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Türkischer Verein P24
Anlaufstelle zur Verteidigung verfolgter Journalisten

"Wir finden Anwälte, wir bringen einige Fälle vor das Europäische Menschenrechtsgericht, wir rufen das Verfassungsgericht an." Eigentlich wollte der Verein "Plattform 24" den unabhängigen Journalismus in der Türkei fördern - ist aber mittlerweile viel mehr damit beschäftigt, unabhängige Journalisten zu verteidigen.

Von Susanne Güsten | 12.09.2017
    Ein Demonstrant reckt ein Plakat mit der Aufschrift "Journalisten sind keine Terroristen" in die Höhe.
    Demonstration für Pressefreiheit: "Journalisten sind keine Terroristen" (EPA/SEDAT SUNA)
    Jubel im Zuschauerraum eines Gerichtssaals in Istanbul als die Angeklagten vorgeführt werden. Zum ersten Mal seit vielen Monaten sehen Freunde und Kollegen die Journalisten, die teils schon seit letztem Jahr hinter Gittern sitzen und nun vor Gericht gestellt werden.
    Juristische Verteidigung und Öffentlichkeitsarbeit
    Im Zuschauerraum mit dabei sind auch die Prozessbeobachter von "Plattform 24" - der türkischen Vereinigung für Pressefreiheit, die zur zentralen Anlaufstelle zur Verteidigung verfolgter Journalisten geworden ist. "P24", wie die Vereinigung kurz genannt wird, führt ein laufendes Register der über 160 inhaftierten Journalisten und mobilisiert Unterstützung für sie. Das geschieht auf mehreren Schienen, erklärt der Mitbegründer Andrew Finkel.
    "Wir finden ihnen Anwälte - das haben wir etwa auch für den Welt-Korrespondenten Deniz Yücel getan. Wir bringen einige Fälle vor das Europäische Menschenrechtsgericht, wir rufen das Verfassungsgericht an: Wir versuchen also, das Justizsystem zu nutzen oder zumindest seine Grenzen aufzuzeigen, wo es nicht funktioniert. Zugleich setzen wir uns öffentlich für die verhafteten Journalisten ein, machen zum Beispiel mittels sozialer Medien auf ihr Schicksal aufmerksam. Wie verbinden also die juristische Verteidigung und die Öffentlichkeitsarbeit, das ist unsere Stärke."
    Direkter Druck auf die Medien durch die Regierung
    Der Verein führt Buch über Festnahmen und Verhaftungen, protokolliert Gerichtsverhandlungen und veröffentlicht Verteidigungsreden der angeklagten Journalisten. Immer wieder reist Andrew Finkel nach Westeuropa, um etwa im Europäischen Parlament über die Situation der verfolgten Journalisten zu berichten. Der Amerikaner, der schon als Kind in die Türkei kam, hat seine eigenen Erfahrungen damit: Als Kolumnist für die türkische Zeitung "Sabah" wurde er 1999 wegen Beleidung des Militärs angeklagt, weil er das Vorgehen der Armee im kurdischen Südosten des Landes kritisiert hatte. Finkel wurde nicht verurteilt, aber seine Zeitung ließ ihn fallen - ein altes Problem der türkischen Medien, sagt Finkel.
    "Ich habe den internationalen Pressrechtsorganisationen immer gesagt, dass sie die türkischen Journalisten vor allem vor ihren eigenen Zeitungen schützen müssten. Denn deren Eigentümer waren schon immer große Unternehmen, die sich die Zeitungen nur hielten, um sich staatliche Aufträge für ihre anderen Firmen zu holen. Aber in den letzten vier bis fünf Jahren hat sich die Lage sehr zugespitzt. Statt des indirekten Drucks auf die Medien durch die Zeitungsbesitzer gibt es jetzt direkten Druck von der Regierung."
    Sehr direkten Druck erfuhr etwa die Zeitung "Zaman" als ihr Redaktionsgebäude im März vergangenen Jahres von der Polizei gestürmt wurde. Das Blatt, das zur Mediengruppe um den Prediger Fethullah Gülen gehörte, wurde eingestellt. Auch Andrew Finkel hatte eine Zeitlang für die englische Ausgabe von "Zaman" gearbeitet, war aber schon fünf Jahre zuvor gefeuert worden - weil er in einem Artikel die Gülen-Bewegung kritisierte.
    Dramatische Verschlechterung in den letzten zehn Jahren
    Wenig später gründete er mit einigen führenden türkischen Journalisten die "Plattform 24". Eigentlich wollte der Verein den unabhängigen Journalismus fördern, alternative Medien unterstützen und Fortbildung betreiben. Aber die Zeiten sind nicht mehr so, sagt Finkel.
    "Unsere Idee der Unterstützung für unabhängigen Journalismus in der Türkei kam ungefähr zehn Jahre zu spät. Wir haben begonnen, um unabhängigen Journalismus zu unterstützen, und nun müssen wir unabhängige Journalisten verteidigen. Die Situation der Medien hat sich dramatisch verschlechtert, seit wir begonnen haben."
    Tatsächlich sitzt einer der Mitbegründer von "P24" heute hinter Gittern, ein weiterer ist im Exil und ein Vorstandmitglied seit über einem Jahr in Untersuchungshaft. Was bewegt vor diesem Hintergrund einen Ausländer wie Finkel, seine ganze Energie in das Engagement für unabhängigen Journalismus in der Türkei zu stecken?
    "Ich habe schon als Kind hier gelebt, ich habe in der Schule in der Basketball-Mannschaft mit Orhan Pamuk gespielt - und glaubt mir, er kann besser Romane schreiben als Basketball spielen. Dies ist ein Land, in dem ich schon sehr lange lebe und meine Nachbarn kenne und Freunde habe und meine Familie und mein Leben. Warum sollte ich mich nicht darum sorgen?"