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Türken sind Bestandteil des deutschen Wirtschaftswunders

Aydan Özoguz würdigt den Beitrag der türkischen Gastarbeiter zur Konjunkturentwicklung in Deutschland. Sie hätten schwere Arbeiten gemacht, für die keine Deutschen zur Verfügung gestanden hätten. Ihnen dafür zu danken, sei doch selbstverständlich.

Aydan Özoguz im Gespräch mit Peter Kapern | 02.11.2011
    Peter Kapern: Alles süper heute in Berlin. Kanzlerin Angela Merkel und der türkische Regierungschef Erdogan werden dort am Vormittag den 50. Geburtstag des deutsch-türkischen Anwerbeabkommens mit einem Festakt feiern.
    Am Telefon bei uns ist nun Aydan Özoguz, die Integrationsbeauftragte der Bundestagsfraktion der SPD. Guten Tag!

    Aydan Özoguz: Ja schönen guten Morgen, Herr Kapern.

    Kapern: Frau Özoguz, wie wichtig ist der heutige Tag für das deutsch-türkische Verhältnis?

    Özoguz: Es ist ein Gedenktag, ich finde das auch richtig. Da hat ja vieles seinen Lauf genommen. Es hat sich aber auch in den letzten Jahrzehnten einiges andere entwickelt. Man sollte, glaube ich, nicht alles, was sich in Deutschland tut, immer nur über den türkischen Premierminister definieren. Aber es ist wichtig zu gedenken, was vor 50 Jahren hier geschehen ist, welche Leistungen ja auch waren, aber natürlich auch, was sich an problematischen Dingen in unserer Gesellschaft entwickelt hat, keine Frage.

    Kapern: Aber Frau Özoguz, es ist am heutigen Morgen relativ schwierig, am türkischen Premierminister vorbeizukommen, der ist ja mit Pauken und Trompeten in Berlin angereist. In einem Zeitungsinterview mit der "Bildzeitung" hat er heftige Kritik an Deutschland geübt. Beispielsweise hat er gesagt, die Türkei fühle sich von Deutschland in Sachen EU-Beitritt im Stich gelassen. Hat er recht?

    Özoguz: Also Herr Kapern, erstens ist das ja nichts Neues, dass er mit Pauken und Trompeten auftritt. Ich glaube, das kennen wir alle inzwischen auch, das darf uns nicht so wahnsinnig verwundern. Zu einem solchen Jahrestag gehört das dann möglicherweise zumindest in seiner Art auch dazu. Wenn er jetzt aus türkischem Interesse heraus gewisse Dinge formuliert, finde ich das völlig legitim. Das würde ich aber nicht immer automatisch mit dem vermischen, was sich hier bei uns in Deutschland tut, und ich würde auch uns, also uns Politikern in Deutschland, raten, nicht immer davon abhängig zu sein, was gerade aus der Türkei für Töne kommen. Wir müssen unsere Dinge hier selbst lösen.

    Kapern: Vielen Dank. Aber vielleicht darf ich noch mal an meine Frage erinnern. Hat Erdogan recht mit seiner Kritik?

    Özoguz: Alsodass Deutschland nicht immer die Türkei in dem Maße unterstützt hat, EU-Mitglied zu werden, ist ja nicht ganz falsch. Da hat er aus seiner Sicht völlig recht. Wir haben da teilweise ja auch eine ganz andere Politik hier gefahren. Die SPD hat sich nun immer dafür ausgesprochen, dass die Türkei Mitglied der EU wird. Also von daher ist da auch nichts Neues und nicht Verwunderliches für mich. Aber ich finde es eben schade, wenn man diesen Tag der Anwerbung, der Gastarbeiter vor 50 Jahren, immer mit der aktuellen Deutschland-Türkei- oder Türkei-Europa-Politik vollkommen vermengt. Es wäre schade, wenn man die Chance verpasst, wirklich auf die Menschen zu schauen, die mal hier hergekommen sind, und darauf, was sich daraus entwickelt hat.

    Kapern: Erdogan hat auch kritisiert, dass Deutschland Deutschkenntnisse zur Voraussetzung beim Nachzug macht. Er sagt, das verletze die Menschenrechte. Wie bewerten Sie das?

    Özoguz: Also dass man in Deutschland Deutsch können muss, ist überhaupt gar keine Frage. Er geht vermutlich eher darauf ein, dass es darum geht, bereits vor der Einreise Deutschkurse zu besuchen und dass das eben die Türken im Besonderen betrifft. Viele andere Länder sind ja davon ausgenommen, von dieser Regel. Das haben wir auch kritisiert. Wir haben kritisiert, dass da bestimmte Länder nur in den Fokus genommen werden und bestimmte Länder nicht. Es gibt durchaus ja auch die Stimmen aus den Goethe-Instituten bei uns in den Anhörungen im Bundestag, die gesagt haben, das ist, na ja, so mittelmäßig wirklich erfolgreich, dass die Leute Monate vorher ihre Deutschkurse machen, dann lange Zeit nicht mehr, dann nach Deutschland kommen, da haben sie vieles schon vergessen. Also wir müssen über Effektivität nachdenken und da sollte aber nicht Erdogan unsere Stimme sein, sondern da sollten wir hier selber wirklich über den bestmöglichen Nutzen von Deutschkursen, und wie wir hier auch alle zu guten Sprachkenntnissen kommen, das sollten wir hier selber überlegen und lösen.

    Kapern: Frau Özoguz, Sie haben im Bundestag in der vergangenen Woche den türkischen Einwanderern der ersten Stunde für ihren Beitrag zum deutschen Wirtschaftswunder gedankt, und auf Ihrer Homepage hat sich daraufhin ein User zu Wort gemeldet, der Ihnen deshalb Geschichtsverfälschung vorgeworfen hat. Sind so etwas nur noch Einzelstimmen in Deutschland?

    Özoguz: Nein, es gibt da ja in diesen Tagen ganz viele Stimmen, die nun darüber diskutieren, ob die Gastarbeiter überhaupt zum Wirtschaftswunder beigetragen hätten oder nicht. Das verwundert mich tatsächlich. Also dass die Gastarbeiter nicht alleine das Wirtschaftswunder vollbracht haben, ich glaube, das bezweifelt niemand, aber dass sie damit gar nichts zu tun hatten, dass man heute plötzlich zu so einer Meinung gelangt, kann ich ehrlich gesagt auch nicht nachvollziehen. Sie waren ganz sicher ein Bestandteil dieses Wirtschaftswunders. Man hätte sie doch damals kaum geholt, wenn man sie nicht eben gebraucht hätte für all die Arbeitsplätze, und das ist ja nicht nur in den Bergwerken und hauptsächlich in der Automobilindustrie, aber auch an vielen anderen Orten. Sie haben schwere Arbeit gemacht und in einigen Biografien, die man ja auch dann zusammengeschrieben hat, sieht man ja auch, dass sie wirklich schwere Arbeiten gemacht haben, für die damals keine Deutschen zur Verfügung standen. Dass man ihnen dafür einmal dankt und dass man das auch würdigt, finde ich eigentlich eine Selbstverständlichkeit.

    Kapern: Nun will die SPD im Bundestag einen neuen Vorstoß starten zur Ermöglichung der doppelten Staatsangehörigkeit. Ist das wirklich ein so drängendes Problem, dass das angegangen werden muss?

    Özoguz: Es ist jetzt sehr dringend, weil ja nun dieser Kompromiss, wo wir damals der CDU sozusagen entgegenkommen mussten, nämlich dieser Optionszwang, der beginnt ja jetzt. Also es sind ja bald so an die 50.000, 40.000 bis 50.000 junge Menschen, die davon betroffen sind. Und das bedeutet, sie haben von Geburt an die deutsche und ihre Herkunftsstaatsangehörigkeit zwar erhalten, sollen jetzt aber mit der Volljährigkeit sich für eine entscheiden.

    Kapern: Warum auch nicht!

    Özoguz: Na ja, ich frage mich, warum eigentlich. Welchen Vorteil hat denn Deutschland davon? Was tatsächlich macht es daran besser? Ich denke, es geht einfach an der Lebenswirklichkeit vieler Menschen völlig vorbei. Und ich meine, in vielen anderen europäischen Ländern ist das gang und gäbe, natürlich auch in ganz anderen Ländern. Es schadet diesen Ländern nun überhaupt nicht, wie wir sehen. Und ganz im Gegenteil: Es hat eben einfach auch einen ganz wichtigen Faktor für diese Leute, dass sie sagen, ich habe türkische oder andere Eltern - die meisten Doppelstaatler bei uns sind ja zum Beispiel polnische Staatsangehörige -, ich habe die Eltern, die eben noch eine andere Staatsangehörigkeit haben, die kann ich eben auch haben, ich bin auch in dem Land noch ein Stück zu Hause, und deswegen möchte ich gerne diese zwei Pässe haben. Ich stelle mir die Situation vor, dass sich ganz viele jetzt gegen die deutsche Staatsangehörigkeit entscheiden. Das heißt, wir machen Menschen mit der Volljährigkeit, die deutsch sozialisiert sind, zu Ausländern. Das hat was Absurdes.

    Kapern: Aydan Özoguz war das, die Integrationsbeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion, heute Früh bei uns in der Sendung. Frau Özoguz, vielen Dank für das Gespräch. Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag!

    Özoguz: Ich danke Ihnen auch.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.