Nathaniel Rich: "Losing Earth"

Vor 30 Jahren scheiterte die Klimarettung

06:22 Minuten
Buchcover "Losing Earth" von Nathaniel Rich, im Hintergrund ein Kohlekraftwerk aus der Luft gesehen.
Seit 1989 wurde mehr CO2 in die Atmosphäre abgeben, als in der gesamten Geschichte der Menschheit davor, schreibt Nathaniel Rich. © Rowohlt Verlag / dpa / picture-alliance
Von Volkart Wildermuth · 09.04.2019
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Das Thema Erderwärmung ist ein Dauerthema: Gestützt auf Interviews berichtet der US-Autor Nathaniel Rich in seiner historischen Reportage "Losing Earth", wie die drohende Klimakatastrophe vor Jahrzehnten hätte verhindert werden können.
Und täglich grüßt die Klimakonferenz – das ist fast so was wie ein roter Faden in diesem Buch. Denn: "Fast alles, was wir über die Erderwärmung wissen, war bereits 1979 bekannt", beginnt Nathaniel Rich sein Buch. "Es war damals sogar besser bekannt" – als heute! Und das muss anders werden. Darum dieses Buch.
Am Anfang der Geschichte steht der Umweltaktivist Rafe Pomerance. In einem Regierungsbericht zum Thema Kohle stolperte er über den Satz, dass in einigen Jahrzehnten die Nutzung fossiler Brennstoffe zu "erkennbaren und schädlichen" Veränderungen der Erdatmosphäre führen würde. Seitdem machte es sich Pomerance zur Aufgabe, diesen Zusammenhang bekannt zu machen, ihn aus der Fachwelt herauszuholen ins öffentliche Bewusstsein.
Und fast schien es so, als hätte er damit Erfolg: "Die Großmächte waren nur noch wenige Unterschiften von einem bindenden Rahmenvertrag entfernt, mit dem die CO2-Emissionen verringert werden sollten – so nah waren wir seitdem nie mehr."
1989 war das.

Tauziehen in Hinterzimmern und Konferenzräumen

Was aber war passiert? Gestützt auf viele Interviews berichtet Nathaniel Rich in seiner Reportage detailreich und chronologisch vom Tauziehen in den Hinterzimmern und Konferenzräumen während der Jahre 1979 bis 1989. Er zeigt, was schief ging und warum.
Das könnte eine langweilige Geschichtsstunde sein, wäre das Thema nicht so aktuell. Im Grunde sollten Greta Thunberg und alle "Fridays for Future"-Aktivistinnen und -Aktivisten das Buch genau lesen, damit die nächsten Klima-Konferenzen tatsächlich ein Erfolg werden. Denn es gilt, Lektionen zu lernen.
Lektion Eins: Es geht gar nicht ums Klima. "Das Schicksal der Zivilisation hing davon ab ... Trotzdem war es kein politisches Problem." Es gab keine klare Lösung und ohne die wollten sich Politiker nicht die Finger verbrennen.
Lektion zwei: Ohne Schlagworte geht es nicht. Erst der Begriff "Ozonloch" machte aus einem abstrakten Atmosphärenproblem etwas, gegen das Menschen aktiv protestierten konnten.
Lektion drei: Selbst wenn alle guten Willens sind, passiert am Ende nichts, wenn das Schicksal der Wirtschaft auf dem Spiel steht. Georg W. Bush hatte mit dem Klima Wahlkampf gemacht, eine drohende ökonomische Krise hatte aber mehr Gewicht.

Massenbewegung der Jugend als Ausweg

"Wo stehen wir heute?", fragt Nathaniel Rich abschließend und antwortet:
"Seit 1989 wurde mehr Kohlendioxid in die Atmosphäre abgeben, als in der gesamten Menschheitsgeschichte davor."
Das sei kein technisches oder politisches Versagen, sondern in erster Linie ein moralisches, schreibt Rich. Denn auch die heutige Generation weiß, dass die Kinder die Rechnung für das jetzige Verhalten begleichen müssen, "deren Leben uns, wir haben es durch unsere Taten bewiesen, völlig egal ist."
Die aktuellen Klimakompromisse hält der Autor für völlig nichtssagend, weil die Nationen viel versprechen, aber nur wenig, sehr wenig tun. Den einzigen Ausweg sieht der Journalist in einer Massenbewegung der Jugend:
"Irgendwann werden die Jungen genug Macht aufbauen, um endlich zu handeln".
"Losing Earth" soll dabei helfen. Durch Geschichtsschreibung soll man schlauer werden. Mehr noch: Keiner, wirklich keiner, soll mehr sagen können, er oder sie haben von nichts vom Klimawandel gewusst.

Nathaniel Rich: "Losing Earth"
Aus dem Englischen übersetzt von Willi Winkler
Rowohlt, Berlin 2019
240 Seiten, 22 Euro

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