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Türkei
"Neuwahlen sind unvermeidlich"

Der türkische AKP-Politiker Ozan Ceyhun hat die bevorstehenden Neuwahlen in seinem Land verteidigt. Die Opposition habe der Regierungspartei AKP gar keine andere Wahl gelassen, sagte er im DLF. Auch das Vorgehen gegen die kurdische PKK verteidigte der Politiker.

Ozan Ceyhun im Gespräch mit Thielko Grieß | 24.08.2015
    Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan gestikuliert während einer Rede im Präsidentenpalast.
    Man müsse Erdogan nicht mögen, sagte Ceyhun. Doch es stimme einfach nicht, dass der Präsident ein problematisches Verhältnis zur Demokratie habe (AFP / Adem Altan)
    Die Oppositionsparteien hätten entweder völlig unrealistische Forderungen gestellt oder eine Zusammenarbeit gar nicht gewollt, meinte Ceyhun. Er ist AKP-Kandidat aus der Stadt Izmir. Deshalb bleibe nicht anderes übrig als Neuwahlen. Der frühere SPD-Politiker verteidigte auch den türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan gegen den Vorwurf, mit den Neuwahlen eine Verfassungsänderung zur Stärkung des Präsidentenamtes durchsetzen zu wollen. Dies sei auch nach den Wahlen nur mit der der Unterstützung der Opposition im Parlament möglich.
    Kritik am türkischen Vorgehen gegen die Kurdische Arbeiterpartei PKK wies Ceyhun zurück. Diese sei eine terroristische Organisation und habe den aktuellen Konflikt begonnen, indem sie Polizisten ermordet habe, argumentierte er. Die PKK habe auch mit der Mehrheit der Kurden nichts zu tun, die friedlich seien und keinen Krieg wollten. Der AKP-Politiker beklagte ein zu negatives Bild seiner Partei und Erdogans in Deutschland. Hier gebe es eine einseitige Berichterstattung in den Medien. Man müsse Erdogan nicht mögen, sagte Ceyhun. Doch es stimme einfach nicht, dass der Präsident ein problematisches Verhältnis zur Demokratie habe.

    Thielko Grieß: Die Türkei wird ein neues Parlament wählen, zum zweiten Mal binnen weniger Monate. Die Koalitionsverhandlungen nach den letzten Wahlen im Juni sind ergebnislos abgebrochen worden und die letzte Frist ist gestern am Sonntag abgelaufen. Am Telefon begrüße ich jetzt Ozan Ceyhun. Schönen guten Morgen nach Izmir!
    Ozan Ceyhun: Guten Morgen!
    Grieß: Herr Ceyhun, Sie kandidieren für die AKP in Izmir. Ich darf Sie kurz vorstellen? Sie sind 54 Jahre alt, haben lange Jahre auch in Deutschland gelebt, besitzen beide Staatsbürgerschaften, die deutsche und die türkische, und Sie haben eine politisch kurvenreiche und farbenreiche Biografie. Sie waren einmal bei den Grünen, waren sogar grüner Europaabgeordneter, dann bei der SPD und nun eben bei der AKP, kandidieren in Izmir, haben bei der Wahl im Juni das Mandat knapp verpasst und wagen nun einen neuen Anlauf. Was macht denn für Sie die AKP so attraktiv?
    Ceyhun: Erstens: Ich war bei den Grünen, richtig, aber ich war nie grün. Damals, als ich bei den Grünen an der Politik teilnehmen durfte, gab es keine andere Möglichkeit und die Grünen haben mir nur eine Plattform angeboten. Das heißt, grün war ich nie. Sozialdemokrat bin ich immer gewesen und bin ich und deswegen war ich bei der SPD und ich würde SPD-Mitglied bleiben. Aber wenn man in der Türkei an der Politik teilnimmt, dann muss man nach SPD-Satzung die SPD verlassen. Deswegen bin ich kein SPD-Mitglied mehr und die AK-Partei ist für mich die einzige Partei in der Türkei, die wirklich demokratische Reformen bis jetzt durchgeführt hat und eine neue militärfreie, putschfreie Türkei realisieren möchte. Deswegen bin ich da.
    "In Deutschland ist die Medienberichterstattung sehr einseitig"
    Grieß: In Deutschland betrachten viele die AKP und vor allem Präsident Erdogan, der die AKP ja gegründet hat, als eine politische Kraft, die dem Autoritarismus nicht so ganz abgeneigt ist und immer wieder solche Tendenzen zeigt. Was entgegnen Sie denen?
    Ceyhun: Ja gut. Ich würde sagen, in Deutschland gibt es wirklich eine falsche Propagandasituation. Ich behaupte sogar, dass man in der Türkei ein ganz anderes Bild über die AK-Partei haben könnte, wenn man selbst hier ist. In Deutschland ist die Medienberichterstattung sehr einseitig. Über Erdogan kann man sich beliebig äußern und man muss ihn nicht mögen, aber dass man ihm vorwirft, dass er demokratische Probleme (unverständlich, Anm. d. Red.), das stimmt so ganz genau nicht.
    Grieß: Sie kennen Präsident Erdogan ja selbst auch persönlich. Sagen Sie uns: Was treibt diesen Mann eigentlich jetzt an im Sommer 2015? Er hat die Koalitionsgespräche nicht zu Ende geführt, die Türkei greift Stellungen der PKK an, das ist innenpolitisch eine sehr labile Situation und jetzt gibt es Neuwahlen. Was treibt Erdogan an?
    Ceyhun: Punkt eins: Präsident Erdogan hat ja mit den Koalitionsverhandlungen nichts zu tun gehabt. 35 Tage lang haben Regierungspartei AK-Partei und Oppositionspartei CHP verhandelt und die AK-Partei hat einen Vorschlag gemacht. Sie wollte eine Reformkoalition haben und CHP hatte damit Probleme, und aus diesem Grund gab es keine Einigung. Dann hat die AK-Partei einen Vorschlag an die zweite Oppositionspartei MHP gemacht und MHP hat die Antwort geliefert, indem sie gesagt haben, dass sie gar keine Koalition haben wollen, und aus diesem Grund ist nichts anderes übrig geblieben, die Wahl zu wiederholen.
    Und was die PKK betrifft: Ich bin sehr traurig, dass Sie sogar bei der Berichterstattung kurdische PKK sagen. Die PKK ist weder kurdisch noch türkisch. Es ist eine terroristische Organisation und sie bringt Menschen um. Wenn in der Türkei momentan noch einmal ein Krieg zustande kommt, hat das auch damit zu tun, dass die PKK angefangen hat, Polizisten und Soldaten umzubringen. In Deutschland gibt es zusätzlich, was die PKK betrifft, wieder ein falsches Bild. Man glaubt, dass die PKK gegen IS kämpfen würde. Das stimmt auch so nicht. Die Türkei hat wirklich momentan ein Terrorproblem und das heißt PKK. Aus diesem Grund bemüht sich das Land, diese terroristische Organisation zu vernichten.
    "In der Türkei braucht man wirklich momentan eine Regierung"
    Grieß: Sie haben natürlich Recht, Herr Ceyhun, dass die kurdischen Organisationen insgesamt in der Türkei und in den benachbarten Ländern sehr unterschiedlich organisiert sind. Allerdings bezeichnet sich die PKK schon durchaus als kurdisch, das nur als kurze Entgegnung. Aber lassen Sie mich eine weitere Frage stellen: Betreibt Präsident Erdogan mit seiner Politik nicht eine Spaltung des Landes?
    Ceyhun: Ja gut. Ich muss nur einen weiteren Satz sagen über die PKK. Ich sage zum Beispiel nie deutsche RAF, nicht die deutsche Rote Armee Fraktion, sondern ich sage einfach terroristische Rote Armee Fraktion. Die Rote Armee Fraktion hat wirklich mit Deutschland nichts zu tun nach meiner Meinung. Genauso halt die PKK mit den Kurden, die normalerweise gegen Gewalt sind und friedlich in der Türkei leben wollen.
    Aber was Ihre Frage betrifft. Es hat damit zu tun: In der Türkei braucht man wirklich momentan eine Regierung und wenn die Opposition, CHP, MHP und HDP, wenn sie wollten, könnten sie eine Regierung bilden, alle drei gemeinsam. Aber MHP hat gesagt, sie würde nie mit HDP gemeinsam eine Regierung bilden. Das heißt, die drei Oppositionsparteien kommen nicht zusammen. Wenn das der Fall ist und wenn die zwei übrig gebliebenen mit der AK-Partei keine Koalitionsregierung bilden können, haben wir zurzeit in der Türkei keine Regierung. Also bleibt wirklich nichts anderes übrig, eine Wahl durchzuführen.
    Grieß: Also wird jetzt in der Türkei so lange gewählt, bis die Mehrheit der AKP wieder sicher steht?
    Ceyhun: Nein, im Gegenteil. Ich bin nicht mal sicher, ob die AK-Partei das nächste Mal alleine regieren könnte. Aber man hat keine andere Wahl. Vielleicht könnten dann die Oppositionsparteien dadurch endlich die Einsicht haben, dass man mit der AK-Partei eine Koalition bilden müsste, ohne unrealistische Forderungen zu machen.
    "Er ist AK-Parteimitglied und er sagt das, auch wenn er Staatspräsident ist"
    Grieß: Noch eine Frage, Herr Ceyhun, zur Rolle Präsident Erdogans. Der ist qua Verfassung eigentlich verpflichtet, sich überparteilich und unabhängig zu verhalten. Nach allem, was ich wahrnehme von dem, was er sagt in der Türkei, ist das nicht der Fall. Warum hält er sich nicht an die Vorschriften der Verfassung?
    Ceyhun: Ja gut. Herr Erdogan ist wirklich so viel unparteiisch, wie damals Herr Adenauer in Deutschland war.
    Grieß: Moment! Konrad Adenauer war Kanzler und war nicht Präsident!
    Ceyhun: Sie haben recht, aber damals auch mit der eigenen Stimme. Daran wollte ich nur erinnern. Es ist normal, denke ich. Er ist AK-Parteimitglied und er sagt das auch, auch wenn er Staatspräsident ist. Die AK-Partei bedeutet für ihn sehr viel. Das sagt er auch offen. Ich denke, das ist auch legitim. Aber von der anderen Seite, dass er als Staatspräsident eine Koalition verhindert hätte, das stimmt wirklich nicht. Wenn die CHP mit Herrn Ministerpräsident Davutoglu sich einigen könnte, gäbe es jetzt eine AK-Partei/CHP-Regierung. Und wenn die MHP trotz einfach überhaupt ein Interesse an einer Koalition hätte, dann hätte es eine AK-Partei/MHP-Koalition gegeben.
    Grieß: Ist nicht auch eine Triebfeder für das Verhalten der AKP und auch des Staatspräsidenten, dass man die Verfassung ändern will hin zu einer präsidialeren Verfassung, um dem Staatspräsidenten, über den wir jetzt schon lange gesprochen haben, mehr Macht zu verleihen?
    Ceyhun: Wissen Sie, das wollte er, aber dafür gab es keine Mehrheit und es wird auch bei der nächsten Wahl keine Mehrheit geben, weil sie mit einer Regierungsmehrheit das nicht verwirklichen können. Dafür brauchen Sie wirklich im Parlament eine ganz andere Mehrheit, und bei der nächsten Wahl wird das auch nicht gehen. So eine Erwartung kann er sowieso momentan nicht haben, weil man dazu passende Mehrheiten nicht haben wird. Deswegen ist die Debatte falsch nach meiner Meinung. Es geht momentan grundsätzlich um eine Regierungsbildung und man hat jetzt gesehen, mit diesem Wahlergebnis hat man keine Chance, überhaupt eine Regierung zu haben. Darum geht es momentan in der Türkei.
    Grieß: Und das ist der Wahlkampf, der jetzt wieder beginnt in der Türkei. Ich habe gesprochen mit Ozan Ceyhun aus Izmir, der dort kandidiert für die AKP. Herr Ceyhun, danke schön für Ihre Einschätzung über Sie, über Ihre Partei und Ihren Präsidenten. Einen schönen Gruß in die Türkei an die Ägäis-Küste.
    Ceyhun: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.