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Türkei
Politik ist auch auf dem Fußballplatz wichtig

Erst das Internet, dann die Justiz - die türkische Regierung versucht, ihren Einfluss und vor allem die Kontrolle auszuweiten. Derweil halten die Proteste gegen Korruption und für die Demokratie an - auch in den Fußballstadien der türkischen Süperlig.

Von Luise Sammann | 27.02.2014
    Die Slogans klingen vertraut: "Überall ist Taksim, überall ist Widerstand… Das Volk wird die AKP bezahlen lassen…" Doch es geht dieses Mal nicht um den Gezi-Park in Istanbul, es geht um Fußball. Zehntausende zogen vor einigen Tagen durch Kadiköy, das Heimatviertel von Fenerbahce Istanbul, protestierten gegen die Verurteilung ihres Präsidenten Aziz Yildirim, die Hauptfigur des größten Bestechungsskandals der türkischen Sportgeschichte. Selbst Anhänger der gegnerischen Teams waren gekommen.
    "Die Vorwürfe sind haltlos – die Richtersprüche sind unfair. Jeder Türke, der Sinn für Gerechtigkeit hat, muss in diesen Tagen zum Fenerbahce-Fan werden,"
    … beteuert ein Demonstrant im rotgelben Look von Gegner Galatasaray. Und ein anderer fügt hinzu:
    Für die Zukunft von Fenerbahce und der Türkei
    "Wir sind für die Zukunft von Fenerbahce hier – aber auch für die Zukunft der Türkei. Glauben Sie nicht, dass es hier nur um Sport geht. Es geht ums Ganze, um die Zukunft unserer Kinder!"
    Dass Präsident Yildirim völlig unschuldig ist, ist unwahrscheinlich. Und doch erschien die zunächst von der Staatsanwaltschaft geforderte angesetzte Haftstrafe von 147 Jahren sogar seinen ärgsten Feinden absurd. Selbst das nun sehr viel milder ausgefallene Urteil scheint zu beweisen: Der Kampf um die Macht in der Türkei hat sich auf die Stadien ausgeweitet.
    "Fenerbahce ist der größte Sportverein der Türkei. Die Fangemeinschaft ist unglaublich groß – und das bringt viel Potenzial mit sich."
    Bestätigt Journalist Mithat Sözmen, der sich in seinen Artikeln immer wieder mit den Verstrickungen von Fußball und Politik beschäftigt. Doch das Potenzial von Millionen Fans kann für die Mächtigen im Land auch in Gefahr umschlagen: Als "Istanbul United" zogen Zehntausende Anhänger der großen Klubs während der Gezi-Proteste zum Taksim-Platz, forderten den Rücktritt der Regierung.
    "Istanbul United": Zehntausende forderten Rücktritt der Regierung
    "Sie waren die am besten organisierten Gruppen damals, weil sie Erfahrung hatten. Und sie hatten vor allem die Macht, echte Massen zu mobilisieren –viel mehr vielleicht als politische Gruppierungen. Der Regierung macht das Angst, deswegen wollen sie ihre Macht brechen."
    Helfen sollen dabei seit Gezi vor allem immer striktere Stadiongesetze. Wer ein Ticket für die türkische Süperlig kauft, muss bestätigen, dass er sich nicht an "gesellschaftlichen, politischen und ideologischen Aktionen" beteiligt. Spezielle Stadionkameras überwachen die Einhaltung. Wer sich im Stadion dennoch zu politischen Slogans hinreißen lässt, dem drohen 3-12 Monate Haft…
    Polizeiwachen im Stadion
    "Seit Neuestem gibt es sogar Polizeiwachen direkt im Stadion. Neun Fans wurden nach dem letzten Fenerbahce-Spiel dabehalten… Die Regierung versucht alles, um die Opposition zu unterdrücken, die im Stadion heranwächst."
    Vergeblich. In der 34. Spielminute wird es jedes Mal wieder laut in Istanbuler Stadien. Die 34 kennzeichnet die Istanbuler Nummernschilder. Seit den Gezi-Protesten setzen in dieser Minute die Sprechchöre mit den bekannten Slogans ein. Fernsehsender, die die Spiele übertragen, sind angehalten, umgehend die Lautstärke der Stadionatmosphäre herunter zu pegeln.
    Die 34. Spielminute
    Erdogan wolle die absolute Kontrolle, glauben die empörten Fenerbahce-Fans, die in diesen Tagen gegen die Verurteilung ihres Präsidenten Aziz Yildirim demonstrieren. Seinen Platz solle ein Kandidat einnehmen, der der Regierung die Treue hält – das vermuten auch kritische Journalisten seit Langem.
    "Sie wollen Fenerbahce erobern, weil es die letzte Burg ist, die sie noch nicht eingenommen haben. So, wie sie bereits die Zeitungen und das Fernsehen unter Kontrolle gebracht haben, so ist jetzt der Fußball dran."