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Türkische Yesilcam-Filme
"Heutzutage wird dir jede Szene vorgeschrieben"

Die Anfänge der türkischen Yesilcam-Filme liegen in den 50er-Jahren. Begünstigt durch laxes Urheberrecht entstanden wilde Remakes von erfolgreichen Hollywood-Filmen. Die sehr populären TV-Serien von heute haben das Erbe Yesilcams eigentlich übernommen, aber die Macher müssen ohne die kreative Freiheit ihrer Vorgänger auskommen.

Von Mirjam Wlodawer | 06.05.2016
    Der Filmemacher Cem Kaya bei einem Filmfestival in Saarbrücken
    Der Filmemacher Cem Kaya bei einem Filmfestival in Saarbrücken (Deutschlandradio - Patrick Wellinski)
    Moment Mal, was macht Tarzan in Istanbul? "Klar gibt es einen türkischen Tarzan, weil die ganze Welt inspiriert sich gegenseitig. Und dass es einen türkischen Tarzan gibt, ist darauf zurückzuführen, dass jemandem in der Türkei - dem Regisseur und Produzenten - Tarzan gefallen hat und er unbedingt seine eigene türkische Version davon machen wollte."
    Der Filmemacher Cem Kaya hat ein Faible für die sogenannten Yesilcam-Filme - benannt nach einer Straße in Istanbul, in der zahlreiche Produktionsfirmen ihren Sitz hatten.
    Zeit und Filmequipment waren Mangelware in Yesilcam. An Ideen jedoch fehlte es nicht. Begünstigt durch ein laxes Urheberrecht entstanden so wilde Remakes von erfolgreichen Hollywood-Filmen. Da kann es schon mal vorkommen, dass Tarzan Istanbul besucht oder Superman ehrfürchtig die Hand seines Vaters küsst.
    300 Filme pro Jahr
    "Neben den reinen Remakes gibt es ja auch die Remixe im türkischen Kino. Das heißt, weil man sich nicht um Copyrights scheren musste, konnte man sich eigentlich aus dem kulturellen Pool der gesamten Welt bedienen. Diese Mischung ist wirklich unschlagbar, das ist einzigartig im Welt-Kino", erklärt Kaya.
    Die Anfänge der türkischen Yesilcam-Filme liegen in den 50er Jahren. Die Produktion türkischer Filme wird steuerlich gefördert, gleichzeitig verlassen immer mehr Menschen ihre Dörfer und ziehen in die Stadt. Nicht nur in Metropolen wie Istanbul oder Ankara, sondern auch in den Kleinstädten Anatoliens werden Kinos gebaut.
    Die einzige Filmschule, die es gab, war das Kino
    "Auf einmal gab es da einen ganz großen Markt und der gierte nach Filmen. Da man aber nicht wirklich erfahren war im Filmbusiness, musste man halt gucken, wer hat es schon mal gemacht? Oder wo kann man das lernen? Es gab ja keine Filmschulen in der Türkei. Und die einzige Filmschule, die es gab, war das Kino selber."
    Die Regisseure der Yesilcam-Ära bringen sich das Filmemachen selber bei: Viel Zeit bleibt ihnen dafür aber nicht. Die Massen strömen ins Kino. In den Hochzeiten der Yesilcam-Ära werden 300 Filme pro Jahr produziert.
    Weil das Filmmaterial knapp ist, kommt es manchmal sogar vor, dass Filmemacher Fotofilme zu Filmrollen zusammenkleben. Und auch neue Geschichten sind Mangelware.
    "Es gab sehr viele Schauspieler. Es gab auch eine gute Handvoll Regisseure. Was es wenig gab, waren Drehbuchschreiber. Das ging wirklich so weit, dass Produzenten Drehbuchschreiber in Hotelzimmer eingesperrt haben. Damit sie schreiben."
    Spiderman als Frauenmörder
    Manchmal wurden die internationalen Vorbilder nicht nur kopiert, sondern auch drastisch verändert. "In "Üc dev adam", also "The three Giant Men", ist es so, dass Captain America, El Santo, ein türkischer Kommissar gegen einen bösen Spiderman kämpfen. Das ist unglaublich lustig, denn Spiderman war ja niemals böse." Der böse Spiderman erwürgt wehrlose Frauen unter der Dusche.
    Ein mordender Superheld? Das kann schnell Ärger mit der türkischen Zensurbehörde geben. Akribisch überwacht sie jeden Schritt der Filmproduktion. Rauchende Schüler, armselige Kornfelder. So etwas darf es in der Türkei nicht geben. Erst Recht keine triumphierenden Bösewichte. In dem Actionfilm "Killing" lässt der Regisseur den grausamen Antihelden am Ende von der Polizei verhaften.
    "Dann hat man gesagt: Die türkische Polizei ist die beste der Welt! Dann kam ein anderer und hat gesagt: Ja! Die türkische Polizei ist unschlagbar! Dann hat der Dritte gesagt: Ich hab dich doch gewarnt vor der türkischen Polizei. Dann hat der türkische Polizist gesagt: Ja die türkische Polizei ist großartig. Man kann ihr nicht entkommen."
    Auch wenn es den Yesilcam-Regisseuren nicht immer gelingt, die Zensurbehörde auszutricksen: Das Publikum liebt die schrägen Filme. Doch mit der Militärintervention 1971 beginnt der Niedergang der Branche.
    "Denn es war gefährlich. Immer wieder sind überall Bomben geplatzt und auch die Kinos wurden bombardiert. Also sind die Familien zuhause geblieben. Und just zu dieser Zeit kam auch das Fernsehen in die Türkei."
    "Dann hat man gesagt: Die türkische Polizei ist die beste der Welt!"
    Während manche Produzenten und Regisseure arbeitslos werden, machen andere Karriere im Fernsehen. Und auf der Suche nach neuen Geschichten werden sie manchmal sogar bei Yesilcam-Filmen fündig. Ein Remake vom Remake.
    "Die sehr populären TV-Serien von heute haben das Erbe Yesilcams eigentlich übernommen. Sie sind auf vielen Ebenen vergleichbar mit der Yesilcam-Industrie."
    Doch die kreative Freiheit, Filme aus dem Ausland zu remixen und nach Belieben neu zu interpretieren, besitzen die heutigen Filmemacher nicht mehr.
    "In der Yesilcam-Ära haben ja die Produzenten, Regisseure ohne fragen zu müssen, über die Geschichte verfügt. Und haben das so gedreht, wie sie Lust hatten. Und heutzutage, wenn du ein Franchise-Abkommen machst mit dem Original sozusagen, dann wird dir jede Szene vorgeschrieben."