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Türkei
Anschläge erschüttern Ankara

Es ist der folgenschwerste Anschlag in der jüngsten Geschichte der Türkei: Am Samstag explodierten in kurzer Folge zwei Bomben bei einer Friedensdemonstration in Ankara. Mindestens 86 Menschen sind ums Leben gekommen. Die Regierung spricht von einem Terroranschlag - und verspricht Aufklärung. Doch die Opposition zweifelt an Präsident Erdogans Beteuerung.

10.10.2015
    Ein Mann trauert in der Nähe des Anschlagsortes in Ankara um die Opfer.
    Bei einem Bombenanschlag in der türkischen Hauptstadt sind zahlreiche Menschen getötet worden. (dpa / Burhan Ozbilici)
    "Unsere Regierung arbeitet mit all ihren Einheiten daran, diesen Vorfall aufzuklären", hieß es in einer Mitteilung des Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. "Ich glaube daran, dass die Täter in kürzester Zeit festgesetzt und der Justiz übergeben werden." Weiter hieß es: Er verurteile diesen abscheulichen Angriff zutiefst, der die Einheit, Solidarität und der Frieden unseres Landes zerstören wolle. Die prokurdische Partei HDP und andere regierungskritische Gruppen hatten drei Wochen vor der Neuwahl für das Parlament zu der Friedensdemonstration aufgerufen.
    Der Ko-Vorsitzende der Partei HDP, Selahattin Demirtas, machte die islamisch-konservative Staatsführung für die Tat verantwortlich. Er sprach von einem "barbarischen Angriff". Demirtas sagte nach Angaben der Nachrichtenagentur DHA, es habe sich um ein "großes Massaker" gehandelt. Auf Twitter teilte er mit: "Diejenigen, die Frieden wollen, werden ermordet." Die HDP war im Juni als erste pro-kurdische Partei ins türkische Parlament eingezogen. Erdogan übt regelmäßig scharfe Kritik an der Partei und rückt sie in die Nähe zur verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei PKK. Die HDP betont dagegen, dass sie unabhängig von der PKK sei. In Istanbul kam es unterdessen nach dem Doppelschlag zu Protesten. Rund 2000 Demonstranten sollen sich in der Innenstadt versammelt haben und die kurdische Arbeiterpartei PKK zu Vergeltungsaktionen aufgefordert haben.
    Tote und Verletzte liegen auf den Straßen
    In Ankara bot sich am Samstagvormittag ein Bild des Grauens. Fernsehbilder zeigten zahlreiche Verletzte und Tote, die auf den Straßen lagen. Bei dem Anschlag sind 86 Menschen getötet und weit über 190 verletzt worden. Die HDP-Partei spricht inzwischen von 97 Opfern. Die Explosionen ereigneten sich im Abstand von wenigen Minuten, die erste um etwa 10 Uhr Ortszeit (9 Uhr MESZ). Der Anschlag sei vermutlich von zwei Selbstmordattentätern verübt worden, sagte Ministerpräsident Ahmet Davutoglu. Verdächtig seien die kurdische Arbeiterpartei PKK, die Extremisten-Miliz Islamischer Staat (IS) und die linke DHKP-C. Er rief eine dreitägige Staatstrauer aus. Innenminister Selami Altinok sprach von einem "Terrorakt" gegen den Staat, die Demokratie und das türkische Volk. Er wies Vorwürfe zurück, die Sicherheitskräfte hätten die Demonstration nicht genügend abgesichert, und lehnte einen Rücktritt ab.
    "Ein gezielter Anschlag auf die Gesellschaft"
    Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach ihr "tief empfundenes Mitgefühl" aus. "Wenn sich die Hinweise auf terroristische Anschläge bestätigen, dann handelt es sich um besonders feige Akte, die unmittelbar gegen Bürgerrechte, Demokratie und Frieden gerichtet sind", hieß es am Samstag in einem Schreiben Merkels an den türkischen Ministerpräsidenten. Den Angriff auf die Kundgebung bezeichnete sie als "einen gezielten Anschlag auf den Zusammenhalt der Gesellschaft". Auch die US-Regierung bekräftigte angesichts des Anschlags ihre Entschlossenheit im Kampf gegen den Terrorismus. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg betonte: "Alle Bündnispartner stehen Seite an Seite im Kampf gegen die Geißel des Terrorismus." Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini und Vizekomissionspräsident Johannes Hahn riefen alle politischen Kräfte zur Geschlossenheit im Kampf gegen Terror und Gewalt auf.
    (sima/lob)