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Übersetzerin Sezer Duru in Sorge
Sie bringt seit 50 Jahren deutsche Literatur zu türkischen Lesern

Die Übersetzerin Sezer Duru hat viele berühmte deutschsprachige Autoren ins Türkische übertragen. Derzeit beschäftigt sie sich nicht nur mit Fiktion, sondern vor allem mit der Realität in ihrer Heimat - und die macht ihr zunehmend Sorgen. "Es wird jeden Tag schlimmer", berichtet sie.

Von Holger Heimann | 06.01.2017
    Eine Frau liest in einem Istanbuler Buchladen ein Buch.
    Für viele Schriftsteller und Künstler hat sich das Leben in der Türkei stark verändert. (AFP/ Mustafa Ozer)
    In Istanbul ist das Meer stets nah. Vom Ufer des Bosporus aus führen verwinkelte Straßen und steile Treppen immer weiter hinein in den von Künstlern und Studenten bewohnten Stadtteil Beyoğlu. Der berühmteste türkische Schriftsteller Orhan Pamuk hat hier sein Museum der Unschuld eröffnet. Nicht weit davon entfernt lebt die Übersetzerin Sezer Duru in einem prachtvollen über 100 Jahre alten Haus im dritten Stock.
    Die 74-Jährige, die deutlich jünger wirkt, ist nicht irgendeine Übersetzerin. Sie ist die große Mittlerin zwischen der Türkei und Mitteleuropa und bringt seit über 50 Jahren deutschsprachige Literatur zu türkischen Lesern. In einem kleinen Arbeitszimmer mit einem Fenster zu einer ruhigen Nebenstraße verbringt sie die meiste Zeit - das ist schon immer so gewesen. Aber ansonsten ist kaum noch etwas so wie es einmal war:
    "Ich habe im Moment keine Angst. Aber mein Leben hat sich total geändert. Auch die Bombenanschläge haben dazu beigetragen. Einer meiner Lieblingsorte war der geschlossene Basar – auch der ägyptische Basar, Sultanahmet, der Taksim Platz. Wir können nirgends hingehen. Ich lebe hier in meinem Bezirk, ich kaufe hier ein, komme nach Hause, meine Bank ist auch da – und so weiter. Man hat auch keine Lust, obwohl es einem nicht direkt schlecht geht, in dem Sinne, dass man keiner Gefahr gegenübersteht im Moment. Aber man fühlt sich nicht bequem, man fühlt sich bedrängt, wenn man die Zeitungen liest und die Nachrichten hört."
    In der weitläufigen, mit Büchern vollgeräumten Wohnung nehmen ihre Übersetzungen ein großes Regal ein, das vom Boden bis zur hohen Decke reicht: Thomas Bernhard, Hans Magnus Enzensberger, Max Frisch, Heinrich Böll – sie hat alle aus dem Deutschen ins Türkische übertragen.
    Gerade übersetzt sie den neuen Roman von Christoph Ransmayr, "Cox oder der Lauf der Zeit". Der österreichische Autor führt in dem Buch in das China des 18. Jahrhunderts, an den Hof des Kaisers Qiánlóng. Der mächtigste Mann im Land ist ein grausamer Despot, der seine Untertanen in ein System der Angst gepresst hat und mit drakonischen Strafen bedroht. Ransmayrs Roman ist gewiss kein Kommentar zur Situation in der Türkei und doch scheinen die Parallelen offenkundig. Das Land wird unter Erdogan jeden Tag mehr zu einem autokratischen Staat, in dem die Willkür regiert. Davon unberührt bleibt keiner.
    "Es wird jeden Tag schlimmer"
    "Der Kopf ist immer mit diesen Gedanken beschäftigt: Warum ist das so? Das fragt man sich jeden Tag. Womit haben wir das verdient, dass dieses Land, das ein sehr schönes Land ist, in diese politische Situation geraten ist? Das kann ich - und meine engen Freunde und Freundinnen – nicht verstehen. Wir haben das nicht verdient. Aber es wird jeden Tag schlimmer. Das bedrückt einen. Du kannst nicht mehr lachen. Du kannst dich nicht mehr über etwas freuen. Das ist die Lage für Menschen, die so denken wie ich. Das ist sehr schlimm. Und da ich auch keine Trinkerin bin. Teetrinken."
    Sezer Duru ist in einer bildungsbürgerlichen Familie, umgeben von Büchern, groß geworden. In ihrer Heimatstadt Istanbul besucht sie eine österreichische Schule und übersetzt schon als Gymnasiastin für die Schülerzeitung Gedichte. Als sie später an der Universität deutsche Sprache und Literatur studiert, sind ihr Bruder und ihre Schwester schon bekannte Autoren.
    Auch Sezer Duru schreibt schon früh selbst, aber das Übersetzen wird rasch das Wichtigste für sie. Für ihre Arbeit braucht Sezer Duru das Fluidum Istanbuls. Von ihrem Balkon aus sieht man die nahe gelegene Moschee – eingerahmt von einladenden Teestuben und Bars. Die resolute, extrovertierte Frau lebt seit Jahrzehnten in dieser lebendigen, stimulierenden Umgebung, nur im Sommer zieht sie um in ihr Haus am Meer, nah bei Antalya. Jetzt aber sagt sie:
    "Man hat immer den Gedanken im Kopf: Mein Gott, wenn das noch schlimmer wird, wenn alles verboten wird, wohin gehe ich dann? Das ist ein Problem für jeden, der denken kann und aufgeklärt ist. Für die große Masse gibt es kein Problem. Also, ja, ich denke auch daran, das Land zu verlassen. Bei mir ist es sehr schwierig. Ich bin nicht in einem Alter, wo ich neu anfangen kann. Aber ich bin ein Mensch, der alles machen kann. Ich kann zum Beispiel auch Serviererin werden. Warum nicht? So denke ich. Aber ich hänge an diesem Land. Ich will, dass dieses Land sich ändert. Gott bewahre, wenn es zu einem Bürgerkrieg kommen würde, dann hat es keinen Sinn, hier zu bleiben für Menschen wie mich, überhaupt nicht."
    Die Hoffnung darauf, dass sich die Situation in der Türkei verbessert, wird jeden Tag ein bisschen kleiner, schwindet mit jeder neuen, willkürlichen Verhaftungswelle. Aber Sezer Duru hält vorerst fest an ihrem Bild von einer anderen, einer besseren Türkei.
    Vertrauen in die Kraft der Literatur
    "Wie viele Verlage tätig sind, das ist enorm, immer noch. Die Verlage bringen die Bücher von einheimischen Autoren heraus und Übersetzungen. Die Türkei ist ein Übersetzungs-Literaturparadies. Wenn wir keinen Kontakt haben, wenn alles aufhört: Wie werden wir arbeiten? Was soll aus uns werden? Wollen wir die Wände anschauen? - Das will ich nicht."
    Viele Türken haben ihr Land verlassen, weil sie sich eingeengt und bedroht fühlten. Andere wollen bleiben – vorerst. Sie setzen nicht zuletzt darauf, dass der Kontakt zum Westen nicht abreißt. Sezer Duru will mit ihrer Arbeit genau dazu beitragen. Auf die unermüdliche Mittlerin warten beständig neue Übersetzungsprojekte, Pausen gönnt sie sich wenig. Nach "Cox" wird sie sich Peter Schneiders anrührendes Erinnerungsbuch "Die Lieben meiner Mutter" vornehmen. Grundsätzlich übersetzt sie nur, was ihr gefällt. Vor allem in solch düsteren Zeiten scheint es für Sezer Duru dabei geradezu überlebensnotwendig, unvermindert auf die Kraft der Literatur vertrauen zu können.