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Türkisch-syrische Grenze
Handel mit dem Islamischen Staat

Für den Westen ist die Türkei ein Schlüsselakteur im Kampf gegen die Terrormiliz "Islamischer Staat". Kritiker meinen jedoch, Staatspräsident Erdogan setze zwar innenpolitisch auf Härte, lasse aber in der Außenpolitik die Zügel schleifen. Der IS könnte über die türkisch-syrische Grenze versorgt werden.

Von Gunnar Köhne | 15.12.2014
    Wenn sich mal einer seiner LKW auf dem Hof bewegt, kommt bei Mustafa Tohumcu wieder ein klein wenig Hoffnung auf. Der Fuhrunternehmer steht auf dem von schlammigen Pfützen übersäten Platz und schaut einem Sattelschlepper beim Rangieren zu. Einst machte Tohumcu gute Geschäfte mit dem nahe gelegenen syrischen Nachbarn. Seit Ausbruch des Bürgerkriegs dort aber ist das Geschäft eingebrochen. Nach Syrien Waren zu transportieren gleiche heute einem Albtraum, sagt der Unternehmer:
    "Unsere LKW warten im Schnitt zwölf Tage vor dem Grenzübergang. Dann werden sie nur bis zu einem Umschlagplatz vorgelassen, wo die Waren auf einen syrischen LKW umgeladen werden. Wohin sie gehen, wissen wir nicht. Wir werden an der Grenze bar bezahlt, und das war's dann."
    Eine kilometerlange LKW-Schlange weist den Weg nach Öncüpinar, einen der letzten noch offenen türkisch-syrischen Grenzübergänge. Die gegenüberliegende Seite wird offiziell von der islamischen Front kontrolliert, einem Gegner des Islamischen Staates. In Ankara heißt es offiziell: Mit den IS-Terroristen gibt es keinen Handel. Doch in Öcüpinar ergibt sich ein anderes Bild:
    Etliche PKW mit syrischem Kennzeichen
    Auf einem Parkplatz vor dem Grenzübergang stehen etliche PKW mit syrischen Kennzeichen; die Rückbänke sind ausgebaut worden. Drei Männer wuchten dicke Rollen mit Stoffbahnen in einen der Wagen. Wohin diese in Syrien geliefert werden sollen, wollen sie nicht beantworten. Ihre Auftraggeber könnten wütend werden, sagen sie.
    Doch ein paar Meter weiter steht auf Säcken der Name des Empfängers der Ware groß angeschrieben, in arabischer und in lateinischer Schrift: ein gewisser Ahmad in Rakka, der Hauptstadt des IS-Gebiets.
    Dass die meisten Ladungen hier in vom IS kontrollierte Gebiete gehen, gibt auch ein syrischer LKW-Fahrer zu: Sie brächten Zement nach Rakka. Bestellt und abgeholt werde der dann von Mittelsmännern. Die wirklichen Auftraggeber bekomme er nie zu Gesicht.
    Die türkische Regierung sagt, sie ließe nur humanitäre Güter über die Grenze. Wohin der Zement und der Stahl gingen, könnten sie nicht kontrollieren. Und auch die vom Westen unterstützte syrische Opposition lässt die Waren durch – vermutlich gegen Bestechungsgeld. Das türkische Regierungsamt für Statistik gibt an, dass allein in den ersten neun Monaten des Jahres Waren im Wert von rund einer Milliarde Euro nach Syrien geliefert worden seien. Damit wäre der türkisch-syrische Handel wieder so umfangreich wie vor dem Bürgerkrieg. Und das, obwohl etliche Grenzübergänge geschlossen sind und die Waren tagelang herumliegen, bevor sie ausgeführt werden dürfen. Gegenüber einer Nachrichtenagentur gab ein türkischer Spediteur an, jeden Tag bis zu fünf LKW-Ladungen eines österreichischen Energydrinks nach Syrien zu bringen.
    Folgen des Bürgerkriegs in Grenzorten spürbar
    Dennoch klagen Grenzorte wie die Stadt Kilis über die Folgen des Bürgerkriegs. Zement, Stahl und Textilien für Syrien würden meistens aus der Westtürkei herangeschafft. Regionale Waren dagegen seien nicht gefragt, beklagt Mehmet Öndes von der örtlichen Handelskammer. Sie würden gerne wieder mehr liefern – auch in die IS-Gebiete:
    "Dort leben ja schließlich auch Menschen, die Dinge des täglichen Bedarfs brauchen. Und die müssen doch irgendwoher kommen."