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Tschechisches Musical
Teuflischer Pakt zwischen Baarova und Goebbels

Die Affäre zwischen NS-Propagandaminister Joseph Goebbels und der jungen, tschechischen Schauspielerin Lida Baarova - diese Geschichte hat der Komponist Ales Brezina zu einem Musical gemacht. Für den Filmkomponisten ein ungewohntes Genre. Er spielt in "Liduschka" mit zahlreichen Musikzitaten, aber das Musical funktioniert auch als unterhaltsame Revue.

Von Kilian Kirchgeßner | 05.06.2017
    Die tschechische Schauspielerin Lida Baarova (eigentlich Ludmilla Babkova) im Jahr 1935.
    Lida Baarova - UFA-Star der 30er-Jahre (dpa)
    "Sie war eine faszinierende Person, die im Alter von 20 Jahren auf den Olymp gekommen ist. Wir hatten seitdem niemanden mehr, der schon so jung so sehr strahlt – sie drehte drei Filme pro Jahr, hatte ein hoch dotiertes Angebot aus Hollywood, das gab es seither nicht mehr in Tschechien. Und dann ist da noch diese unglaubliche Kombination aus Naivität und Karrierestreben; so ein faustisches Thema: Komm her, ich biete dir was, aber du gibst mir dafür deine Seele!"
    Komponist Ales Brezina hat ein Treffen vorgeschlagen in einem Prager Café, an dem eine Ausfallstraße vorbeirauscht. Er ist nur kurz auf der Durchreise in seiner Prager Heimat, derzeit lehrt er gerade an der Universität in Hamburg, lange Jahre war er in der Schweiz. Das Musical, das nach dem tschechischen Kosenamen von Lida Baarova schlicht "Liduschka" heißt, hat er zum Überraschungserfolg in der tschechischen Musikszene gebracht – denn es ist gerade kein seichtes Revuetheater geworden, wie es das Thema verlockend nahelegt. Im Gegenteil: Etliche Auszeichnungen und Nominierungen prasselten auf das Stück nieder, die Kritik reagierte euphorisch. Zeitgenössische Stoffe sind für Ales Brezina zwar nichts Neues, er hat bereits zwei Opern komponiert, die sich mit der finstersten Zeit des tschechoslowakischen Kommunismus’ auseinandersetzen – ungewohnt ist für ihn aber das Genre.
    "Ich habe in meinem Leben vielleicht drei Musicals gesehen. Für mich ist die West Side Story eines der Musterbeispiele: Sie stammt von einem Komponisten, der die Pop-Musik versteht, das Musical aber aus der Perspektive dessen komponiert, der eigentlich ernste Musik macht."
    Ales Brezina spielt mit musikalischen Zitaten
    Immer wieder klingt Ales Brezinas Heimat in der ernsten Musik auch im Musical an. Der Komponist hat sich aber eingelassen auf die Spielregeln des leichteren Genres – er, der sich als Musikwissenschaftler vor allem mit dem tschechischen Komponisten Bohuslav Martinu auseinandersetzt. Das leicht erfassbare Grundmotiv begegnet den Zuhörern während der Aufführung immer wieder.
    "Ich spiele viel mit Zitaten. Wenn es um die Kollaboration geht, kommt ein kurzes Zitat aus Smetanas Vysehrad, etwas von Dvorak findet sich in der Musik und wenn Lida Baarova etwa singt: 'Warum bin ich so hübsch, warum bin ich so schön? Ich bin berühmter als eine Humoreske' – dann baue ich da eine singende Flöte ein. Mir macht das Spaß, und den Kritikern auch."
    Tatsächlich schafft es Ales Brezina, mehrere Ebenen in das Musical einzuziehen: Es funktioniert als unterhaltsame Revue und vergrault so das klassische Musical-Publikum nicht; zugleich aber ist die Musik so anspielungsreich, dass auch die anspruchsvollen Hörer auf ihre Kosten kommen.
    Abhängigkeit zwischen Künstlern und Machthabern
    Das Libretto stammt von Karel Steigerwald, einem renommierten tschechischen Publizisten. Er schafft es, das Musical als eine Art musikalische Vergangenheitsaufbereitung anzulegen. Komponist Ales Brezina benennt das schonungslos:
    "Lida Baarova wurde zum Sündenbock. Das hat hier eine große Tradition – jemanden zu finden, auf den ich die Schuld Aller abwälze. Darin steckt etwas von der Tradition der tschechischen Feigheit."
    Denn das Musical schaut nicht nur in die Abgründe, die sich während des Dritten Reichs auftaten; nicht nur auf die Abhängigkeit zwischen Künstlern und Machthabern, nicht nur auf den teuflischen Pakt zwischen der Schönen und dem Biest – der ganze zweite Akt ist der Nachkriegszeit gewidmet, als niemand mehr Lida Baarova vor der Kamera sehen wollte, als sie stattdessen in ihrer tschechischen Heimat vor Gericht kam. Auf Kollaboration mit dem Feind lautete die Anklage.
    "Wenn wir uns den Sex wegdenken, hat sie kein Verbrechen begangen nach allem, was wir wissen. Sie wurde in Tschechien aber zum Symbol für die Kollaboration. Wir fänden Zehntausende schlimmere Kollaborateure, die Menschenleben auf dem Gewissen haben oder vernichtete Karrieren. Das alles gibt es bei Lida Baarova nicht – aber der Hass wurde auf sie kanalisiert, dadurch konnten die weitaus schlimmeren Kollaborateure nach dem Krieg weitermachen."
    Ein tragisches tschechisches Schicksal
    Das Pilsener Theater hat mit seinem Musical keinesfalls ein vergessenes Thema neu in die Diskussion gebracht; es springt eher auf einen fahrenden Zug auf, denn über Lida Baarova, die in Tschechien als Geliebte des Teufels stilisiert wird, gab es in den vergangenen Jahren bereits einen Dokumentar- und einen Spielfilm, dazu Buchveröffentlichungen. Erst im Jahr 2000 starb Lida Baarova als hochbetagte Frau – und vermutlich, sagt Komponist Ales Brezina, braucht es den Abstand der Zeit, um die Tragik dieses tschechischen Schicksals ganz zu erfassen.
    "Ihre sehr kurze Karriere von 1933 bis zum Ende des Krieges – und dann dieser harte Schnitt. Sie verbringt die restlichen zwei Drittel ihres Lebens in Salzburg als Alkoholikerin, die täglich einen Liter Becherovka trinkt und sich an die 1930er-Jahre zurückerinnert."
    In Pilsen steht das Musical auch in der nächsten Spielzeit auf dem Programm; parallel dazu soll vielleicht schon bald eine Version auch auf Deutsch entstehen.