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Türkei-Reise
Viele Streitfragen für Merkel bei Erdogan

Bundeskanzlerin Angela Merkel trifft sich zur Stunde in Ankara mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan - es dürfte ein schwieriger Termin werden. Denn mit der Türkei sind zahlreiche Streitfragen offen, und die Opposition fordert von Merkel klare Worte gegenüber Erdogan.

02.02.2017
    Angela Merkel und Recep Tayyip Erdogan am 23. May in Istanbul
    Angela Merkel und Recep Tayyip Erdogan am 23. May in Istanbul (AFP / Ozan Kose)
    Merkel sollte bei ihrem Türkei-Besuch aus Sicht von SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz dringend Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit und Pressefreiheit anprangern. "Deutschland muss dem Nato-Partner klar sagen: Wir beharren auf Rechtsstaatlichkeit in der Türkei, auf faire Verfahren, Pressefreiheit und die Wahrung der Grundrechte", sagte Schulz den Zeitungen der Funke Mediengruppe.
    Merkel reist an diesem Donnerstag zum ersten Mal nach dem Putschversuch in der Türkei im Sommer zu politischen Gesprächen nach Ankara. Sie trifft sich mit Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan und Ministerpräsident Binali Yildirim. Schulz sagte, die Türkei sei zwar das Land, das die meisten Flüchtlinge aufnehme. "Aber das kann keine Rechtfertigung für die bedenklichen rechtsstaatlichen Entwicklungen sein."
    Viel Stoff für Diskussionen

    Es gibt zahlreiche Streitfragen zwischen der Bundesregierung und der Türkei, die in der Nato ein militärischer Bündnispartner ist:
    • Der Umgang mit dem Putsch: Die Türkei wirft Deutschland mangelnde Solidarität nach dem Putschversuch vom 15. Juli vor, bei dem mehr als 240 Menschen getötet wurden. Die Bundesregierung hatte sich zwar noch in der Putschnacht klar hinter Erdogan und die demokratisch gewählte Regierung gestellt. Ankara beklagt aber, dass anschließend kein hochrangiger Vertreter Deutschlands in die Türkei kam, um seine Unterstützung auszudrücken. Für Streit sorgten zuletzt auch die Asylanträge von rund 40 türkischen Offizieren in Deutschland, die Ankara nach dem Umsturzversuch zurückbeordert hatte.
    • Das Vorgehen gegen die Opposition: Anhänger der Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen, die für den Putschversuch verantwortlich gemacht wird, wurden genauso inhaftiert wie Politiker der kurdischen Partei HDP oder regierungskritische Journalisten. Zehntausende sitzen in Haft. Amnesty International in Istanbul berichtete jüngst, inzwischen seien beinahe 400 Nichtregierungsorganisationen dauerhaft geschlossen worden. Fast ein Drittel der weltweit inhaftierten Journalisten befände sich nun in der Türkei in Haft. Die Türkei fordert aber andersherum ein stärkeres Vorgehen Deutschlands gegen die Gülen-Bewegung und die kurdische Arbeiterpartei PKK.
    • Das Präsidialsystem: Der angestrebte Übergang zu einem Präsidialsystem mit stark ausgeweiteten Vollmachten für Präsident Erdogan ist umstritten. Es besteht die Befürchtung, dass mit der Verfassungsänderung, über die im April in einem Referendum abgestimmt wird, die Gewaltenteilung untergraben, der Rechtsstaat ausgehöhlt und einer autoritären Ein-Mann-Herrschaft der Weg bereitet wird.
    • Der Flüchtlingspakt: Die Bundesregierung ist in der Flüchtlingspolitik zumindest teilweise auf Ankara angewiesen. Auf Initiative Merkels hatte die EU im März 2016 mit der Türkei ein Abkommen geschlossen, das die Rücknahme aller Flüchtlinge vorsieht, die von der türkischen Küste auf die griechischen Ägäis-Inseln gelangen. Seitdem ging dort die Zahl der Neuankömmlinge stark zurück. Die Türkei baut nun immer wieder Druck auf, indem sie mit einem Ende des Paktes droht.
    • Die Visa-Freiheit für türkische Staatsbürger in der EU: Die Türkei beklagt dabei, dass Europa seine Versprechen nicht eingehalten habe. So habe die EU weniger Geld zur Versorgung der 2,7 Millionen syrischen Flüchtlinge in der Türkei gezahlt als vereinbart - Brüssel bestreitet dies. Ankara kritisiert zudem, dass es keine Fortschritte bei der Gewährung von Visa-Freiheit für Türken gibt. Die EU fordert dafür aber eine Änderung der türkischen Anti-Terror-Gesetzgebung, was Ankara ablehnt.
    Opposition erwartet klare Worte
    Mit Blick auf das geplante Präsidialsystem sagte Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth (Grüne), dass das türkische Parlament dabei sei, sich selbst und die Demokratie abzuschaffen. "Es hat grünes Licht gegeben für ein Referendum in diesem Frühjahr, mit dem Erdogan die Türkei zu einer Diktatur umbauen will. Das wäre das Ende der parlamentarischen Demokratie und des Rechtsstaates in der Türkei", sagte sie der "Passauer Neuen Presse". Merkel müsse bei diesem Besuch auch Oppositionelle treffen. Bei ihren letzten Reisen habe sie nur Erdogan und Regierungsvertreter getroffen.
    Die Chefin der Linksfraktion im Bundestag, Sahra Wagenknecht, warf Merkel vor, mit ihrem Besuch den "islamistischen Autokraten Erdogan" zu hofieren, von dem "allgemein bekannt sei", dass er Islamisten und Terrormilizen weltweit unterstütze und finanziere, sagte sie der "Rheinischen Post". Die Linken-Abgeordnete Sevim Dagdelen forderte von Merkel einen Einsatz für die politschen Gefangenen in der Türkei. "14 Oppositionsabgeordnete sind seit Monaten im Knast, 2.000 kurdische Politiker sind im Gefängnis", sagte sie im Deutschlandfunk. FDP-Chef Christian Lindner warnte, der Flüchtlingsdeal mit der Türkei dürfe nicht zu einem Rabatt bei rechtsstaatlichen Fragen führen.
    Auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) äußerte sich besorgt. "Die Entwicklung der demokratischen Verhältnisse, der Umgang mit der Justiz gibt Anlass zur Sorge", sagte der CDU-Politiker der "Passauer Neuen Presse". Norbert Röttgen (CDU) nannte Merkels Reise richtig. "Wir wollen Einfluss nehmen, und wie soll man das eigentlich anders machen als durch Gespräche. Darum ist es absolut richtig und geboten, dass die Bundeskanzlerin in die Türkei reist", sagte er im Deutschlandfunk.
    Neunte Türkei-Reise für Merkel
    Für Merkel ist es im zwölften Jahr ihrer Kanzlerschaft die neunte Reise in die Türkei. Zuletzt war sie im Mai 2016 in Istanbul beim UN-Nothilfegipfel, wo sie sich auch mit Erdogan getroffen hatte und unter anderem über den Flüchtlingspakt sprach.
    (nch/nin)