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Türkische Hochschulen
Wissenschaft unter dem Wasserwerfer

Seit den Gezi-Park-Protesten im Jahr 2013 wurde die Polizei-Präsenz in Istanbul massiv verstärkt. Auch vor Universitäten steht immer öfter schweres Gerät – damit soll kritisches Denken eingeschränkt werden, wie manche befürchten. Und auch der staatliche Einfluss und Fragen der Religion spielen eine immer wichtigere Rolle an den Universitäten.

Von Ulrich Ziegler | 14.04.2015
    Blick auf die Marmara-Universität in Istanbul. Im Vordergrund liegt der Hafen mit Containern.
    Blick auf die Marmara-Universität in Istanbul (imago / Westend61)
    Vor der Maramara-Universität - im asiatischen Teil der Stadt - ist der Verkehr völlig zum Erliegen gekommen. Vor dem Haupteingang der Universität steht seit Monaten ein einsatzbereiter Wasserwerfer.
    Wenige Wochen vor der wichtigen Parlamentswahl im Juni – und fast zwei Jahre nach den Gezi-Park-Protesten – ist die Polizeipräsenz unübersehbar. Wer oder was vor wem geschützt werden soll ist eine Frage des Blickwinkels. Professor Acar Sevim, der die germanistische Abteilung an der Marmara Universität leitet, sieht die Sache so:
    ''Es gibt politische Unruhen, wir stehen kurz vor den Wahlen, wir wollen hier unsere Ruhe haben. Damit wir unsere Ruhe haben, muss die Polizei hier stehen, das ist leider so. Jeden Tag passiert etwas in der Türkei. Und ich glaube das ist dann für die Sicherheit der Menschen. Nicht nur für die Studenten, sondern auch für die Lehrkräfte ist es wichtig, dass die Polizei hier steht."
    Wasserwerfer auf dem Campus
    Die Stimmung auf dem Campusgelände ist angespannt. Das spürt auch Elisabeth Otto. Die Erasmus-Studentin aus Halle studiert an der Marmara-Universität, islamische Theologie.
    ''Für mich ist es sehr fremd, diese Polizeipräsenz. Und mir wurde gesagt, dass seit den Gezi-Protesten, seitdem die Polizei sehr erstarkt ist, auch die Präsenz stärker geworden ist - auch vor den Universitäten. Gerade an Universitäten gibt es immer wieder Proteste und Bewegungen. Und dann ist natürlich das Zeichen, dass ein Wasserwerfer gleich einsatzbereit vor dem Universitätscampus steht. Ich finde, das ist ein starkes Zeichen wie willkommen oder nicht willkommen kritisches Denken der Studenten ist, öffentliches kritisches Denken."
    Istanbul, Gezi Park: Proteste gegen die türkische Regierung, Juni 2013
    Istanbul, Gezi Park: Proteste gegen die türkische Regierung, Juni 2013 (picture alliance / abaca)
    Gelegentliche Ausweis- und Taschenkontrollen am Eingang, Polizeipräsenz auf dem Universitätsgelände – Für Elisabeth Otto eine neue Erfahrung.Wenngleich – und das ist ihr wichtig zu sagen: Wenn sie in ihrem Fachbereich angekommen ist, ist davon nichts mehr zu spüren.
    Und ihr ist aufgefallen, dass die Polizeikräfte nur manchmal eingreifen.
    ''Es gibt Proteste, für mich als Außenstehende schwer zu begreifen, die offensichtlich von islamisch orientierten männlichen Gruppen gemacht werden, in denen keine Polizisten zu sehen sind.''
    Großer staatlicher Einfluss
    Der staatliche Einfluss auf die Hochschulen jedenfalls hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Wenn es um die Neubesetzung von wichtigen Stellen an den Hochschulen geht, entscheidet sich der türkische Hochschulrat, kurz YÖK – das zentrale staatliche Kontrollgremium – immer häufiger gegen die Empfehlungen der Hochschulen. Das Gremium, zuständig für Promotionen, Weiterbildungen, Disziplinarfragen und Berufungen stimmt zumeist im Sinne der regierenden AKP-Partei.
    Und Fragen der Religion spielen eine immer größere Rolle. Professorin Feruzan Akdogan, die die Abteilung für Deutsche Sprache an der Universität Marmara leitet, sieht Gesprächsbedarf.
    ''Es sind Konflikte, die ausgetragen werden müssen, Konflikte in Richtung Modernisierung. Konflikte auch bezüglich wie fasse ich Religion auf, wie empfinde ich den Islam.
    Über Themen wie mehr Autonomie an den Hochschulen oder mehr Freiheit für Forschung und Lehre wird wenige Wochen vor der Parlamentswahl kaum diskutiert – zumindest nicht öffentlich.
    „Viele Wissenschaftlerinnen arbeiten selbstbewusst und frei"
    Doch es gibt noch einige Fachbereiche, an denen die Freiheit von Forschung und Lehre stattfindet, erklärt Svenja Schulze, die nordrhein westfälische Wissenschaftsministerin. In der vergangenen Woche hatte sie gemeinsam mit einer Delegation von Wissenschaftlern einige Universitäten in Istanbul besucht.
    ''Wir hatten hier ein Treffen mit den besten Frauen aus der Wissenschaft hier und die erscheinen mir sehr frei, sehr selbstbewusst und sehr offen in dem wie sie ihre Wissenschaft vorantreiben.''
    Mit Ihnen will das Land NRW enger zusammenarbeiten. Immerhin gibt es mehr als 5.000 deutsche Firmen mit Niederlassungen in der Türkei. Und die Nachfrage an Fachkräften, vor allem mit Migrationshintergrund oder Kenntnissen der deutschen Sprache und Kultur ist groß. Findet der Unterricht bei internationalen Studiengängen auf Englisch oder gar auf Deutsch statt, tun sich Studenten aus der Türkei sehr schwer. Trotz dieser Schwierigkeiten wollen die Hochschullehrer aus Bielefeld, Köln, Aachen und anderswo – teilweise selbst mit Migrationshintergrund – die Zusammenarbeit zwischen ihren und den türkischen Universitäten ausbauen und vertiefen. Und sie warten gespannt auf den Ausgang der bevorstehenden Parlamentswahl in der Türkei im Juni. Denn die Frage, ob das Land künftig mehr oder weniger allein von Erdogan oder vom Parlament regiert werden wird, hat auch unmittelbare Auswirkungen auf die Arbeit der Hochschulen.