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Tsipras in Moskau
"Griechenland wird keinen Bruch mit Europa wagen"

Ein Veto Griechenlands gegen die europäische Sanktionspolitik - das erhoffen sich die Russen vom Besuch des griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras in Moskau, sagte der Wirtschaftswissenschaftler Spiridon Paraskewopoulos im DLF. Zwar würden die griechischen Linken diesen Bruch wollen, doch Alexis Tsipras vermutlich nicht.

Spiridon Paraskewopoulos im Gespräch mit Martin Zagatta | 08.04.2015
    Griechenlands Premierminister Alexis Tsipras
    Wenn die Griechen der Verlängerung der Russland-Sanktionen nicht zustimmen würden, würde das große Nachteile von europäischer Seite nach sich ziehen, vermutet der Wirtschaftswissenschaftler Spiridon Paraskewopoulos im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. (AFP / Emmanuel Dunand)
    Martin Zagatta: Wohl selten hat die Reise eines europäischen Politikers schon im Vorfeld für so viel Aufsehen, auch für so viel Unmut gesorgt wie jetzt die des griechischen Ministerpräsident Tsipras nach Moskau. Fällt er da der EU in den Rücken? Schert er aus aus der europäischen Sanktionsfront gegen Putin?
    In Athen sind wir jetzt mit dem Wirtschaftswissenschaftler Spiridon Paraskewopoulos verbunden. Herr Paraskewopoulos, wie ist das bei Ihnen in Athen, wie groß sind denn die Erwartungen an diesen Besuch von Tsipras in Moskau?
    Spiridon Paraskewopoulos: Ich würde sagen, gemischt. Die Anhänger von Herrn Tsipras sind stolz, dass Herr Tsipras jetzt eine Alternative hat zu den bösen Europäern, und er wird was erreichen. Aber es gibt auch vernünftige Griechen, die sagen, so etwas ist für Griechenland langfristig sehr negativ. Also es gibt beide Positionen.
    Zagatta: Und diejenigen, die sagen, das ist gut, dass er da sich mit Moskau einlässt, was erwarten die von diesem Besuch, wie sind da konkret die Erwartungen?
    Griechenlands Hoffnung: Mehr Handel und niedrigere Gaspreise
    Paraskewopoulos: Zunächst sagen die ganz offiziell und ganz laut, die Griechen und die Russen sind Orthodoxe, die haben traditionelle Beziehungen aus der Vergangenheit. Die zwei Völker waren immer friedlich und so weiter. Der Kommunismus hatte damals ein bisschen diese Beziehungen unterbrochen. Jetzt ist es Zeit, dass wir wieder mit den Russen uns verständigen.
    Und die erwarten, dass Herr Putin dieses Embargo gegenüber den landwirtschaftlichen Produkten aus Griechenland aufgibt. Das ist die Erwartung. Und eine zweite Erwartung ist, dass die Griechen eine neue Beziehung im Sinne von Energie – die erwarten, dass der Gaspreis, den die Griechen an die Russen jetzt zahlen, dass sie eine Ermäßigung bekämen. Das sind die Erwartungen.
    Zagatta: Dagegen wäre ja wahrscheinlich auch nichts einzuwenden. Wie sehr würde das der griechischen Wirtschaft helfen, also ein niedriger Gaspreis und wenn man wieder Obst exportieren kann, wenn die Russen das wieder zulassen würden?
    Paraskewopoulos: Es ist so: Die Griechen hatten in den letzten Jahren sehr viele landwirtschaftliche Produkte, vor allem Obst und so weiter an die Russen verkauft. Und dann voriges Jahr, als diese Embargo-Geschichte gekommen ist, wurde die griechische Landwirtschaft ziemlich stark getroffen. Allerdings, sie haben Ersatzzahlen von Europa auch bekommen. So viel haben sie auch nicht verloren.
    Aber jetzt politisch, das kann man sagen, Tsipras selbst hat das nicht gesagt, aber ein Minister, Lafazanis, hat neulich, nicht neulich, gestern habe ich das im Fernsehen gesehen, gehört, Griechenland soll sich ein bisschen mehr in Richtung Russland orientieren. Das sind die Völker, die so freundschaftlich bis jetzt immer waren. Und dieser Lafazanis, muss man dazu sagen, war ursprünglich Mitglied der Kommunistischen Partei, und, na ja, gut, er hatte für meine Begriffe auch dummes Zeug erzählt in dem Sinne, dass er gesagt hat, er war, er selbst vor Kurzem auch allein in Moskau und er hatte – es bahnt sich eine neue Energiepolitik für Europa. Also so große Sprüche hat er da gelassen.
    Zagatta: Herr Paraskewopoulos, wenn das zustande käme, also dass Russland da wieder Obstlieferungen aus Griechenland zulässt, dass man den Griechen zu einem billigeren Preis liefert – das würde wahrscheinlich mit der EU gar keine Schwierigkeiten geben. Also das würde man ja unter Umständen selbst in Brüssel begrüßen. Wie groß sind denn die Befürchtungen, oder wie wird das in Griechenland gesehen, dass man in Brüssel Befürchtungen hat, Tsipras könnte da von der Sanktionspolitik abrücken und aus dieser Einheitsfront, die die EU da aufgebaut hat mit Sanktionen gegen Putin, ausbrechen?
    "Griechen sind gegenüber Russland gespalten"
    Paraskewopoulos: Jetzt werde ich eine Hoffnung und dann eine sachliche Interpretation bringen. Meine Hoffnung ist, dass er nicht darauf eingeht. Die Russen erwarten, dass eventuell Griechenland jetzt innerhalb der Europäischen Union dieses Embargo gegenüber Russland, dass die Griechen bis zum Veto kommen und der Verlängerung nicht zustimmen. Ich hoffe, das ist jetzt meine Hoffnung, dass er das nicht macht, weil die Nachteile aus Europa viel größer sein werden.
    Allerdings, das muss man dazu sagen, ist jetzt auch eine Diskussion in Griechenland: Tsipras steht zwischen zwei Parteien, wenn man so will. Die Linke wollen einen Bruch, wenn man so will, mit Europa. Vermutlich Tsipras nicht. Die Frage ist jetzt, wie jetzt das Verhältnis der Kräfte innerhalb seiner Partei sein wird. Also, für Europa – ich finde es gut, dass die Europäer so ein bisschen hart diesbezüglich sind und ihn daran erinnern, wie solidarisch Europa bis jetzt mit Griechenland gewesen ist. Und er soll mit dieser Geschichte nicht spielen, das hatte indirekt auch der Präsident des Europäischen Parlaments gesagt. Ich hoffe, die vernünftigen Griechen denken in diese Richtung. Die Opposition denkt in diese Richtung, mit Ausnahme der Kommunistischen Partei. Also meine Einschätzung ist, dass ein solcher Schritt von Tsipras nicht gewagt wird.
    Zagatta: Aber wie denkt denn die Mehrheit der Griechen. Wir lesen hier Umfragen, dass nur noch 23 Prozent positive Gefühle für die EU hegen, auf der anderen Seite seien 63 Prozent Russland wohlgesonnen.
    Paraskewopoulos: Nein, nein, das stimmt nicht. Gestern habe ich hier im griechischen Fernsehen, da haben sie auch eine andere Statistik gezeigt, dass 49 Prozent sind noch für Tsipras, dass die Politik, die er betreibt, richtig ist. Und vor allem jetzt gegenüber Russland, also das heißt, die Griechen sind gespalten, gegenüber Russland sind die Griechen gespalten.
    Zagatta: Wann können wir denn von Tsipras mal eine klare Linie erwarten? Also, man weiß jetzt nicht so, was er in Russland will. Es gibt Äußerungen, man zahlt den IWF-Kredit zurück, heißt es am einen Tag, am anderen, man zahlt ihn nicht. In Brüssel wartet man immer noch auf eine konkrete Liste. Wann wird das irgendwie – ist das abzusehen? Wird das irgendwann mal klarer?
    Paraskewopoulos: Es ist so: Sie kennen meine Position auch. Ich sage diesbezüglich: Alle Regierenden momentan, fast alle kommen aus der Kommunistischen Partei. Die Hauptlinie der Kommunistischen Partei Griechenlands ist: raus aus der NATO, raus aus der Europäischen Union, raus aus der Währungsunion. Das haben die Kommunisten unter denen nicht vergessen. Aber die Kommunisten, die das ganz offen sagen, haben nur sechs Prozent des griechischen Volkes hinter sich.
    Syriza jetzt verfolgt eine andere Strategie: Zunächst Jein zur NATO, Jein zur Europäischen Union, Jein zur Währungsunion. Und aufgrund der Krise, die die Griechen erfahren haben, und aufgrund der dummen Politik der bisherigen Regierungen, die alle Lasten auf die ärmere Schichten der Bevölkerung aufgeteilt haben, haben dazu geführt, dass der Tsipras die Wahlen gewonnen hat. Aber, das ist jetzt meine Einschätzung, die Griechen in ihrer Mehrheit sind nicht dafür. Und jetzt, Tsipras, wenn er das Geld nicht bekommt, wird wahrscheinlich auch die Regierung auseinanderbrechen. Ich glaube, bis Juno wird sie wahrscheinlich nicht halten. Sie haben auch kein Geld. Sie haben kein Geld.
    "Mit dieser Politik ist die Mehrheit der Griechen nicht einverstanden"
    Zagatta: Herr Paraskewopoulos, weil unsere Leitung doch nicht sehr gut ist, weil die Leitung schlecht ist, vielleicht kurz noch eine Frage: Wir lesen jetzt oder hören jetzt heute auch, es gebe Randale in Athen, Randale, Autonome haben da Häuser besetzt, eventuell auch angezündet. Ist das jetzt schon ein Dilemma, dass Tsipras seine Wahlversprechen nicht einhalten kann, oder mit was hat das zu tun?
    Paraskewopoulos: Ja, das ist jetzt eine dumme Geschichte, was die Griechen jetzt – mit dieser Politik ist die Mehrheit der Griechen nicht einverstanden. Die wollen jetzt ein neues Gesetz bringen, und Verbrecher, die lebenslänglich verurteilt sind, Verbrecher, die Morde begangen haben und so weiter, wenn die eine kleine Behinderung haben, können die wieder aus dem Gefängnis entlassen werden. Und die Polizei, jetzt bei diesen Randalierern mit Masken und allem Möglichem, darf die Polizei nicht eingreifen. Und jetzt gibt es in Griechenland eine tolle Debatte.
    Ich hoffe, dass die vernünftigen Griechen diesbezüglich die Oberhand bekommen. Sogar ein Minister von ihm, der dafür verantwortlich ist, argumentiert gegen die Regierung. Jetzt, zweimal im Fernsehen, er hat zwei Artikel geschrieben. Und jetzt denken die meisten vernünftigen Griechen wie ich, vielleicht deshalb gehen die auseinander.
    Zagatta: Der Wirtschaftswissenschaftler Spiridon Paraskewopoulos, den wir, Sie haben es gehört, über Handy und mit keiner allzu guten Leitung in Athen erreicht haben. Herr Paraskewopoulos, bedanke mich für das Gespräch!
    Paraskewopoulos: Ich bedanke mich auch, tschüs!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.