Aus den Feuilletons

"Nimm doch deine Prämie und hau endlich ab"

Plakat-Aktion des Innenministeriums unter Horst Seehofer: "Dein Land. Deine Zukunft. Jetzt.", Winter 2018
Plakat-Aktion des Bundesinnenministeriums: "Dein Land. Deine Zukunft. Jetzt." © Deutschlandradio
Von Ulrike Timm · 28.11.2018
Die "Welt" und der "Spiegel" beschäftigen sich mit der umstrittenen Plakataktion des Bundesinnenministeriums, in der Migranten aufgefordert werden in ihre Herkunftsländer zurück zu gehen. Zusätzlichen Anreiz dafür soll eine Prämie liefern.
"Wer dieses Plakat lesen kann, gehört NICHT zu Deutschland", schreibt die WELT mit einem fetten NICHT über ihren Artikel zur Kampagne der Bundesregierung, die Menschen in verschiedenen Sprachen zur Rückkehr in ihr Heimatland auffordert. Und um das Maß voll zu machen, steht auf dem Plakat ja auch noch "Dein Land. Deine Zukunft." Aber wie gesagt, wer das lesen kann, gehört ja NICHT dazu.

Erklärungswolken aus dem Innenministerium

Betroffen, sarkastisch, traurig - so kommentiert die Schriftstellerin Olga Grjasnowa diese Kampagne. Angenehmerweise aber nicht larmoyant. Auch wenn sich die aus der Sowjetunion zugewanderte Grjasnowa derzeit wünscht, ihre kleine Tochter würde etwas langsamer lesen lernen. Aufgrund des Familienhintergrunds - Olga Grjasnowas Ehemann stammt aus Syrien - ist ihr Kind mehrsprachig und liest die Aufforderung auf Deutsch genauso wie in kyrillischen und arabischen Schriftzeichen.
Was für ein Fiasko, das jetzt immense Erklärungswolken aus dem Innenministerium auslöst und dessen Anliegen der frühere Innenminister Gerhart Baum im SPIEGEL bitterböse so zusammenfasste: "Nimm doch deine Prämie und hau endlich ab." Olga Grjasnowa, die ihr wissbegieriges Kind durch die Straßen von Berlin lotsen muss, zieht in der WELT dieses Fazit: "In Neukölln schaut man sich die Plakate indessen sehr genau an. Die meisten wurden mittlerweile mit Farbbeuteln beworfen, andere mit anderen Slogans übermalt und manche korrigiert - jetzt wird für den Rücktritt einiger Politiker ebenfalls eine Prämie geboten. Es ist unwahrscheinlich, dass sie diese annehmen werden."

Das Grundgesetz neu entdecken

Vielleicht sollte man den klug-gewitzten Medienentwickler Oliver Wurm mal das Grundgesetz plakatieren lassen - er hat gerade ein Magazin draus gemacht. Ja. Nix als die Artikel des Grundgesetzes, "verblüffend einfach und verblüffend wirkungsvoll", meint Heribert Prantl in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG. Unterschiedliche Schrifttypen, Farben und Schriftgrößen, der Mut, den Text ganz nackt zu lassen - und plötzlich wummst der Satz wieder: Artikel 1. Die Würde des Menschen ist unantastbar.
"Das Grundgesetz ist kein Poesiealbum. Da wird nicht herumgesülzt. Es ist karg wie die Zeit, in der es formuliert wurde. In den Jahren 1948/49 war niemandem nach Feiern und großen Worten zumute. Und in dem Satz, mit dem es beginnt, steckt noch das Entsetzen über die Nazi-Barbarei." Das Grundgesetz als Magazin, zu haben im Bahnhofsbuchhandel, finanziert in einer konzertierten Aktion von siebzig Unternehmen.
Und der Jurist Prantl von der SÜDDEUTSCHEN ist selbst da noch beeindruckt, wo er leise mäkelt: "Man liest die Artikel ganz neu. Gelegentlich fragt man sich, warum der eine Artikel so groß und der andere so klein gesetzt ist - warum etwa die Schlüssel-Vorschrift zum Rechtsstaat so bescheiden dasteht. Es ist der Artikel 19 Absatz 4: 'Jedem, der durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt' wird, 'steht der Rechtsweg offen'. Das ist ein Hammersatz, der aber in Wurms Magazin nur als Hämmerchen erscheint. Gleichwohl: Man entdeckt das von Andreas Volleritsch designte Grundgesetz neu."

Sehnsucht nach Harald Schmidt

"Viele Titanen bröseln einfach weg", das ist ein Fazit von Harald Schmidt. Für die ZEIT gilt: "Er ist der größte Entertainer Deutschlands, aber seit einigen Jahren unterhält er nur noch sich selbst". Gleich zwei ZEIT-Journalisten wollen den Privatier unbedingt aus der Reserve locken, was nur bedingt gelingt. Wenn die beiden Interviewer geradezu rührend strampeln - kann man diese Schlagfertigkeit lernen? Gibt’s eine Urerfahrung? - gibt sich Harald Schmidt stoisch über Harald Schmidt: "Das war mit Sicherheit in der Kindheit. Zu begreifen: Wenn ich jetzt nicht einen Witz mache, geh ich unter. Man muss das können: rausgehen, keinen Plan haben und loslegen. Ich spüre es körperlich, wenn ich einen sehe, der es nicht kann." Und: "Die Sendung, die ich gemacht habe, wäre heute nach einer Woche abgesetzt."
Wirft kein so gutes Licht auf unsere Zeit und unsere Debatten.
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