prag einen High-Tech-Showroom – die Räume, in denen jetzt der böhmische Löwe vorgestellt wird. Die Botschaft ist klar: Rückl ist wieder zurück.
    Ein paar Tage später, Rony Plesl sitzt in seinem Atelier, ein Loft in einem alten Industriebau mitten in Prag. Vor ihm auf dem Tisch liegt ein weißes Blatt Papier, auf das Plesl mit einem Bleistift ein paar Linien skizziert:
    "So sehen die Vasen aus, die jetzt en gros entstehen. Ich habe sie Krakatit genannt, nach dem Roman von Karel Capek."
    Rony Plesl steht auf, über eine frei stehende Metalltreppe geht er auf die Galerie hinauf. Dort sind auf einem Tisch ein paar Musterstücke aufgereiht, die gerade aus der Glashütte eingetroffen sind.
    "Die Kollektion heißt Ceske Nebe, böhmischer Himmel. Ich wusste: Wenn ich etwas Weltläufiges machen will, muss es sehr tschechisch sein. Hier sind zum Beispiel Briefbeschwerer, die wie Stempel aussehen, was mit der Verbindung zur Bürokratie ein bisschen eine Reminiszenz an Franz Kafka ist. Oder hier, die Karaffe Golem: eine Legende aus dem jüdischen Prag. Oder der tschechische Kubismus – jedes Produkt hängt mit Tschechien zusammen."
    "Bis heute haben wir die besten Schleifer der Welt"
    Rony Plesl ist im früheren Sudetengebiet an der Grenze zu Deutschland aufgewachsen – in einer Region, in der die Glasbläserei eine lange Tradition hat. Inzwischen hat er für fast alle großen tschechischen Brauereien die Biergläser entworfen, er hat Designpreise abgeräumt und sich ganz auf das Glas spezialisiert. In Prag ist er Professor an einer Kunsthochschule:
    "Worin wir hier in Prag wirklich Weltspitze sind, das ist das Glasschleifen. In der Barockzeit übertraf das böhmische Glas sogar das venezianische. Schauen Sie sich in London das Victoria-and-Albert-Museum an, dort gibt es jede Menge Glas zu sehen – und in der Sammlung es dominiert das böhmische Kristall. Bis heute haben wir hier die besten Schleifer der Welt."
    Rony Plesl nimmt eine Skizzenmappe aus dem Regal und blättert in den großformatigen Bögen:
    "Das ist eine riesige Menge Skizzen, allein hier ein paar Hundert für diese Kollektion."
    Mit seinem frischen Strich will er das alte Handwerk retten, das längst zu teuer für die Serienfertigung geworden ist und zu altmodisch für ein modernes, kauflustiges Publikum. Die Firma Rückl, zu deren Rettung er sich gerade anschickt, hatte bis vor kurzem ihr Glück mit den schweren Vasen und Gläsern versucht, die sich mit kitschigen Mustern und Goldrand seit den kommunistischen 1970er-Jahren verkaufen.
    "Das Glas hatte sicherlich seinen Wert, war aber durch die Jahrzehnte hindurch schon etwas angestaubt. Da haben sich die Muster unendlich wiederholt, diese Sternchen und Blümchen aus einer anderen Zeit. Ich habe versucht, eine zeitgenössische Geschichte zu erzählen: Wir machen zum Beispiel ein Glas mit einem geschliffenen Herz, das wie tätowiert aussieht, oder auch wie Street-Art."
    Die Modernisierung beginnt mit Herz
    Die Zutaten sind die gleichen geblieben – mundgeblasenes Glas und die Handarbeit der böhmischen Glasschleifer, die in die glänzende Oberfläche filigrane Muster ritzen. Rony Plesl greift sich in seinem Atelier eines der neuen Gläser: Eine elegante Form hat es, rosa schimmert das Glas, in es hineingeritzt ist ein Herz, das aussieht wie ein ungelenker Liebesbeweis, den ein Verliebter in eine Baumrinde geschnitzt hat:
    "Die ganze Kollektion fing mit diesem Herz an. Es war eigentlich nur ein Witz, mit dem ich den Schleifern zeigen wollte, dass wir eine neue Geschichte zeichnen können. So wie sie früher Blumen geschliffen haben, machen wir jetzt eben ein Herz. Als erster Versuch entstand dieses Glas hier, und heute ist es das erfolgreichste Produkt der Serie – es gibt sogar Wartelisten dafür."
    Rony Plesl steigt die Ateliertreppe wieder hinunter, er muss weiter zum Treffen mit einem Marketing-Experten. Solche Termine hat er jetzt öfters: Für die Rettung der alten Glashütte wird der Designer auch zum Manager.