Donnerstag, 18. April 2024

Archiv

Türkei
"Steinmeier steht mit leeren Händen da"

Der CSU-Außenpolitiker Hans-Peter Uhl schließt eine EU-Mitgliedschaft der Türkei aus. Die SPD müsse sich von dieser Lebenslüge verabschieden. Im DLF kritisierte Uhl auch Außenminister Steinmeier, der "mit leeren Händen" dastehe und dessen letzter Türkeibesuch an Peinlichkeit nicht zu überbieten gewesen sei.

Sarah Zerback im Gespräch mit Hans-Peter Uhl (CSU) | 30.11.2016
    Hans-Peter Uhl, früherer Vorsitzender der Arbeitsgruppe Innenpolitik der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
    Uhl: "Türkei wird nie Vollmitglied der EU werden." (picture alliance/dpa/Bernd von Jutrczenka)
    Der CSU-Politiker Hans-Peter Uhl sagte im Deutschlandfunk, "weder heute noch morgen, weder mit noch ohne Erdogan" werde die Türkei Vollmitglied der EU. Sowohl CSU als CDU strebten eine privilegierte Partnerschaft an. Bundeskanzlerin Merkel habe mit ihren Äußerungen, dass bei den Beitrittsverhandlungen keine weiteren Kapitel eröffnet würden, lediglich Rücksicht auf den Koalitionspartner SPD genommen. Es sei aber an der Zeit, dass dieser sich von einer Lebenslüge verabschiede.
    Mit Blick auf die angespannten Beziehungen zu Ankara schlug Uhl vor, wirtschaftspolitische Maßnahmen zu erwägen. Er meine jetzt kein Embargo für türkische Waren, betonte der CSU-Politiker. Aber man könne die Einfuhr durchaus regeln. Das Leistungsbilanzdefizit der Türkei sei hoch, Präsident Erdogan auf ausländisches Kapital angewiesen.

    Das Interview in voller Länge:
    Sarah Zerback: Mahnen und Warnen - seit Monaten, seit dem versuchten Putsch in der Türkei, auf den die Regierung Erdogan mit zunehmend harter Hand reagiert, seitdem hebt die Bundesregierung den Zeigefinger Richtung Ankara, zeichnet rote Linien. Konsequenzen gezogen wurden aber bislang nicht. Den Gesprächsfaden nicht abreißen lassen, auch nicht was einen möglichen EU-Beitritt betrifft, das war die bisherige Linie. Und die verlässt die Bundesregierung jetzt offenbar. Die Kanzlerin ist dafür, die Verhandlungen mit der Türkei auf Eis zu legen - das hat sie bei einer Sitzung der CDU-Fraktion gesagt -, wortwörtlich: keine weiteren Kapitel mit der Türkei zu eröffnen. Darüber möchte ich sprechen mit Hans-Peter Uhl, CSU-Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages. Guten Tag, Herr Uhl!
    "Wir sollten zur Realität zurückkehren"
    Hans-Peter Uhl: Grüß Sie Gott, Frau Zerback.
    Zerback: Herr Uhl, wissen Sie genau, was die Kanzlerin meint?
    Uhl: Ja. Die Kanzlerin ist natürlich in einer schwierigen Lage. Sie sprach ja als Kanzlerin einer Großen Koalition und muss die SPD sozusagen mit vertreten. Sie sprach nicht als Parteivorsitzende der CDU, die ja zusammen mit uns von der CSU immer gesagt haben, die Türkei kann gar nicht, weder heute, noch morgen, weder mit, noch ohne Erdogan, Vollmitglied der Europäischen Union werden. Sondern wir haben in Kenntnis der Notwendigkeit der Zusammenarbeit mit dem türkischen Volk, der türkischen Gesellschaft die privilegierte Partnerschaft - das ist weniger als die Vollmitgliedschaft - immer angeboten. Das heißt, diese Lebenslüge sollte nun endlich bereinigt werden. Wir sollten zur Realität zurückkehren. Das ist die Aufgabe, vor der wir jetzt stehen.
    Zerback: Und ist das denn eine Rolle rückwärts?
    Uhl: Nein. Wie gesagt, die SPD hält sich nach wie vor strikt an diese Lebenslüge und sagt, wir müssen die Türkei aufnehmen.
    Zerback: Nur die SPD? Die Kanzlerin ja scheinbar dann auch.
    Uhl: Lediglich Erdogan stört hier und dieses hat die Kanzlerin in gewisser Weise versucht, mit zu vertreten, indem sie sagt, wir wollen jetzt kein neues Kapitel eröffnen. Kapitel eröffnet man nur dann, wenn man am Ende dieser vielen Kapitel die Vollmitgliedschaft hat, und genau die wollen wir nicht.
    Zerback: Aber verstehe ich Sie jetzt richtig, Herr Uhl? Aus Rücksicht auf die SPD hat die Kanzlerin jetzt diese diplomatischen Worte gewählt?
    Uhl: Nur so kann ich das erklären.
    "Die Türkei gehört nicht in die Vollmitgliedschaft der EU"
    Zerback: Und was erwartet uns dann jetzt? Ist damit der EU-Beitritt der Türkei noch nicht vom Tisch?
    Uhl: Der ist natürlich vom Tisch, materiell, aber formell nicht. Auch das EU-Parlament hat ja hier einen Beschluss gefasst, wonach man diese Beitrittsverhandlungen zwar aussetzen will, aber erst dann, wenn sie die Todesstrafe einführt, die Türkei. Dann werden sie formell ausgesetzt. Das ist ja auch ein Herumgeeiere um die Frage, gehört die Türkei in die EU ja oder nein. Wir sagen nein und da gibt es immer noch Kräfte, die sagen, ja, nur ohne Erdogan.
    Zerback: Aber wenn sich die Kanzlerin jetzt äußert, um noch mal auf die gestrige Äußerung der Kanzlerin zurückzukommen, dann hören ja alle genau hin. Wenn das nun Status quo war, warum hat sie sich denn in dieser Form dann zu Wort gemeldet?
    Uhl: Weil sie danach gefragt wurde, auch von einem Mitglied der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
    Zerback: Was wäre jetzt quasi die Alternative gewesen? Sie sagt jetzt, es gibt eine Anleitung für die Wahlkreise - auch das lesen wir -, diesen Kurs gegenüber der Türkei zu vertreten. Das ist aber neu, oder?
    Uhl: Na ja, Anweisungen gibt es bei uns ohnehin nicht. Wir sind frei gewählte Abgeordnete. Und Sie sehen es ja an meiner Meinung, dass ich mich an Weisungen nicht halte. Ich sage nach wie vor, wie ich dies seit Jahren tue, und so tut es die ganze CSU, die Türkei gehört nicht in die Vollmitgliedschaft der EU, egal ob mit oder ohne Erdogan.
    Zerback: Sie sagen das jetzt so frei, Herr Uhl. Aber müsste genau dieses deutliche Signal jetzt nicht kommen?
    Uhl: Das müsste kommen, kann natürlich nicht von der Bundesregierung kommen, weil die Bundesregierung besteht zum Teil auch aus der SPD, die nach wie vor an der Lebenslüge festhalten wollen.
    "Erdogan ist ein Amokläufer, der nicht zu bremsen sein wird"
    Zerback: Aber Sie gemeinsam stellen die Große Koalition und können gemeinsam doch versuchen, Druck auch auf die EU auszuüben.
    Uhl: Nein. Wir haben ja auch ein weiteres materielles wirkliches Problem. Wir müssen doch einen vernünftigen Weg finden im Umgang mit dem türkischen Volk, der türkischen Gesellschaft, der Türkei. Allerdings mit Erdogan wird das nicht gelingen. Er ist auf einem selbstzerstörerischen Amoklauf zum Schaden seines eigenen Landes. Er hat 150.000 Menschen entlassen, die Spitzenelite der Administration. Das Land ist zurzeit gar nicht handlungsfähig, weder die Ministerien, schon gleich gar nicht das Militär, weder die Justiz, noch die Medien. Das ist ein Amokläufer, der nicht zu bremsen sein wird. Das heißt, unsere Aufgabe wird eher sein, die Gesprächsfäden aufrecht zu erhalten für die Zeit nach Erdogan. Mit Erdogan wird es nichts geben.
    Zerback: Wird es denn mit Frank-Walter Steinmeier gehen, oder versagt der deutsche Außenminister an dieser Stelle?
    Uhl: Also bitte! Der steht doch mit leeren Händen da. Das wurde nur noch nicht so schonungslos dargestellt. Was hat er denn in Händen? Der letzte Besuch war ja an Demütigung und an Peinlichkeit schwer zu überbieten.
    Zerback: Welchen Hebel sehen Sie denn noch?
    Uhl: Er droht jetzt der Europäischen Union, indem er mit einer Flüchtlingswelle droht. Das heißt nichts anderes, er insinuiert, Chef der Menschenhändler durch Grenzöffnung werden zu wollen. Das möge er tun! Dann stellt er sich weltweit ins Unrecht. Auf der anderen Seite kann er gar nicht drohen, weil die Flüchtlinge gar nicht kommen wollen, weil sie wissen, ab Griechenland ist die Balkan-Route zu. Es hat gar keinen Sinn, aus der Türkei nach Griechenland überzusetzen, weil sie dann dort nicht weiterkommen. Das heißt, diese Drohung darf man nicht ernst nehmen. Es ist eine wirre Idee. Auf der anderen Seite muss man ganz klar sehen, wie abhängig die Türkei, auch Erdogan ist, wenn man die Leistungsbilanz-Defizite der türkischen Wirtschaft sich vor Augen führt. Wenn man die ungeheure Summe von 190 Milliarden Dollar sieht an ausländischem Kapital, das er dringend braucht, wenn dieses auch nur ansatzweise abgezogen wird, hat er massive Probleme und wird dann möglicherweise eines Tages rascher abgewählt werden, als man sich das zurzeit vorstellen kann.
    "Erdogan ist in einer sehr schwachen Position"
    Zerback: Die privilegierte Partnerschaft, die haben Sie ja zu Beginn unseres Gespräches angesprochen. Das bedeutet ja auch gute wirtschaftliche Beziehungen.
    Uhl: Ja!
    Zerback: Das jetzt zu beenden, das, glauben Sie, ist ein mögliches Druckmittel, das wirken könnte?
    Uhl: Ein Druckmittel, um Erdogan seine wahre Lage vorzuführen, das heißt kein Embargo für türkische Waren. Aber man kann die Ausfuhr türkischer Waren beziehungsweise die Einfuhr nach Europa durchaus regeln, und dann wird er ganz rasch sehen, wie schnell er mit seinem Latein am Ende ist. Er ist in einer sehr schwachen Position.
    Zerback: Und was könnte das dann für Folgen haben?
    Uhl: Dass die Bevölkerung sieht, dass sie einen Herrscher hat, der zu einer Art Sultan eines Osmanischen Reiches werden will. Der gar nicht in die Europäische Union rein will in Wahrheit, weil er genau weiß, beim Rat der europäischen Regierungschefs wird niemals ein Thron für einen Sultan Erdogan aufgebaut werden können. Das weiß der doch ganz genau.
    Zerback: Aber das glauben Sie wirklich, das könnte der türkischen Zivilbevölkerung die Augen öffnen? Die stehen ja weiterhin mit großer Mehrheit hinter ihrem Präsidenten.
    Uhl: Ja. Es ist zu befürchten, dass er durch die Notstandsgesetzgebung, die ja noch verlängert wird über den Januar hinaus, dann über das Parlament eine Mehrheit findet, die eine Art Präsidialsystem einrichtet. Das heißt, er ist dann weiter erfolgreich auf dem Weg zum Sultan. Es ist weiter zu befürchten, dass das Referendum, das er plant im Mai, vielleicht ihm auch noch mal eine gewisse Mehrheit verschafft. Aber danach wird es bergab gehen.
    Zerback: Sagt Hans-Peter Uhl. Er ist Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages. Herr Uhl, ich bedanke mich recht herzlich für das Gespräch heute.
    Uhl: Bitte schön.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.