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Tübingen verbessert Bologna

Obwohl die Studienreform mit dem Bachelor- und Mastermodell auf dem Papier umgesetzt ist, reißen die Klagen der Studenten nicht ab. Die Universität Tübingen hat einen Leitfaden vorgestellt, mit dem sie ihren Studenten das Studium erleichtern möchte.

Von Ulrike Mix | 11.02.2011
    Ein sogenanntes Flexibilitätsfenster soll den Tübinger Studenten helfen. Das heißt: Die Bachelor-Studenten können künftig entscheiden, ob sie ihr Studium in der dafür vorgesehen Regelstudienzeit durchziehen – oder ob sie sich ein zusätzliches Jahr genehmigen, das flexibel genutzt werden kann – für ein Auslandsjahr, für Praktika oder für persönliche Interessen jenseits des eigenen Faches, erklärt Tanja Wettingfeld, die als Studentin in der Senatskommission Studium und Lehre der Uni Tübingen sitzt und den Leitfaden mit erarbeitet hat.

    "Ich kann als VWLerin Philosophie-Vorlesungen besuchen oder noch eine neue Sprache lernen. Und da ich die Möglichkeit habe, mein Studium um ein Jahr zu verlängern, ohne dass ich da Konsequenzen von der Uni oder vom BAföG zu befürchten habe, entzerrt es das Studium ein bisschen."

    Bislang ist in vielen Bachelorstudiengängen nämlich Studieren mit Scheuklappen angesagt. Wenn sie in der Regelzeit durchs Studium kommen wollen, stecken die Studierenden bis über beide Ohren in Arbeit. Für freiwillige Zusatzkurse bleibt keine Zeit – und sich die Zeit einfach nehmen und auf eigene Rechnung länger studieren, das wollen die meisten nicht.

    "Viele Studenten haben Angst, dass sie das dann auf dem Arbeitsmarkt irgendwie benachteiligt, weil man dann länger gebraucht hat."

    Denn dass jemand nebenbei Philosophie gehört oder Spanisch gelernt hat, steht bislang nicht auf dem Abschlusszeugnis. Ein potenzieller Arbeitgeber sieht nur, dass ein Bewerber langsamer war als ein anderer. Das wird sich durch die Flexibilitätsfenster ändern, verspricht die Tübinger Prorektorin Professor Stefanie Gropper. Denn dann hat man offiziell länger studiert.

    "Der Vorteil an dem Flexibilitätsfenster ist der, dass alles, was an Leistungen oder Kursen erbracht wird, dokumentiert wird und den Absolventen auch im diploma supplement, das sie dann potenziellen Arbeitgebern vorlegen, aufgezeichnet wird."

    Die Noten, die die Studenten in ihren freiwilligen Kursen erbringen, fließen nicht in die Abschlussnote ein und stehen nur auf Wunsch im Zeugnis.

    Auch im Masterbereich hat die Universität Tübingen Änderungen geplant. Studenten, die direkt in den Beruf einsteigen möchten, sollen Kontakte zu Firmen vermittelt bekommen, so Gropper. Wer eine wissenschaftliche Karriere plant, soll bereits im Studium in diese Richtung unterstützt werden.

    "Und dann wird auch die Master-These als Exposé oder auch bereits als erster Teil einer Dissertation geschrieben werden können, sodass sich dann die Promotionsphase eventuell verkürzt."

    Der Geschichtsstudent Felix Arndt hat ebenfalls am neuen Leitfaden mitgearbeitet. Er sieht noch viele Baustellen. Die Bachelorstudiengänge seien nach wie vor überfrachtet.

    "Was einfach daran liegt, dass jedes Fach sich für das Wichtigste hält und dass man bei Einführung der Bachelorstudiengänge versucht hat, möglichst viel von allen Studiengängen in die neuen herüber zu retten und wenig Abstriche inhaltlich gemacht hat und sich wirklich überlegt hat, was ist essenziell, was brauch ich in diesem Studiengang, sondern möglichst viel übernommen hat."

    Stimmt, gibt die Tübinger Prorektorin Gropper zu. Speziell in den Naturwissenschaften müsse man die Studiengänge entzerren – etwa indem man Arbeit ganz bewusst aus der überfrachteten Vorlesungszeit herausnimmt und in die Semesterferien verlegt, sagt Stefanie Gropper.

    "Zum Beispiel in dem einzelne Blockkurse in der vorlesungsfreien Zeit stattfinden oder indem auch Prüfungen am Ende der vorlesungsfreien Zeit stattfinden, dass nicht alle Prüfungen unmittelbar entweder in der letzten Woche der Vorlesungszeit oder in der ersten Woche danach stattfinden."

    Überlegungen wie die in Tübingen werden derzeit laut Hochschulrektorenkonferenz an fast allen deutschen Hochschulen angestellt und umgesetzt. An der Universität Hildesheim etwa werden Klausurtermine so abgesprochen, dass zum Semesterende nicht alle Prüfungen auf einmal kommen. An der Universität Regensburg kann man den Bachelor in Chemie auf vier Jahre strecken, um ins Ausland zu gehen. Die Fachhochschule in Frankfurt am Main hat einen Studiengang eingerichtet, den man in Teilzeit studieren kann.

    Doch es bleibt viel zu tun: Im Ausland erbrachte Studienleistungen werden nicht immer anerkannt und auch wer innerhalb des Bachelor-Studiums die Uni wechseln will, hat es oft schwer mit der Anerkennung seiner Scheine. Selbst ein Bachelor-Abschluss bedeutet nicht automatisch die Berechtigung für ein Master-Studium, weil jede Uni andere, oft sehr spezielle Inhalte lehrt und eigene Zulassungsvoraussetzungen festsetzt. Die Tübinger Prorektorin Stefanie Gropper fordert, das Bachelorstudium zu einem breit gefächerten Grundlagenstudium zu machen – sieht aber ein Problem:

    "Dass sich die Fachverbände noch nicht in dem Maße auf ein jeweils gemeinsames Curriculum verständigt haben, wie das in den Magister- und Diplomstudiengängen der Fall war. Aber ich glaub, dass das eine Frage der Zeit ist."