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Türkei-Forscher
Neues Internetgesetz richtet sich gegen kritische Journalisten

Das Internet kontrollieren - das sei das Ziel der türkischen Regierung, meint Yasar Aydin von der Stiftung Wissenschaft und Politik im DLF. Zu einem Sammelbecken für oppositionelle kritische Journalisten sei das Internet geworden, und das würde durch das neue Internetgesetz eingeschränkt.

Yasar Aydin im Gespräch mit Friedbert Meurer | 06.02.2014
    Ein Porträtfoto des Türkeiwissenschaftlers Yasar Aydin
    Der Türkei-Forscher Yasar Aydin von der Stiftung Wissenschaft und Politik sieht die Pressefreiheit in der Türkei gefährdet (picture alliance / dpa / SWP / Marie Staggat)
    Friedbert Meurer: Seit zwölf Jahren regiert in der Türkei die AKP. Die Islamisten haben das Land verändert, Reformen umgesetzt, so wie sie die Europäische Union auch immer wieder gefordert hat. Aber zwölf Jahre sind doch eine ziemlich lange Zeit und da kann sich auch schon mal Filz und Korruption herausbilden. Zuletzt haben Aktivisten in der Türkei immer wieder kompromittierendes Material hochgeladen und ins Netz gestellt und damit die AKP bloßgestellt. Solche Enthüllungen will die Partei und die Regierung offenbar künftig rasch unterbinden. Jedenfalls hat das Parlament jetzt die rechtliche Grundlage für Internet-Kontrollmaßnahmen oder Zensur geschaffen.
    Yasar Aydin ist Türkei-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik, die in Berlin die Bundesregierung berät. Guten Tag, Herr Aydin.
    Yasar Aydin: Guten Tag.
    Meurer: Was ist Ihrer Ansicht nach der Zweck dieses neuen Gesetzes, die Opposition und die Internet-Aktivisten an die kurze Leine legen?
    Aydin: Ja. Erdogan und die AKP-Regierung versucht jetzt, das Internet unter Kontrolle zu bringen. Nachdem sie bereits kritische Journalisten in den Medien eingeschüchtert haben und enormen Druck auf die Medien, Mainstream-Medien ausgeübt haben und somit einen Teil dieser Medienlandschaft unter ihre Kontrolle gebracht haben, wollen sie jetzt auch das Internet kontrollieren, weil das Internet jetzt zu einem Sammelbecken von kritischen Journalisten geworden ist. Journalisten, die ihren Job verloren haben, schreiben jetzt im Internet, auf Internetportal-Seiten. Es hat sich so etwas wie ein Sammelbecken für oppositionelle kritische Journalisten entwickelt, und das will die AKP verhindern.
    Meurer: Geht es darum, Kommentare zu unterbinden, missliebige Kommentare zu unterdrücken, oder geht es darum, dass abgehörte Telefonate, die belegen, die AKP ist korrupt, nicht mehr im Netz hochgeladen werden?
    Korruptionsvorwürfe gegen die Regierung
    Aydin: Sicherlich beides. Aber es geht darum: Wenn man bedenkt, dass es in der Vergangenheit kritische Journalisten mit Konsequenzen zu tun hatten vonseiten der Regierung, dann kann man daran nicht mehr glauben, dass es hier nur darum geht, um Missbrauch zu unterbinden. Der Zeitpunkt ist auch ein Zeitpunkt, der Zweifel aufwirft. In der Türkei gibt es Korruptionsvorwürfe gegen die Regierung und die Regierung hat versucht, diese Korruptionsvorwürfe nicht aufzuarbeiten, sondern versucht, sich dagegenzusetzen. Und jetzt mit einem neuen Gesetzesvorschlag zu kommen, der die Telekommunikations-Aufsichtsbehörde ermächtigt, Internet-Seiten, auch ohne richterlichen Beschluss zu sperren, das ist problematisch.
    Meurer: Über ein Beispiel haben heute Morgen die Kollegen von "Europa heute" hier im Deutschlandfunk berichtet. Da hat der Bürgermeister von Ankara telefoniert mit dem Energieminister, da hat man einen Deal gemacht, Ankara bekommt die Energieschulden erlassen, und dann wurde dieser Telefonmitschnitt hochgeladen und ins Netz gestellt. Das wäre auch in Deutschland eine Verletzung des Fernmeldegeheimnisses. Ist das in Ordnung, wenn so was gemacht wird?
    Aydin: Das ist nicht in Ordnung. Dagegen muss man mit allen rechtlichen Mitteln vorgehen. Das ist schon richtig. Aber auf der anderen Seite kann es auch nicht sein, dass man solche Vorfälle nutzt, als Vorwand nimmt, um die Pressefreiheit einzuschränken. Im Jahre 2007 wurde zum Beispiel YouTube verboten, weil da angeblich Mustafa Kemal Atatürk kritisiert wurde oder beleidigt wurde. Das kann nicht sein, dass die Regierung solche Ereignisse zum Vorwand nimmt, um das Internet zu reglementieren. Es gibt genug Gesetze in der Türkei, gegen solche Vorfälle vorzugehen.
    Aydin sieht die Medienfreiheit in Gefahr
    Meurer: Die Organisation Reporter ohne Grenzen“veröffentlicht jedes Jahr ein Presse-Ranking, wo ist die Pressefreiheit am meisten, wo wird sie am meisten unterdrückt, wo ist sie am freiesten. Die Türkei liegt tatsächlich nur auf Platz 159 von 174 Staaten. Wir haben eigentlich den Eindruck, in der Türkei gibt es eine Fülle von Tageszeitungen beispielsweise. Wie äußert sich diese Unterdrückung der Pressefreiheit in der Türkei?
    Aydin: Es gibt eine große Medienlandschaft in der Türkei. Es ist nicht so, dass die türkischen Medien alle gleichgeschaltet sind. Es gibt kritische Medien, aber es gibt auch Medien in der Türkei, insbesondere Mainstream-Medien, auf die man Druck ausübt, auch ökonomischen Druck ausübt. Vor allem die Mainstream-Medien mit großen Auflagen sind anfällig für solchen ökonomischen Druck. Man schickt den unbeliebten, missbilligten Medien Steuerfahnder und versucht, auf diese Art und Weise sie unter Druck zu setzen. Es gibt aber auch kritische Journalisten in der Türkei, die für solchen Druck nicht anfällig sind, die weiterhin kritisch berichten. Aber auf der anderen Seite gab es auch schon in der Vergangenheit Verfolgungen von kritischen Journalisten, die ins Gefängnis mussten, weil sie kritisch berichtet haben. Es ist in der Türkei mit der Medienfreiheit, mit der Meinungsfreiheit nicht gut bestellt.
    "Aber man darf die Probleme nicht leugnen"
    Meurer: Ist der Platz 159 ein zu strenges Urteil? Da stünde ja die Türkei neben Ländern wie Usbekistan oder China.
    Aydin: Ja gut, es kann durchaus sein, dass jetzt die türkische Presselandschaft in einem schlechteren Licht dargestellt wird. Aber man darf die Probleme nicht leugnen. Auch Mainstream-Medien geraten unter Druck und Journalisten haben ihren Job verloren, weil sie kritisiert haben, und das kann nicht sein.
    Meurer: Wir hatten letztes Jahr die Proteste in der Türkei im Gezi-Park. Da ging es zunächst mal nur um ein geplantes Einkaufszentrum. Dann schlug das Ganze um in Proteste gegen die regierende AKP. Die Demonstranten haben sich damals ziemlich viel über Facebook verständigt. Was bedeutet das neue Internet-Gesetz für künftige Demonstrationen und Proteste?
    Aydin: In der Türkei kommunizieren viele über Medien
    Aydin: Sicherlich ermöglicht das die Mobilisierung. Das erleichtert die Mobilisierung von oppositionellen Gruppierungen, und das hat auch die Regierung eingesehen und möchte dem damit entgegenwirken. Es ist schon wichtig, weil die Anzahl derer, die einen Handy-Anschluss haben, ist sehr hoch in der Türkei, liegt bei ungefähr 70, 80 Prozent. Viele kommunizieren über Medien, es ist einfach günstig, über Medien wie Facebook oder Internet zu kommunizieren, und deswegen, vermute ich mal, möchte die Regierung das unter Kontrolle bringen.
    Meurer: Das Parlament in der Türkei hat ein Internet-Kontrollgesetz verabschiedet, von dem nicht wenige sagen, das ist glatte Zensur. Yasar Aydin ist Türkei-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik. Danke nach Berlin, auf Wiederhören.
    Aydin: Sehr gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.