Mittwoch, 24. April 2024

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Internet-Plattformen
Clearing-Stellen mit Fake-Beschwerden überschwemmt

Britische Forscher um Gareth Tyson haben ein Jahr lang das Beschwerdeaufkommen von Internet-Plattformen untersucht. Die meisten Fälle drehten sich um Urheberrechtsverletzungen, sagte Tyson im Dlf. Doch nur 20 Prozent der Inhalte würden entfernt - denn viele Anfragen seien Fake-Beschwerden.

Gareth Tyson im Gespräch mit Manfred Kloiber | 24.08.2019
Die Wörter Antworten, Melden, Kopieren und Abbrechen sind unter einem Facebook-Eintrag auf dem Display eines Smartphones zu sehen, aufgenommen am 27.08.2015
Die Regierungen müssten strengere Richtlinien vorgeben, anstelle die Plattformen allein zu lassen, sagt der IT-Experte Tyson (picture alliance / dpa / Peer Grimm)
Manfred Kloiber: Der Druck auf die Internet-Plattformen steigt und steigt. Immer lauter und eindringlicher werden die Forderungen der Politik, dass die Anbieter von Kommunikationsplattformen ihre Kunden im Zaun halten. Sie sollen Hassreden verhindern und Straftaten unterbinden. Vorfälle, so die jüngste Forderung aus Deutschland, sollen den Strafverfolgungsbehörden gemeldet werden. Die großen Plattformen haben dazu ihr Beschwerdemanagement gewaltig ausbauen müssen, zumal es nicht mehr nur um die Einhaltung der selbstgesetzten Community-Standards geht, sondern jetzt staatliche Vorgaben wie das Netzwerk-Durchsetzungsgesetz umzusetzen sind.
Forscher der Queen Mary University of London haben sich ein Jahr lang das Beschwerdeaufkommen bei großen Plattformen angeschaut. Über die Erkenntnisse habe ich mit Gareth Tyson gesprochen.
Gareth Tyson: Unsere Ergebnisse konzentrierten sich einerseits darauf, wer diese Beschwerden generierte. Ein interessantes Ergebnis ist zum Beispiel, dass die überwiegende Mehrheit der auf der Welt generierten Beschwerden tatsächlich nur von einer winzigen Zahl von Absendern stammt. Die wichtigsten zehn Prozent aller Organisationen haben im Jahr 2017 über eine Milliarde Beschwerden gesendet. Die andere Seite der Studie befasste sich mit der Frage, wer diese Beschwerden erhielt und worum es in den Beschwerden ging.
Wie Sie sich vorstellen können, ging es meist um Webseiten, die schwere Urheberrechtsverletzungen begehen oder unerlaubte Downloads anbieten, z. B. Software oder Pornografie.
Eine weitere interessante Feststellung war, dass viele der untersuchten Beschwerden gelinde gesagt Fehler hatten. So fanden wir beispielsweise Fälle, in denen einzelne Organisationen immer wieder dieselben Beschwerden generierten. Oder Fake-Beschwerden, wo ohne weitere Belege behauptet wird, dass bestimmte Musikstücke auf einer Website angeboten würden.
Wir haben uns auch angesehen, ob die Websites den Inhalt nach einer Beschwerde entfernt haben oder nicht. Denn das ist ja Sinn und Zweck der Beschwerden. Aber da fanden wir heraus, dass in ungefähr 20 Prozent der Fälle der Inhalt entfernt wurde, aber in ungefähr 80 Prozent der Fälle der Inhalt noch aktiv ist und Bestand hat.
Mehrheit der Beschwerden beruht nicht auf behördlichen Anordnungen
Kloiber: Ja, reden wir über die zehn Organisationen, die - wie Sie sagten – 40 Prozent der Beschwerden insgesamt auf der Welt senden. Was wissen Sie über diese Organisationen?
Tyson: Diese Top 10 werden größtenteils von spezialisierten Unternehmen dominiert, die sich auf Urheberrechtsverletzungen konzentrieren. Große Produzenten von Inhalten beauftragen diese Unternehmen, um Urheberrechtsverletzer in ihrem Namen zu verfolgen. Das sind Dutzende oder sogar Hunderte von Content-Inhabern, die dann von einer Kanzlei vertreten werden. Und neben diesen Top 10 haben wir auch einige, hauptsächlich US-amerikanischen Medien-Riesen festgestellt.
Im Großen und Ganzen beruht die Mehrheit der Beschwerden nicht auf behördlichen Anordnungen oder auf Gerichtsbeschlüssen, sondern sie kamen von den großen Rechteinhabern mit dem Ziel, dass die Websites raubkopierte Versionen ihrer Werke entfernen.
Fake-Beschwerden nehmen zu
Kloiber: Diese Kanzleien, die im Auftrag von Rechteinhabern tätig werden, wie arbeiten die, wie ist die Qualität der Beschwerden?
Tyson: Das ist gemischt. Einige waren anscheinend ziemlich effektiv. Das war professionelle Arbeit. Sie haben die richtigen Beschwerden identifiziert und sie korrekt eingereicht.
Wir haben aber auch Akteure festgestellt, die das lasch handhaben und automatisch Beschwerden zu potenziell möglichen Verstößen gegen Hinz und Kunz generieren.
In unseren Daten war Google einer der Hauptempfänger von Beschwerden. Wenn Sie sich bei Google beschweren, möchten Sie natürlich, dass bestimmte Internetadressen, also die URLs, aus den Suchergebnissen entfernt werden. Und uns ist aufgefallen, dass es Unternehmen gab, die reihenweise URLs automatisch generierten, die gar nicht existieren, aber den Titel enthalten.
Unsere Vermutung ist, dass man Zeit und Mühe scheut, echte URLs mit Rechte-Verletzungen aufzuspüren. Stattdessen wird geraten, wie die URLs lauten könnten und dann an die Plattformen wie Google gesendet.
Damit ist die Sache vom Tisch und der Dritte, also zum Beispiel Google ist dann für die Überprüfung ihrer Sache verantwortlich. So wird Ihr Prozess schlanker und weniger aufwändig.
IT-Experte Tyson: "Das stört das ganze Verfahren"
Kloiber: Und was bedeutet das für wirklich qualifizierten Beschwerden und die Rechte seriöser Beschwerdeführer, insbesondere wenn es sich nicht um solche große Kanzleien sondern um einzelne Personen handelt?
Tyson: Nun, das stört das ganze Verfahren. Ich denke, hier geht es geht hauptsächlich darum, wer für die Kosten des Beschwerdemanagements aufkommt. Denn wäre jede einzelne Beschwerde schon vorher geprüft und wirklich korrekt, müsste sich die Plattform damit nicht mehr beschäftigen. Sie könnte sie einfach umsetzen und die nötigen Maßnahmen einleiten.
Wenn aber die Beschwerdeführern die Arbeit auf die Plattformen verschieben, dann müssen die dafür Leute einstellen, die die Beschwerden prüfen. Das macht das Laben jener Einzel-Personen, die eine berechtigte Beschwerde einlegen, schwer. Denn der ganze Prozess wird offensichtlich verlangsamt.
Kloiber: Viele Regierungen planen ja, solch ein Beschwerdemanagement bei den Plattformen gesetzlich vorzuschreiben. In Deutschland haben wir zum Beispiel das Netzwerk-Durchsetzungsgesetz. Was halten Sie davon?
Tyson: Ich denke, die Frage ist nicht, ob es ein Beschwerdeverfahren gibt, sondern wie es geregelt wird. Denn im Moment werden die Regeln von den Empfängern der Beschwerden, also den Plattformen gemacht.
Google beispielsweise entscheidet nach seinen Regeln, ob eine Beschwerde gültig ist oder nicht. Ich meine, dass die Regierungen strengere Richtlinien vorgeben müssen, denn ist offensichtlich unfair, die Plattformen mit der Entscheidung allein zu lassen. Und es ist unfair für das gesamte Ökosystem World Wide Web, das darunter leiden kann.
Kloiber: Über das Beschwerdemanagement bei Plattformbetreibern sprach ich mit Gareth Tyson von der Queen Mary University of London.