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Türkei
Europaminister Celik beklagt Unzuverlässigkeit der EU

Der türkische Europa-Minister Ömer Celik ist zu Gesprächen in Brüssel. Vorab gab er dem ARD-Europastudio ein Exklusiv-Interview - und schlug deutlich versöhnlichere Töne an als Präsident Erdogan. Gleichzeitig kritisierte er, in vielen Fragen stehe die EU nicht zu ihrem Wort.

Von Kai Küstner | 30.11.2016
    Zu sehen ist der türkische Europaminister Ömer Celik auf einer Pressekonferenz im slowakischen Bratislava.
    Der türkische Europaminister Ömer Celik. (picture-alliance / dpa / Jakub Gavlak)
    Der türkische Präsident Erdogan hatte bei seinen jüngsten Drohungen und Tiraden kaum ein gutes Haar an der EU gelassen. Beim türkischen Europaminister Celik ist der Zungenschlag ein anderer: Hört man ihm länger zu, drängt sich fast der Eindruck auf, als rede der von Europa wie von einer enttäuschten Liebe. "Die EU hat einfach ihre Versprechen nicht eingehalten", beklagt Celik, der dann beginnt, aufzuzählen: Egal, ob es um die Visa-Freiheit gehe, die finanziellen Hilfen für die Syrien-Flüchtlinge oder die Zusage, die Beitritts-Gespräche zu beschleunigen – nirgendwo stehe die EU zu ihrem Wort:
    "Im Gegenteil: Statt die Beitritts-Gespräche voranzutreiben, schlägt das EU-Parlament vor, sie einzufrieren. Und auch die zugesagten Gelder fließen nur langsam: Wir haben derzeit 800.000 Flüchtlingskinder in der Türkei, die eine Ausbildung brauchen. Aber bis die Maßnahmen greifen, haben die Kinder womöglich das Rentenalter erreicht."
    Gefragt danach, ob dies alles den im März mühsam besiegelten Flüchtlingspakt zum Scheitern bringen könnte, antwortet Celik im Interview mit dem ARD-Europa-Studio Brüssel: "Ja, das könnte dazu führen."
    Das Argumentationsmuster ist im Grunde dasselbe, das auch Präsident Erdogan anwendet: Die Türkei ist eine blühende Demokratie - Schuld daran, dass die Beziehungen zur EU eine so ernste Krise erleben, sind die Europäer. Wobei Ömer Celik dies aufrichtig bedauert. Denn er sagt klipp und klar:
    "Wir wollen Mitglied der Europäischen Union werden. Das hätte Vorteile für die Türkei und die EU. Wenn man sich die Werte anschaut, die in der EU geteilt werden oder auch die Möglichkeit, dass die Europäische Union zu einer globalen Supermacht aufsteigt – dafür wird die Türkei in der EU gebraucht. Und das ist auch im Interesse der Türkei." Bekundet der Europa-Minister im ARD-Interview.
    Wie entwickeln sich die Beziehungen weiter?
    Auf EU-Seite ist zwar noch nicht ernsthaft auszumachen, dass die Mitgliedstaaten die vor über zehn Jahren begonnenen Beitritts-Gespräche abzubrechen gedenken. Doch es wurden durchaus Zweifel laut, ob die türkische Seite eigentlich noch ernsthaft interessiert sei. Laut Europaminister Celik jedenfalls bräuchten beide Seiten einander gerade jetzt – auch mit Blick auf die US-Wahl:
    "Donald Trump hat signalisiert, dass er die transatlantischen Beziehungen ändern will. Hinzu kommt: Nächstes Jahr werden wir über den Brexit reden – es gibt also jede Menge Unwägbarkeiten. Jetzt ist die Zeit, festere Brücken zu bauen."
    Hinter den Kulissen wird dem Vernehmen nach derzeit nach wie vor daran gearbeitet, ob sich die umstrittene Terror-Gesetzgebung in der Türkei wird ändern lassen. Was die EU zur Voraussetzung für die Visa-Liberalisierung gemacht hat. Ob sich hier Erfolge erzielen lassen, ist offen. Genauso wie die Frage, ob die Beziehungen der EU zur Türkei sich wieder auftauen lassen. Oder ob sie noch eisiger werden als sie jetzt schon sind.