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TTIP
Ein Unternehmer-Votum für den Freihandel

Gegner von TTIP argumentieren, dass die geplante Freihandelszone zwischen den USA und der Europäischen Union vor allem von den Großkonzernen angestrebt werde. Dabei scheinen es aber nicht zuletzt mittelständische Unternehmen zu sein, denen die derzeitigen unterschiedlichen Normen, doppelten Zulassungsverfahren und Zölle viel stärker zu schaffen machen.

Von Silke Hasselmann | 07.01.2016
    In einer Tasse mit einem EU-Symbol steckt eine US-Fahne.
    Ist man nicht gerade ein Weltkonzern mit riesigen Rechts- und Lizenzabteilungen, kann der Zugang zum US-Markt auch wegen staatlich aufgezogener Barrieren schwierig sein. (picture-alliance / dpa / Arno Burgi)
    So klingt es in den Werkshallen der Eisengießerei Torgelow GmbH in Vorpommern, wenn Rohgussteile mit einem Gewicht von bis zu 115 Tonnen hergestellt werden.
    "Also wir stellen zum Beispiel Rotornaben und Maschinenträger für Windkrafträder her", sagt Geschäftsführer Peter Krumhoff. Dass die Torgelower mittlerweile zu den größten Handformgießereien Europas zählen, führen sie auch zurück auf ihre Firmenphilosophie getreu dem Motto von US-Präsident John F. Kennedy: "Einen Vorsprung im Leben hat, wer da anpackt, wo die anderen erst einmal reden." Übersetzt für die Vorpommern heißt das: Sie verdienen ihr Geld mit eisernen Alternativen für deutlich schwerere und teurere Stahlkonstruktionen - und zwar auch in den USA.
    "Alles, was Windenergie angeht, geht im Moment noch relativ stark in den zentralamerikanischen Markt, in den sogenannten wind belt. Andere Sachen wie Turbinengehäuse gehen im Wesentlichen an die Ostküste, und in Zukunft sind wir jetzt bei der Erschließung von Märkten, die sich mehr im Süden konzentrieren, speziell weil dort am meisten Öl und Gas gefördert wird."
    Ist man nicht gerade ein Weltkonzern mit riesigen Rechts- und Lizenzabteilungen, kann der Zugang zum US-Markt auch wegen staatlich aufgezogener Barrieren schwierig sein. Doch das schreckte die Torgelower aber nicht, als sie ihre Geschäftskontakte vor vier Jahren intensivierten. Mittlerweile sagen sie sogar:
    "Wir sind gewohnt, amerikanische Zulassungs-, Visa- und andere Probleme zu lösen."
    TTIP könne Europas Mittelständler ermutigen, den amerikanischen Markt in den Blick zu nehmen
    Dennoch wäre es nach Meinung von Peter Krumhoff grundsätzlich sehr gut, wenn endlich ein Vertrag über eine Handels- und Investitionspartnerschaft zwischen der EU und den USA zustande käme. Für den 450-Mann-Betrieb in Torgelow glaubt er zwar:
    "Es würde an der täglichen Arbeit nicht viel ändern. Aber TTIP wird uns dazu zwingen, uns auseinanderzusetzen mit den Vorschriften anderer Länder und auch mit unseren eigenen. Und wenn dort Gemeinsamkeiten zu finden sind, dann nimmt es vor allem Berührungsängste und wird viele Mittelständler in Europa ermutigen, auch den amerikanischen Markt näher unter die Lupe zu nehmen und zu erschließen."
    So sehen es auch die drei Industrie- und Handelskammern in Mecklenburg-Vorpommern und richten immer wieder Informationsveranstaltungen über die TTIP-Verhandlungen aus. Das interessiert auch Matthias Bolze, Gründer und geschäftsführender Gesellschafter der NEW ENERDAY GmbH. Die Neubrandenburger entwickeln und produzieren Brennstoffzellen. Sie haben deutsche, schweizerische und russische Kunden und nun auch den US-Markt fest im Blick.
    "Und deshalb spielen für uns natürlich Themen wie Harmonisierung von Normen - oder 'codes and standards', auch Handelsbarrieren, eine wichtige Rolle. Die erwarten, dass man nach amerikanischen oder kanadischen Normen zertifiziert. Das zweite Thema ist ganz einfach der Kostenvorteil der Unternehmen, die in den USA produzieren. Wir müssten unsere Produkte etwa 30 bis 40 Prozent günstiger produzieren, um am amerikanischen Markt wettbewerbsfähig zu sein - durch Zölle usw., also zusätzliche Kosten, die durch das Nichtvorhandensein dieses Freihandelsabkommens da sind."
    Auch die Oehm und Rehbein GmbH verbindet mehr Hoffnung als Angst mit TTIP - kein Wunder. Die Rostocker entwickeln seit 1991 Software für die Röntgendiagnostik in der Human- und Veterinärmedizin - auch für US-Hersteller von Röntgengeräten. Das Problem: Die Rostocker Software läuft auf verschiedenen Geräten und jedes Mal verlangt die zuständige US-Zulassungsbehörde FDA ein eigenständiges Prüfverfahren. Das soll eigentlich innerhalb von 90 Tagen erledigt sein, sagt Markus Brüggmann. Doch die FDA lasse sich gerade bei ausländischen Firmen gern schon mal bis zu einem Jahr Zeit.
    "Und das ist für uns halt ein Hindernis auf dem amerikanischen Markt. Uns würde helfen, wenn die europäische CE-Zertifizierung in den USA anerkannt wird und man nicht zusätzlich das gleiche Verfahren in den USA zu sehr hohen Kosten durchführen müsste. Also eine FDA-Zulassung beläuft sich bei ca. 10.000 bis 15.000 Euro - je nach Umfang."
    Politisches Kalkül und ideologischer Hintergrund?
    Dabei gibt es für bildgebende Verfahren wie die Röntgendiagnostik längst weltweit harmonisierte Standards. Fachlich gesehen seien Doppelprüfungen in Europa und in den USA also überflüssig, meint Markus Brüggmann. Doch was die grundsätzliche Struktur von Produktkontrolle und -zulassung angeht, hätten die Amerikaner ein bedenkenswertes Argument, das die meisten TTIP-Kritiker in Deutschland übrigens nicht kennen oder schlichtweg ignorieren würden, nämlich:
    "...dass die Amerikaner ein öffentlich finanziertes System haben, während bei uns das halt vom Hersteller finanziert wird. Das ist natürlich einer der Knackpunkte, die ich auch nachvollziehen kann, dass die Amerikaner sich da ein bisschen zurückhalten."
    Zurück in der Eisengießerei Torgelow GmbH in Vorpommern. Geschäftsführer Peter Krumhoff kann sich darüber ärgern, dass sich ein Großteil der Kritik an TTIP um das leidige Chlorhuhn und die angeblich stets höheren europäischen Verbraucherschutzstandards dreht. Es wäre schön, sagt er, würde die Debatte mit mehr Sachkenntnis und weniger moralischer Arroganz geführt.
    "Die hitzige Diskussion, die wir erleben, basiert im Wesentlichen auf Randerscheinungen des TTIP und wird meistens mit politischem Kalkül und ideologischem Hintergrund geführt."