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Türkei
"Deutscher Truppenabzug wäre Zeichen der Kritik"

Ein Abzug der Bundeswehr an der türkisch-syrischen Grenze wäre ein politisches Signal an die Türkei, sagte Harald Kujat, Generalinspekteur a.D. der Bundeswehr im DLF. Die Türkei wolle im Schatten der IS-Bekämpfung einen kurdischen Staat im Norden verhindern. Die Bundesregierung befinde sich dadurch in einem Dilemma.

Harald Kujat im Gespräch mit Bettina Klein | 31.07.2015
    Der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, Harald Kujat.
    Der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, Harald Kujat. (Imago / Metodi Popow)
    Kujat kritisierte, dass die Türkei die vergangenen zwei Jahre "überhaupt nichts beigetragen" habe zum Kampf gegen den "Islamischen Staat". Es gebe Meinungen, so Kujat, dass die Türkei sogar eine "dubiose Rolle" gespielt habe.
    Ein singulärer Abzug Deutschlands wäre dennoch nicht die richtige Vorgehensweise, auch wenn die Gefahr eines syrischen Angriffs auf die Türkei nicht mehr bestehe. "Wir haben den Zeitpunkt verpasst", sagte der Generalinspekteur a. D. im Hinblick auf einen möglichen Abzug. Nun habe sich aber die Lage im Grenzgebiet verschärft. Er betonte, dass in jedem Fall der Schutz der eigenen Soldaten absoluten Vorrang vor anderen Entscheidungen habe.
    Auf die Frage, an wen im Grenzgebiet Türkei-Syrien Waffen geliefert werden und diese gegebenenfalls in falsche Hände geraten könnten, sagte Kujat: "Will man die Peschmerga zu Recht unterstützen, dann muss man dieses Risiko eingehen. Ich sehe das Risiko aber nicht, die Unterstützung selbst infrage zu stellen."
    Vor dem Hintergrund der Ereignisse in Syrien verstärkt die Bundeswehr gemeinsam mit den US-amerikanischen und niederländischen Streitkräften die integrierte Luftverteidigung der NATO an deren Südgrenze der Türkei.

    Das vollständige Interview:
    Bettina Klein: Für Zivilisten in der Türkei gelten inzwischen verschärfte Warnhinweise. Bei Reisen in das Land wird zu besonderer Vorsicht und Umsicht geraten, so das Auswärtige Amt. Es besteht die Sorge vor Anschlägen unter anderem in Istanbul, inzwischen beliebt bei europäischen Touristen. Das ist das eine. Politisch vielleicht noch brisanter die Situation der Bundeswehrsoldaten, die gegenwärtig etwa 100 Kilometer entfernt von der Grenze zu Syrien stationiert sind, um dort an Patriot-Raketen mögliche Angriffe aus Syrien gegen die Türkei abzuwehren. Stattdessen greift die Türkei nicht nur den sogenannten Islamischen Staat an, sondern auch die PKK, und setzt womöglich sich selbst und damit auch die Soldaten neuen Gefahren aus. Sollten die dort abgezogen werden? Informationen dazu aus Berlin von Andrea Müller.
    Am Telefon ist jetzt General außer Diensten Harald Kujat, ehemaliger Generalinspekteur der Bundeswehr und ehemaliger Vorsitzender vom NATO-Militärausschuss. Guten Morgen, Herr Kujat!
    Harald Kujat: Guten Morgen, Frau Klein!
    Klein: Ist das eine Lage, in der die deutschen Soldaten eigentlich abgezogen werden müssten?
    Kujat: Das ist natürlich jetzt schwierig, das zu entscheiden. Ich muss darauf hinweisen, dass ich schon vor Monaten gefordert habe, dass unsere Einheiten abgezogen werden, und zwar aus einem ganz einfachen Grund: Die Lage hat sich in einer Weise entwickelt, dass sie keine Aufgabe mehr haben dort. Nun kommt natürlich die Verschärfung der Sicherheitslage hinzu, aber damit wird auch die Entscheidungslage für die Bundesregierung schwieriger. Denn sie müsste ja damit sozusagen dokumentieren, würde damit dokumentieren, dass sie gegen den politischen Kurs der türkischen Regierung ist. Auf der anderen Seite wäre dies auch eine Möglichkeit.
    Also im Augenblick – ich fordere nicht, dass die Soldaten jetzt abgezogen werden. Ich sage nur, wir haben im Grunde genommen den Zeitpunkt bereits verpasst. Wir müssen sehr sorgfältig prüfen, ob die Sicherheitslage weiter zulässt, dass unsere Soldaten dort bleiben.
    Klein: Fragt sich, was hat da Vorrang im Augenblick? Solidarität mit dem NATO-Bündnispartner Türkei oder nicht dann eben vielleicht doch eher der Schutz der eigenen Soldaten?
    Kujat: Also in jedem Fall hat der Schutz der eigenen Soldaten absoluten Vorrang. Außerdem ist dies aus meiner Sicht keine Frage der Solidarität mit der Türkei. Denn wenn der eigentliche Grund für diese Solidarität weggefallen ist, dann besteht auch keine Berechtigung mehr, sie einzufordern. Aber man muss auch darauf hinweisen, dass ein Abzug Deutschlands, ein singulärer Abzug Deutschlands natürlich nicht die richtige Vorgehensweise wäre. Außer uns sind die Amerikaner dort noch mit Patriot stationiert und die Niederländer. Man hätte sehr frühzeitig in der Allianz dafür sorgen müssen, dass alle drei Verbündeten, also Deutschland, die USA und die Niederlande gemeinsam den Beschluss fassen, diese Aufgabe, die nicht mehr besteht, nun endlich zu beenden.
    Klein: Weshalb ist der Grund weggefallen?
    Kujat: Weil die syrische Regierung gar nicht mehr in der Lage ist, die Türkei anzugreifen. Also die militärische Aufgabe ist damit im Grunde genommen weggefallen.
    Klein: Das ist komplett ausgeschlossen, Herr Kujat?
    Kujat: Na ja, ausgeschlossen ist überhaupt nichts. Aber die Türkei ist ja auch selbst in der Lage, ist ja selbst eine starke Militärmacht, das so, wie das Risiko am Anfang bestand, das ist nicht mehr der Fall. Die Frage ist, und da gibt es einige sehr gute Begründungen dafür, ob jemals ein so akutes Risiko bestanden hat.
    Strategisches Ziel der Türkei ist nicht IS-Bekämpfung
    Klein: Und Sie sagen auf jeden Fall, Sie würden der Bundesregierung raten, da etwas stärker auf Distanz zur Türkei zu gehen. Wir haben ja immer wieder auch Kritik daran gehört, im Augenblick, dass man eben den sogenannten Islamischen Staat gleichsetzt mit der PKK und jetzt eben die ganze Situation nutzt, um da eben gegen die Kurden vorzugehen. Also Sie würden der Bundesregierung raten, da stärker auf Distanz zu gehen?
    Kujat: Die Frage ist, was ist das strategische Ziel der Türkei. Und ganz offenkundig ist es nicht das strategische Ziel in erster Linie, den IS zu bekämpfen, sondern das strategische Ziel der Türkei ist es, einen kurdischen Staat im Norden des Irak zu verhindern. Deshalb ja auch diese Pufferzone. Und sozusagen im Schatten der IS-Bekämpfung wird dieses eigentliche Ziel verfolgt. Man muss auch darauf hinweisen, dass die Türkei nun fast zwei Jahre lang überhaupt nichts beigetragen hat im Kampf gegen den IS.
    Im Gegenteil, es gibt viele, die sagen, die Türkei hat eine sehr dubiose Rolle im Verhältnis zum IS gespielt. Also wenn Bündnissolidarität hier angemahnt wird, dann muss man auch darauf hinweisen, dass die Türkei lange Zeit keine Bündnissolidarität mit ihren Verbündeten gezeigt hat.
    Bundesregierung ist in einem Dilemma
    Klein: Ja, haben wir immer wieder auch drauf hingewiesen. Jetzt gibt es ja offenbar so eine Art des Umdenkens, was den IS angeht. Es werden also auch Stützpunkte den Amerikanern zur Verfügung gestellt und die sind sehr froh darüber und haben als erstes Ziel eben die Bekämpfung des Islamischen Staates.
    Kujat: Natürlich sind die Amerikaner froh darüber, weil es die Effektivität der Einsätze ganz wesentlich verstärkt, das ist ganz eindeutig, aufgrund der kürzeren Flugzeiten. Natürlich ist dies ein Entgegenkommen gegenüber dem Westen, auch gegenüber dieser Allianz, die den IS bekämpft. Auf der anderen Seite muss man natürlich die deutschen nationalen Sicherheitsinteressen zunächst mal im Vordergrund sehen.
    Und die Frage ist natürlich, ist die Bundesregierung mit diesem politischen Kurs, den die Türkei im Augenblick verfolgt, auch im Inneren des Landes verfolgt, einverstanden? Dann wäre natürlich die Beibehaltung der Stationierung im Grunde auch ein Zeichen der Solidarität, der politischen Solidarität mit der Türkei. Wenn man sich entscheidet, die Soldaten abzuziehen, dann wäre das ein Zeichen der Kritik an diesem Vorgehen. Also, die Bundesregierung ist hier in einem Dilemma. Aber dieses Dilemma ist deshalb entstanden, weil sie zu einem Zeitpunkt, als sich der militärische Auftrag bereits erledigt hatte, sich nicht zu einer Entscheidung durchringen konnte.
    Klein: Brauchen wir also jetzt zumindest ein neues Mandat für diesen Bundeswehreinsatz dort?
    Kujat: Nein. Das Mandat reicht ja bis zum Januar nächsten Jahres. Das ist ja gerade erst vor einigen Monaten entschieden worden. Ein neues Mandat wäre nicht erforderlich.
    Klein: Aber zum Beispiel Roderich Kiesewetter von der CDU sagt jetzt, wenn das beendet ist, dann könne er sich durchaus auch vorstellen, Tornado-Einsätze der Bundeswehr, um eben die Türkei im Kampf gegen den IS stärker zu unterstützen. Ist das eine gute Idee?
    Kujat: Nein. Das ist überhaupt keine gute Idee, weil überhaupt die Frage ist, in welcher Weise braucht die Türkei denn eigentlich Unterstützung? Flugzeuge hat sie selber genug, warum sollen wir dann zusätzlich noch Tornados dahin schicken?
    Die zweite Frage, oder eigentlich die erste Frage, die an erster Stelle ist, sind wir mit der Art der Bekämpfung des IS und gleichzeitig der PKK einverstanden und wollen wir das auch durch die Verstärkung unserer Unterstützung betonen? Also das kann ich im Augenblick politisch überhaupt nicht sehen.
    Peschmerga werden zu Recht unterstützt
    Klein: Noch kurz, Herr Kujat, schauen wir auf die verworrene Lage, was die Waffenlieferungen an die Kurden angeht. Auch Deutschland trägt ja mit Ausrüstung bei zur Unterstützung des Kampfes gegen den IS, aber die Peschmerga im Nordirak arbeiten inzwischen offenbar ja doch zusammen mit einem Arm der PKK. Ist denn sicher, an wen da im Augenblick Waffen gelangen?
    Kujat: In einer solchen Situation kann niemand garantieren, dass nicht einzelne Waffen in die falschen Hände geraten. Das muss man ganz eindeutig sagen. Aber es ist offensichtlich so, dass die Bundeswehr Vorkehrungen getroffen hat, dass dieses nicht erfolgen soll. Das ist das, was man tun kann. Wenn man die Peschmerga wie in diesem Fall, zu Recht, finde ich, unterstützen will mit Waffen und mit Ausrüstung, dann muss man dieses Risiko eingehen. Aber ich sehe es nicht als ein Risiko, das nun die Unterstützung selbst infrage stellt. Das kann ich nicht erkennen.
    Klein: Die Einschätzungen von General außer Dienst Harald Kujat heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk. Haben Sie vielen Dank für diese Informationen!
    Kujat: Danke Ihnen, Frau Klein!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.