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Tübingen bittet zur Kasse

Nach dem Abi zuhause ausziehen und in einer anderen Stadt eine Wohnung mieten - viele machen es so. Der Hauptwohnsitz bleibt dabei oft in der Heimatgemeinde, die Studentenbude ist nur als Zweitwohnsitz angemeldet. Städte dürfen in solchen Fällen eine Zweitwohnungssteuer verlangen. Das hat in der vergangenen Woche das Bundesverwaltungsgericht entschieden. Die Universitätsstadt Tübingen überlegt nun, eine solche Zweitwohnungssteuer einzuführen.

Von Solveig Grahl | 25.09.2008
    Lisa und Stefanie stehen draußen, vor der Mensa der Uni Tübingen. Die beiden studieren hier Geo-Ökologie, demnächst beginnt ihr fünftes Semester - aber ihren Erstwohnsitz haben sie immer noch zu Hause, bei den Eltern:

    "In Hessen, in Friedberg. Mein Papa hat gesagt, ich darf mich hier nicht als Erstwohnsitz melden, weil er zuhause noch eine Eigenheimzulage bekommt.

    Ich habe auch Erstwohnsitz zu Hause, in Rheinland-Pfalz und Zweitwohnsitz hier. Der Grund dafür ist eigentlich bei mir, dass jede Gemeinde 1000 Euro kriegt pro Jahr für jeden Einwohner, den sie hat. Und da ich aus so einem 200-Seelen-Dorf komme, macht da ein Einwohner mehr schon viel mehr aus als in Tübingen. "

    Genau diese tausend Euro für jeden zusätzlichen Einwohner hätte aber auch Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer gerne. Wie viele Studierende in der Universitätsstadt am Neckar nur ihren Zweitwohnsitz angemeldet haben - darüber gibt es keine verlässlichen Zahlen. Doch schon tausend Einwohner mehr würden die Stadtkasse klingeln lassen, sagt der grüne Oberbürgermeister:
    "Der Unterschied zwischen Erst- und Zweitwohnsitz ist für die Stadt Tübingen aufgrund des Finanzausgleichsystems in Baden-Württemberg etwa 1000 Euro pro Person. Wenn wir also nur tausend Studierende als Hauptwohnsitzer gewinnen, dann ist es eine Million mehr für den städtischen Haushalt. Tübingen ist eine Stadt, die nicht viel Geld hat, und eine Million Euro ist bei uns zum Beispiel der Unterschied zwischen neuen Kinderbetreuungsplätzen oder dem Abbau von Personalschlüsseln."

    Sanften Druck will der Oberbürgermeister mit der Steuer ausüben auf die Studierenden seiner Stadt. Von Abzocke könne keine Rede sein. Eigentlich seien die Studenten ohnehin verpflichtet, in Tübingen ihren Erstwohnsitz anzumelden, denn hier sei schließlich ihr Lebensmittelpunkt, hier nutzten sie die Infrastruktur. Jedes Semester wirbt Palmer deshalb in der Mensa für einen Tübinger Erstwohnsitz, genutzt habe das bislang nicht viel:
    "Ich habe da schon Streitereien gehabt, die wirklich unerquicklich sind, dass Leute sagen, das ist mir egal, einen sogar noch beschimpfen, dass einen das gar nichts angehe und die Meldepflicht völlig ignorieren. Und ich bin mir fast sicher, dass bei denen, die durch Argumente nicht zu erreichen sind, hundert oder zweihundert Euro Steuer Wunder wirken, die sind sofort in Tübingen angemeldet."

    Zwischen fünf und zehn Prozent der Nettokaltmiete ziehen viele deutsche Städte als Zweitwohnungssteuer ein, auch von Studierenden. Dresden zum Beispiel oder Köln. Seit 2005 gibt es die Steuer in der Domstadt, rund 25.000 Einwohner mit Zweitwohnsitz hätten daraufhin ihren Erstwohnsitz hier angemeldet, so die Stadtverwaltung. Die Universitätsstädte Heidelberg oder Göttingen erheben die Steuer zwar auch, aber de facto nicht für Studierende.

    Die sollen lieber ohne Druck gewonnen werden, mit Aktionen wie "Heimvorteil" oder "Heimspiel": Rabatte in Theatern, Geschäften, Büchereien für alle Studierende, die in Heidelberg oder Göttingen ihren Erstwohnsitz anmelden. Tübingens Oberbürgermeister Palmer hält von solchen Vergünstigungen nicht viel:

    "Erstens finde ich das bedenklich, wenn man Steuergelder verschenkt, um Leute zum Ummelden zu bewegen. Man hat auch in Tübingen mal mit kostenlosen Semestertickets und ähnlichem gelockt. Mir gefällt das nicht."

    Gefallen würde Lisa und Stefanie eine Zweitwohnungssteuer natürlich auch nicht. Verständnis für die Pläne ihrer Uni-Stadt haben die beiden Studentinnen aber trotzdem.
    "Ich finde es in Ordnung, weil wenn man hier wohnt, kann man sich auch hier anmelden gescheit. Okay, wie viel ist fünf Prozent von - wie viel zahle ich? - 260 kalt - 13 Euro, ja, das könnte ich vielleicht noch verkraften. Aber natürlich würde ich es gerne vermeiden.

    Kann man schon verstehen. Kommt halt drauf an, wofür sie nachher das Geld auch ausgeben, diese 1000 Euro, die sie dann pro Person kriegen."

    Für Stefanie jedenfalls ist heute schon fast klar: Kommt die Steuer, dann geht sie zum Bürgeramt - ihren Hauptwohnsitz anmelden in Tübingen.