Freitag, 19. April 2024

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TTIP vor dem Aus
Freihandel ja - aber nicht um jeden Preis

SPD-Vize Ralf Stegner teilt die Skepsis von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel beim umstrittenen Freihandelsabkommen TTIP. Die vergangenen Monate hätten gezeigt, dass die USA nicht willens seien, auf die Bedingungen der Europäer einzugehen, sagte Stegner im DLF. Man werde "schon weiter verhandeln", doch ein Ergebnis sei nicht zu erwarten.

Ralf Stegner im Gespräch mit Christiane Kaess | 01.09.2016
    Mann in mittleren Jahren mit brauen Haaren und randloser Brille schaut nachdenklich nach links
    Dem Abschluss der CETA-Verhandlungen sieht SPD-Parteivize Ralf Stegner positiv entgegen. Das liege daran, dass die Kanadier verhandlungsbereit seien, anders als die Amerikaner. (picture alliance / dpa /Markus Scholz)
    Zwar seien die TTIP-Verhandlungen noch nicht beendet, so Stegner. Er selbst habe aber bei seinem USA-Besuch gesehen, dass die beiden Präsidentschaftsbewerber keine Anstalten machten, sich in den strittigen Punkten auf Europa zuzubewegen. Und in die Amtszeit von Präsident Barack Obama werde das Abkommen nicht mehr fallen. Deswegen sei nicht mehr zu erwarten, dass bei den TTIP-Verhandlungen "noch etwas herauskomme".
    Stegner betonte, dass Gabriel nicht nur Wirtschaftsminister ist, sondern auch SPD-Chef. Und die SPD werde keine Dinge mitmachen, die den Arbeitnehmern schadeten. Stegner betonte, dass die Lage beim ebenfalls gerade verhandelten CETA-Abkommen mit Kanada ganz anders aussehe. Daran sehe man auch, dass die SPD nicht grundsätzlich gegen Freihandelsabkommen sei – aber eben nicht um jeden Preis.

    Das Interview in voller Länge:
    Christiane Kaess: Ralf Stegner, stellvertretender SPD-Parteivorsitzender und Vorsitzender der SPD in Schleswig-Holstein. Guten Morgen, Herr Stegner!
    Ralf Stegner: Guten Morgen, Frau Kaess.
    Kaess: Schauen wir erst auf TTIP. Hat jetzt der Vorwahlkampf Sigmar Gabriel zum Umdenken gebracht, oder der Widerstand in der Partei und von Bürgern?
    Stegner: Nein. Wir haben Bedingungen formuliert für Freihandelsabkommen bei unserem Parteitag, dass die Standards nicht absinken dürfen, dass Transparenz herrschen muss, dass Parlamente und Gesellschaft beteiligt werden müssen und dass sich nicht große Konzerne hinwegsetzen dürfen über Parlament oder Gerichte. Das war immer klar und ich war selbst bei der demokratischen Convention in Philadelphia und habe gesehen, dass die Amerikaner, egal wer die Präsidentschaftswahlen gewinnt, nicht willens sind, uns da entgegenzukommen, und dann darf man das auch nicht machen, weil sonst am Ende die Errungenschaften, die wir hier selber haben und die unser Land stark machen, in Gefahr geraten, und das sollten wir nicht tun.
    Kaess: Aber, Herr Stegner, das ist ja jetzt alles nicht neu. Trotzdem vertritt Herr Gabriel ja als Wirtschaftsminister die Interessen der Industrie. Glauben Sie denn, er handelt wirklich aus eigener Überzeugung?
    SPD mache nicht mit, was Arbeitnehmern in Deutschland schade
    Stegner: Es ist schon neu, denn wir haben ja bisher mit den Amerikanern verhandelt, und da tut sich gar nichts. Da gibt es ja große Unterschiede, zum Beispiel zu Kanada, wo sich sehr wohl Fortschritte ergeben haben in den Verhandlungen, die da angestellt worden sind. Es gibt da schon Unterschiede und man kann das doch nicht trennen. Das ist keine CDU-Regierung, die wir haben, sondern das ist eine Regierung von CDU/CSU und SPD, und da ist der Wirtschaftsminister auch Vorsitzender der SPD und die SPD macht Dinge nicht mit, die den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Deutschland schaden. Deswegen wird das bei TTIP nichts werden und bei CETA gehe ich davon aus, dass wir auch da noch nicht am Ende sind, denn auch da sind die Kriterien, die wir beschlossen haben Maßstab, um zu prüfen, ob das alles so in Ordnung ist, und da kommen jetzt die parlamentarischen Verfahren und Parlamente sind nicht nur Abnickorgane, sondern die müssen mitwirken, damit die notwendigen Dinge auch erfüllt sind.
    Kaess: Aber noch mal zur Position von Sigmar Gabriel. Das was er jetzt sagt, steht ja im Kontrast zu dem, was er bisher gesagt hat. Schauen wir mal Anfang 2015. Da gibt es ein Zitat von ihm: "Unsere exportstarken Unternehmen sind auf Freihandel angewiesen." Einige Kritikpunkte der Gegner seien berechtigt, andere beruhten auf Horrorszenarien und Mythen. So hat er das gesagt. Er beobachte mit großer Sorge, dass Teile der Öffentlichkeit sich einmauern in ihren Argumenten. - Müsste Sigmar Gabriel jetzt noch mal in seiner Position als Wirtschaftsminister sich gerade nicht jetzt fürs Weiterverhandeln einsetzen?
    Stegner: Aber schauen Sie! Sie haben doch selbst gesagt, das war Anfang 2015. Wir sind jetzt im September 2016 und die Verhandlungen …
    Kaess: Deswegen hat sich ja am Freihandel nichts geändert.
    Amerikaner seien nicht verhandlungsbereit
    Stegner: Nein! Aber an der Verhandlungsbereitschaft der Amerikaner hat sich was geändert. Sie sind nicht willens, darauf einzugehen. Und noch mal: Verhandeln ist kein Selbstzweck. Wir können doch nicht zugucken, wie die Demokratie außer Kraft gesetzt wird, indem beispielsweise große Konzerne Staaten erpressen können, große Tabak- oder Energiekonzerne. Das wollen wir nicht.
    Wir wollen Freihandel, aber zu Bedingungen, die die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht in Gefahr bringen, die unsere bewährten Standards nicht gefährden, die die öffentliche Daseinsvorsorge sichern und all diese Dinge. Und das ist ja auch möglich und deswegen bin ich da optimistischer, was unsere Verhandlungen mit Kanada angeht. Aber noch mal: Das Konstrukt, da gibt es einen Wirtschaftsminister, der macht irgendwie CDU-Politik, und dann gibt es die SPD, das ist nicht so. Wir haben einen SPD-Wirtschaftsminister und der hat die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland im Blick, und das ist auch gut so. Und Frau Merkel kann ja froh sein, dass sie die SPD in der Regierung hat, denn wenn sie mit Herrn Seehofer alleine wäre, dann wäre die Regierung schon längst am Ende, denn die verhalten sich ja wie Halbstarke in München.
    Kaess: Aber gegen die Bedenken von Ihnen oder von Herrn Gabriel ist ja auch gar nichts zu sagen. Aber die Verhandlungen sind ja nicht zu Ende und das sieht auch Washington so. Also warum das Ganze jetzt abblasen?
    Stegner: Na ja, von Abblasen redet ja niemand, sondern wir sprechen davon, dass es so, wie es im Augenblick aussieht, …
    Kaess: De facto gescheitert! De facto gescheitert.
    Man werde weiter verhandeln, doch ein Ergebnis sei nicht zu erwarten
    Stegner: Das liegt daran, dass auch die beiden aussichtsreichsten Präsidentschaftskandidaten, also sowohl Hillary Clinton als auch der Donald Trump, deutlich gemacht haben, dass sie überhaupt nicht willens sind, in die Richtung zu gehen. Und die Zeit ist knapp geworden, sodass ich glaube, dass es in der Amtszeit von Barack Obama nichts mehr werden wird. Das ist also eher eine realistische Einschätzung. Man wird schon weiter verhandeln, davon gehe ich aus, aber es ist de facto nicht mehr zu erwarten, dass dabei was herauskommt.
    Kaess: Um noch mal Herrn Gabriel zu zitieren: Er hat auch gesagt, schaffen wir es nicht, ein solches Abkommen mit den USA zu vereinbaren, werden andere es tun und dann müssen wir uns an die dort gesetzten Standards anpassen. Heißt im Klartext: Wenn TTIP nicht kommt, wird alles noch schlechter?
    "Die Union hat die Debatte überhaupt nicht geführt"
    Stegner: Die Gefahr besteht, dass das passiert. Wir haben Kinderarbeit in der Welt, wir haben deutlich schlechtere Standards in anderen Ländern. Deswegen sind wir auch nicht grundsätzlich gegen Freihandel und deswegen verhandeln wir ja zum Beispiel mit den Kanadiern. Aber noch mal: Wer Abkommen um jeden Preis akzeptiert, der braucht gar nicht zu verhandeln, und wir haben wirklich wichtige Arbeitnehmer-, Umweltschutzstandards, Datenschutzstandards, Kultur, Daseinsvorsorge, ganz viele Dinge, die uns unseren Wohlstand sichern, und das kann man nicht einfach weggeben an der Garderobe, nur damit die Verhandlungen erfolgreich sind.
    Ich bedauere das, dass die Amerikaner nicht verhandlungswillig sind, aber das ist so. Und schauen Sie sich die Union an. Die hat die Debatte überhaupt nicht geführt. Die kommt jetzt mit großspurigen Interviews, wir müssten das doch machen, aber sie hat die Debatte überhaupt nicht geführt. Das hat sie der SPD überlassen. Es gibt große Bedenken in unserer Gesellschaft. Ich bin nicht dafür, das ideologisch zu machen, aber in der Sache muss man harte Bedingungen haben. Ich habe selbst den Antrag eingebracht bei unserem Bundesparteitag mit den Kriterien und an die halten wir uns, weil sie wichtig sind für die Menschen.
    Kaess: Dann schauen wir auf CETA. Im September beim Parteikonvent der SPD wird über CETA abgestimmt. Wird Gabriel grünes Licht bekommen für seine Zustimmung im Rat dann der europäischen Wirtschaftsminister?
    Optimistisch in Bezug auf CETA-Verhandlungen
    Stegner: Im Augenblick geht es darum zu prüfen, ob CETA unseren Kriterien genügt, und da haben wir große Fortschritte erzielt, übrigens dank Sigmar Gabriel und den Sozialdemokraten in Europa. Die privaten Schiedsgerichte sind weg, das ist auch gut so. Aber es gibt noch ein paar Fragestellungen, die beantwortet werden müssen, und jetzt kommt ja erst mal die Parlamentsbeteiligung und Parlamente sind keine Abnickorgane.
    Ich glaube zum Beispiel, dass da noch Begriffe präzisiert werden müssen, damit nicht doch durch die Hintertür Konzerne sich durchsetzen können gegen Gerichte oder Parlamentsentscheidungen. Und auch bei der Frage der Daseinsvorsorge muss man möglicherweise noch Begleitvereinbarungen schließen, um das eine oder andere zu präzisieren. Aber das prüfen wir, da ist auch noch ein bisschen Zeit, und dann werden wir eine Entscheidung treffen. Ich bin da deutlich optimistischer, dass wir da was hinbekommen können, übrigens gemeinsam mit den Gewerkschaften, mit denen wir in dieser Frage sehr eng kooperieren.
    Kaess: Das heißt, Sie glauben, Herr Gabriel wird die Zustimmung bekommen auf dem Parteikonvent?
    Stegner: Ich glaube, dass wir am Ende zu einer Entscheidung kommen werden, die sagt, was vielleicht noch fehlt in dem Abkommen mit Kanada und was noch erreicht werden kann. Wir haben mit der Regierung Trudeau ja eine deutlich progressivere Regierung als die Vorgängerregierung dort war, sodass ich optimistisch bin, dass es möglich ist. Aber ich sage nicht, dass wir jetzt eins zu eins das durchwinken können, was wir haben, sondern da wird es vielleicht noch Verbesserungen erfordern. Aber genau darüber diskutieren wir gegenwärtig.
    Kaess: Keine Zustimmung auf dem Parteikonvent, mit der Herr Gabriel dann in den Rat der europäischen Wirtschaftsminister gehen könnte?
    "Halbstarke Äußerungen aus der Union"
    Stegner: Der Rat der Wirtschaftsminister ist nicht die Endstation, sondern ich sage noch mal, …
    Kaess: Ja, aber die Nächste.
    Stegner: Ja! Aber es gibt dann die Parlamentsentscheidung. Ich weiß nicht, was Sie für ein Verständnis von Parlamenten haben. Es kann doch nicht sein, dass man einfach nur Ja und Amen sagt, sondern auch Parlamente müssen beteiligt werden können und wir werden über die Anforderungen reden, was noch nötig ist, und ich sehe das nicht so zugespitzt, sondern ich glaube, dass es bei uns sehr viel Mühen geben wird, da zu einer Einigung zu kommen, und daran arbeiten wir im Augenblick.
    Auch da unterscheiden wir uns wieder von der Union, die nichts in dieser Frage tut, außer Interviews zu geben. Diskutiert wird das in der Union nicht und verhandelt schon gar nicht.
    Kaess: Dann schauen wir noch kurz auf die Flüchtlingspolitik. Gabriel hat am Wochenende gesagt, natürlich gebe es so etwas wie eine Obergrenze, und das ist die Integrationsfähigkeit des Landes. Was soll das? Soll damit der alte Streit zwischen Merkel und Seehofer wieder aufgelebt werden lassen?
    "Alles, was der Integration dient, setzt die SPD durch"
    Stegner: Der Streit besteht doch. Gucken Sie sich doch die beiden Parteien an. Das sind doch halbstarke Äußerungen, die da aus der Union kommen. Wir haben immer gesagt, dieses "Wir schaffen das!" von Frau Merkel war als humanitärer Punkt völlig richtig. Dem hat aber die CSU ein "Wir wollen das nicht!" entgegengesetzt und die SPD sagt, wir machen das, wenn die Bedingungen stimmen.
    Aber schauen Sie, wir meinen doch nicht diese Obergrenze, den Kampfbegriff der Union. Davon kann ja überhaupt niemand reden. Eine Obergrenze für Humanität und für Asylrecht gibt es nicht in Deutschland und die wird es auch nicht geben. Aber natürlich können wir nicht jedes Jahr eine Million Menschen aufnehmen. Wir brauchen eine europäische Einigung. Darum bemühen sich Martin Schulz und Frank-Walter Steinmeier und Sigmar Gabriel, wo hingegen die CSU Herrn Orbán zu ihren Parteitagen einlädt und ihn beklatscht.
    Alles, wirklich alles, was der Integration dient, das setzt doch die SPD durch, ob das Hilfen für die Kommunen sind, ob das die Notwendigkeit angeht, junge Männer hier arbeiten zu lassen, statt sie in ihren Unterkünften sitzen zu lassen und auf schlechte Gedanken zu kommen. Alles SPD!
    Kaess: Herr Stegner, da muss ich kurz mal einhaken. Entschuldigung! Das was Herr Gabriel am Wochenende gesagt hat, hat sich nicht nach "Wir schaffen das!" angehört. Er hat sich ja immer wieder von den Entscheidungen der Bundesregierung distanziert, damals zum Beispiel die Flüchtlinge aus Ungarn aufzunehmen. Dann hat er sich wieder mit dem "Refugees Welcome"-Anstecker gezeigt. Dann hat er wieder kritisiert, die Flüchtlinge einzuladen. Wieso dieser Zickzackkurs?
    Stegner: Entschuldigung mal! Sigmar Gabriel ist nicht der Pressesprecher von Frau Merkel, sondern wir sind diejenigen, …
    Kaess: Nein, aber er ist Teil der Bundesregierung.
    SPD sei "der einzig konstruktiv arbeitende Teil in dieser Regierung"
    Stegner: Ja! Und wir sind diejenigen, die dafür sorgen, dass Integration funktioniert, indem wir Konzepte vorlegen, indem wir den Kommunen helfen, indem wir uns darum bemühen, dass es in Europa Solidarität gibt, und nicht sie torpedieren, wie die CSU das tut. Frau Merkel kann doch jeden Tag eine Kerze ins Fenster stellen, dass die SPD möglichst dabei bleibt, weil wir der einzig konstruktiv arbeitende Teil in dieser Regierung sind.
    Schöne Worte von Frau Merkel und Hetze gegen Ausländer von der CSU auf der anderen Seite, das ist eine Arbeitsteilung, die die SPD nicht mitmachen kann. Wir haben Bundestagswahl nächstes Jahr und da muss doch deutlich werden, wer kümmert sich eigentlich darum, die Probleme der Menschen zu lösen, und wer tut das nicht. Denn schauen Sie: Wenn wir die Probleme nicht lösen, dann profitieren doch davon die Rechtspopulisten - das sehen wir doch schon überall - mit den Sprüchen, wo die CSU sich bei ihnen anbiedert und die CDU löst die Probleme nicht. Wir müssen die Arbeit machen und ich gehe davon aus, dass die Bürgerinnen und Bürger das dann auch sehen werden, wenn sie die Wahl haben. Denn wir können uns nicht erlauben, Deutschland hier den Demokratiefeinden zu überlassen. Das wäre nämlich das Ergebnis, wenn wir nur sagen, wir schaffen das, aber nicht erklären, wie das gehen soll.
    Kaess: Und wir werden sehen, ob Frau Merkel eine Kerze für die SPD ins Fenster stellt. - Die Meinung war das von Ralf Stegner, stellvertretender SPD-Parteivorsitzender. Danke für Ihre Zeit heute Morgen.
    Stegner: Sehr gerne! Tschüss, Frau Kaess.
    Kaess: Tschüss.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.