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TTIP
Mehr als der Abbau traditioneller Handelshürden

Das Freihandelsabkommen TTIP soll Handelshemmnisse und Zölle zwischen Europa und Amerika abbauen und die größte Freihandelszone der Welt ermöglichen. Seit zwei Jahren wird darum gerungen. Die Journalisten Franz Kotteder und Thilo Bode von Foodwatch kritisiern, dass durch das Abkommen Schutzregeln angegriffen werden, für deren Einführung in Europa oder den USA oft hart gekämpft wurde.

Von Caspar Dohmen | 27.04.2015
    Ein Containerschiff fährt im Hafen von Los Angeles, USA.
    Autos, Käse oder Kabel von Europa nach Amerika zu verkaufen, ist gar nicht so einfach. (dpa / picture alliance / Sean Masterson)
    Handel ist eine gute Sache, jedenfalls, wenn alle herstellen, was sie am besten können und ihre Waren dann unter fairen Bedingungen anbieten können, ob der Gemüsebauer auf dem Wochenmarkt oder der Autohersteller auf dem Weltmarkt. Entsprechend profitieren Gesellschaften davon, wenn Staaten Handelshindernisse wie Zölle oder Mengenbeschränkungen abschaffen. Gerade wir Europäer haben den Segen des freien Handels in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eindrucksvoll erlebt: Die Erfolgsgeschichte der EU begann mit der Schaffung einer Freihandelszone von Rom bis Amsterdam. Begriffe wie Handel und Freiheit wecken bei vielen Bürgern deswegen zu Recht positive Assoziationen. Vorsicht, warnen jedoch Thilo Bode, Gründer der NGO Foodwatch, und Franz Kotteder, Redakteur bei der "Süddeutschen Zeitung", denn der Charakter von Freihandelsabkommen habe sich fundamental geändert. Bei dem geplanten Vertrag zwischen der EU und den USA - dem sogenannten TTIP - gehe es um sehr viel mehr als den Abbau traditioneller Handelshürden. Bode warnt:
    "Der eigentliche Deal soll nicht bekannt werden, es soll verborgen bleiben, dass es um eine weitreichende Neuordnung der Machtverhältnisse geht, darum, dass Wirtschaftsinteressen in einem völkerrechtlich bindenden Vertrag Vorrang bekommen vor dem Gemeinwohl."
    Kotteder schlägt in die gleiche Kerbe.
    "So bizarr es klingen mag: Letztlich hat man es hier mit einem Staatsstreich im Weltmaßstab, einem Weltstaatsstreich zu tun, der einseitig unternehmerische Interessen verfolgt."
    Beide Autoren sind überzeugt davon, dass Großkonzerne auf dem Umweg des Freihandelsabkommens Schutzregeln angreifen wollen, für deren Einführung Menschen in Europa oder den USA oft hart und teils über mehrere Generationen hinweg gekämpft hätten. Bode.
    "Qualitätsstandards als Handelshemmnisse - das ist TTIP in drei Worten. Aber Qualitätsstandards sind unter anderem: Tarifverträge, Vorschriften für tiergerechte Nutztierhaltung, Herkunftsbezeichnungen bei Lebensmitteln, die Wasserversorgung in den Händen von Kommunen."
    Geplante Sonderrechte für Konzerne
    Ein Dorn im Auge sind beiden Autoren die geplanten Sonderrechte für Konzerne. Solche Sonderrechte, wie die Möglichkeit gegen Staaten vor geheim tagenden privaten Sondergerichten zu klagen, gibt es schon seit Jahrzehnten. Sie sind Bestandteil diverser Freihandelsabkommen, ohne dass die Menschen in den USA oder der EU bislang davon groß Notiz genommen hätten - mussten sie auch nicht. Denn erst vor einigen Jahren begannen Konzerne, diese zum Schutz für Investitionen gedachten Regeln für fragwürdige Klagen zu nutzen.
    Wie der US-Pharmakonzern Eli Lilly, der den Staat Kanada vor einem Schiedsgericht wegen entgangener Gewinne verklagte. Zwei kanadische Gerichte hatten zuvor Patente des Unternehmens aufgehoben, weil der Konzern falsche Angaben über die Wirksamkeit eines Medikaments gemacht hatte. Oder der Konzern Veolia: Die Franzosen haben Ägypten nach der Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns verklagt, weil dadurch die erwarteten Gewinne niedriger ausfallen werden. Bode befürchtet großen Schaden für die Demokratie:
    "Die Gefahr horrender Schadenersatzzahlungen ist noch die geringere. Das eigentliche Ziel der Investor-Staat-Schiedsgerichtsverfahren besteht darin, Politikwechsel unmöglich zu machen. Der US-Ökonom Joseph Stieglitz hat das so formuliert: 'Diejenigen, die Investitionsabkommen unterstützen, sind weniger besorgt wegen der Eigentumsrechte. Ihr wahres Ziel ist es, Regierungen einzuschränken bei Regulierungen und Unternehmensbesteuerungen. Mithilfe von Investitionsabkommen versuchen Konzerne, durch die Hintertüre etwas zu erreichen, was sie im offenen politischen Prozess nicht erreichen würden.'"
    Gute Bündelung der bisherigen Diskussion
    In ihrer Argumentation greifen beide Autoren auf Vorarbeiten von anderen TTIP-Kritikern zurück, beispielsweise auf die lesenswerten Arbeiten der konzernkritischen NGO Corporate Europe Observatory. Der Kritik an TTIP fügen Bode und Kotteder keine wesentlichen neuen Punkte hinzu. Beide bündeln jedoch die bisherige Diskussion gut. Wer mehr über den historischen und politischen Kontext von Handelsabkommen erfahren will, dem bietet Kotteder mehr.
    Beide Autoren schildern ihren Lesern anschaulich, welch hohen Preis Bürger womöglich am Ende für ungewisse Wachstums- und Jobversprechen zahlen werden müssen. Sie leisten gelungene Beiträge, um die Bevölkerung über fragwürdige Entwicklungen im Welthandel hinzuweisen. Dazu gehört beispielsweise auch der geplante Rat für regulatorische Kompensation. Über diesen sollen Unternehmen frühzeitig informiert werden, wenn in der EU oder den USA ein Gesetz geplant wird, welches ihre Interessen tangieren könnte. Ein solches Gremium kennt keine Verfassung der Welt. Wichtig ist es, dass Gesellschaften aus Fehlern lernen und Entscheidungen korrigieren können.
    TiSa - Abkommen zur Liberalisierung der Dienstleistungen
    Zum Beispiel hat die Finanzkrise eindrücklich gezeigt, dass das Ausmaß der Liberalisierung des Finanzsektors zu groß war, zum Schaden der Allgemeinheit, die für die Rettung des Finanzsektors teuer bezahlt hat. Politikwechsel könnten künftig sogar in bestimmten Fällen unmöglich sein, zumindest, wenn das Abkommen zur Liberalisierung der Dienstleistungen, kurz TiSa, der weniger bekannte Bruder des umstrittenen Handelsvertrags TTIP kommt. Kotteder macht dies an einem Beispiel deutlich:
    "Hat ein Mitgliedsland beispielsweise einen bestimmten Teil seiner Sozialversicherung früher einmal teilprivatisiert, so dürfte sie diesen Teil künftig nicht verstaatlichen, weil das TiSA widerspräche - selbst wenn sich die Privatisierung in der Zwischenzeit als völliger Unsinn herausgestellt hätte."
    Eine Rücknahme der Riester-Rente in Deutschland könnte damit beispielsweise genauso unmöglich sein wie die Rekommunalisierung der Wasserversorgung, die gerade in vielen Kommunen rund um den Globus erfolgt, wegen oft katastrophaler Erfahrungen mit Wasser in privater Hand.
    "Damit wäre man nun endgültig bei einer neoliberalen Diktatur über nahezu alle Arten von Dienstleistungen angelangt. So etwas kann eigentlich nur gutheißen, wer den freien Markt als etwas Gottgleiches ansieht, dem alles andere zu unterwerfen ist."
    Beide Autoren - insbesondere Kotteder - hätten gut daran getan, sprachlich etwas abzurüsten. Stattdessen ist von "TTIP-Komplott, "Masterplan der Hydra" oder "Weltstaatsstreich der Konzerne" die Rede. Diese verbale Keule ist gar nicht nötig, angesichts der Fülle von Belegen, die gegen das geplante Abkommen sprechen. Diese Faktenlage dürfte auch ein Grund dafür sein, dass es bislang zwar reihenweise Bücher gegen das TTIP gibt, aber keines, in dem ein Befürworter packend schildert, warum die Bürger in Europa und den USA dieses Abkommen unbedingt bräuchten.
    Bücher:
    Franz Kotteder: "Der große Ausverkauf. Wie die Ideologie des freien Handels unsere Demokratie gefährdet", 208 Seiten, Ludwig Verlag, 14,99 Euro.
    Thilo Bode: "Die Freihandelslüge. Warum TTIP nur den Konzernen nützt und uns allen schadet", 272 Seiten, Deutsche Verlags-Anstalt, 14,99 Euro.