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Solidaritätsinitiative
Türkische Medien umgehen die Zensur im Kurdenkrieg

In den türkischen Kurdengebieten tobt ein Krieg zwischen Regierungstruppen und bewaffneten Anhängern der PKK. Wo Krieg herrscht, stirbt auch die Wahrheit. Jetzt haben Vertreter kritischer türkischer Medien - als Antwort auf viele Erdogan-treue Medien - eine Solidaritätsinitiative für bedrängte Medien in den Kurdengebieten gestartet.

Von Martin Gerner | 13.02.2016
    Solidarität mit den kurdischen Medien. Mit dieser Idee hat sich vor wenigen Tagen eine Gruppe türkischer Journalisten von Istanbul auf den Weg nach Diyarbakir gemacht, der inoffiziellen Hauptstadt türkisch Kurdistans. Deren historische Altstadt Sur ist bis zuletzt Ziel schwerer Gefechte und monatelanger Ausgangssperren. Immer mehr Zivilisten fliehen aus der Altstadt.
    "Die Regierung versucht, den Eindruck zu vermitteln, dass sie Sur ganz kontrolliert. Sie bedient sich dafür wohlmeinender Medien. Diese Medien fährt man in gepanzerten Fahrzeugen herum. Deshalb haben wir unsere Initiative gestartet: Wir wissen genau, wie sie arbeiten, und dass die staatstreuen Medien und Fernsehsender nicht die Wahrheit berichten."
    Tunca Ogreten ist einer der Initiatoren von "Haber Nobeti" oder "News Watch". Angekündigt hat die Gruppe die Reise in das Konfliktgebiet nur über die sozialen Netzwerke. Man wollte türkischen Behörden keinen Anlass geben, die Gruppe schon am Flughafen von Diyarbakir abzufangen.
    "Wir wollen die Stimmen aus Kurdistan zu Gehör bringen. Der Westen der Türkei soll wissen, wie es in Diyarbakir wirklich aussieht. Es herrscht eine schwierige Situation dort für Journalisten. Es gibt Festnahmen und Haftstrafen. Eine enorme Last liegt auf den Schultern vor allem der lokalen Reporter in Kurdistan", so Ogreten.
    Tatsächlich ist es unmöglich geworden, objektive Opferzahlen der einen wie der anderen Seite zu bekommen. Politiker der pro-kurdischen HDP-Partei traten in den Hungerstreik. Sie fordern bis zuletzt Hilfe für eingeschlossene, verblutende Opfer in Kellern von Cizre und andernorts. Bis in die Keller von Cizre kommt die Journalistengruppe nicht. Interviews mit dem Gouverneur und staatlichen Behörden – Fehlanzeige. Nicht möglich oder nicht erwünscht, heißt es.
    Noch arbeitet in Diyarbakir, in einem der vielen Hochhäuser, die kurdische Nachrichten-Agentur DIHA. Ein leitender Redakteur:
    "Wenn wir das Büro verlasen stehen unten am Eingang Menschen und beleidigen uns, schüchtern uns ein. Polizei und Spezialkräfte sind das. Sie schicken gepanzerte Fahrzeuge vor die Tür, um soviel Druck wie möglich auf uns zu machen."
    Zur Zeit lässt sich bei DIHA ein Nachrichtenangebot im Netz aufrufen, auch auf Englisch. Darauf sieht man eine Gruppe junger Frauen und Mädchen, PKK-Anhängerinnen, mit Jeans, vermummtem Gesicht und geschulterten Waffen, die den Sarg einer Kämpferin zu Grabe tragen. Nicht nur der türkische Staat hat massiv aufgerüstet, auch PKK-Jugendorganisationen, wie der Besuch der Journalistengruppe ergeben hat. Daneben sind es Erfahrungen von Ohnmacht, die die Gruppe macht:
    "Eine Kollegin war an einem Checkpoint mit ihrer Kamera. Ein Polizist forderte sie auf: keine Fotos hier. Sie insistierte: Ich bin von der Presse. Ich habe das Recht, ein Bild von ihnen und der Lage zu machen. Der Polizist meinte: Ihre Kamera ist viel gefährlicher als mein Gewehr. Sie kommen hier nur ohne Kamera durch."